Die Kindheit und Jugend Jesu
Detaillierte Beschreibung des Leben Jesu von seiner Geburt an bis zum jungen Erwachsenenalter
Die Beschreibungen von Jesu Kindheit und Jugend in den Schriften Jakob Lorbers basieren auf dessen Angaben, er habe diese durch innere Eingebung empfangen. Diese Texte, insbesondere das sogenannte „Jakobus-Evangelium“ oder „Die Kindheit und Jugend Jesu“, schildern detailliert das Leben Jesu von seiner Geburt an bis zum jungen Erwachsenenalter aus der Perspektive seines Stiefbruders Jakobus.
Zentrale Aspekte:
Wunder und außergewöhnliche Fähigkeiten:
Bereits als kleines Kind zeigt Jesus in diesen Schriften außergewöhnliche Fähigkeiten und vollbringt Wunder, die seine göttliche Natur andeuten. Diese Wunder sind oft im familiären Kreis oder mit seinen jungen Spielkameraden.
Alltägliches Leben in Nazareth:
Neben den Wundern wird das alltägliche Leben der Heiligen Familie in Nazareth detailliert beschrieben. Dies umfasst ihre häuslichen Pflichten, die Interaktion mit Nachbarn und die Teilnahme am religiösen Leben.
Erziehung und Unterweisung:
Die Rolle Marias und Josefs in der Erziehung Jesu wird betont. Er wird in den jüdischen Schriften und Traditionen unterwiesen.
Reisen und Begegnungen:
Die Schriften Lorbers beschreiben auch Reisen der Familie, beispielsweise nach Ägypten, und Begegnungen mit verschiedenen Personen.
Persönlichkeit Jesu:
Jesus wird als ein liebevolles, hilfsbereites und weises Kind und Jugendlicher dargestellt, der sich durch seine tiefe Frömmigkeit und sein Verständnis göttlicher Zusammenhänge auszeichnet.
Das Jakobus-Evangelium als Quelle:
Laut Lorber basiert seine Darstellung auf einem ursprünglichen Evangelium des Jakobus, das verloren gegangen sei und ihm durch göttliche Eingebung neu offenbart wurde. Es ist eine authentische und detaillierte Ergänzung des biblischen Zeugnisses.
Lesen
Vom Herrn Jesu Christi Selbst kundgegeben als Einleitung zu Seiner Jugendgeschichte unterm 22. Juli 1843 und 9. Mai 1851 durch denselben Mund, den Er zum Organ dieses Werkes erwählt hat.
[0.1] Ich lebte die bekannte Zeit bis zum dreißigsten Jahr geradeso, wie da lebt ein jeder wohlerzogene Knabe, dann Jüngling und dann Mann, und musste durch den Lebenswandel nach dem Gesetz Mosis die Gottheit in Mir – wie ein jeder Mensch Mich in sich – erst erwecken.
[0.2] Ich Selbst habe müssen so gut wie ein jeder andere ordentliche Mensch erst an einen Gott zu glauben anfangen und habe Ihn dann stets mehr und mehr mit aller erdenklichen Selbstverleugnung auch müssen mit stets mächtigerer Liebe erfassen und Mir also nach und nach die Gottheit erst völlig untertan machen.
[0.3] Also war Ich, als der Herr Selbst, ein lebendiges Vorbild für jeden Menschen, und so kann nun deshalb auch ein jeder Mensch Mich geradeso anziehen, wie Ich Selbst die Gottheit in Mir angezogen habe, und kann mit Mir selbständig ebenalso völlig Eins werden durch die Liebe und durch den Glauben, wie Ich Selbst als Gottmensch in aller endlosen Fülle vollkommen Eins bin mit der Gottheit.
[0.4] Auf die Frage, wie die Kindes-Wunder Jesu und dessen göttlich geistige Tätigkeit mit Seinem gleichsam isolierten Menschsein in den Jünglings- und Mannesjahren und in diesen wieder die in denselben verrichteten Wunder zusammenhängen, wenn man sich Ihn in diesen Jahren nur als Mensch denken soll, – diene als Antwort der Anblick eines Baumes vom Frühjahr bis in den Herbst.
[0.5] Im Frühjahr blüht der Baum wunderbar und beherrscht ihn eine große Tätigkeit. Nach dem Abfall der Blüte wird der Baum wieder, als wäre er untätig. Gegen den Herbst hin aber erscheint der Baum wieder in seiner vollsten Tätigkeit – die Früchte, die sicher wunderbaren, werden gewürzt, gefärbt, schöner denn vorher die Blüte, und also gereift, und der ihnen gegebene Segen wird seiner Bande los und fällt als solcher in den Schoß der hungrigen Kindlein.
[0.6] Mit dem Auge des Herzens wird man imstande sein, dies Bild zu fassen, aber niemals mit den Augen des Weltverstandes. Die fraglichen Stellen, ohne der Gottheit Jesu nahe zu treten, sondern diese im Glauben des Herzens, der da ist ein Licht der Liebe zu Gott, festhaltend – lassen sich nur zu leicht erklären, sobald man aus dem Herzen heraus rein wird, dass die volle Einung der Fülle der Gottheit mit dem Menschen Jesu nicht auf einmal, wie mit einem Schlag, sondern – wie alles unter der Leitung Gottes – erst nach und nach, gleich dem sukzessiven Erwachen des göttlichen Geistes im Menschenherzen, und erst durch den Kreuzestod vollends erfolgt ist; obschon die Gottheit in aller ihrer Fülle auch schon im Kind Jesus wohnte, aber zur Wundertätigkeit nur in der Zeit der Not auftauchte.
[0.7] Der leibliche Tod Jesu ist die tiefste Herablassung der Gottheit in das Gericht aller Materie und somit die eben dadurch mögliche vollends neue Schaffung der Verhältnisse zwischen Schöpfer und Geschöpf.
[0.8] Durch den Tod Jesu erst wird Gott Selbst vollkommen Mensch und der geschaffene Mensch zu einem aus solcher höchsten göttlichen Gnade neu gezeugten Kind Gottes, also zu einem Gott, und kann erst also als Geschöpf seinem Schöpfer als dessen vollendetes Ebenmaß gegenüberstehen und in diesem seinen Gott, Schöpfer und Vater schauen, sprechen, erkennen und über alles lieben und allein dadurch gewinnen das vollendete ewige, unzerstörbare Leben in Gott, aus Gott und neben Gott. Dadurch ist aber auch des Satans Gewalt (böser Wille) dahin gebrochen, dass er die vollste Annäherung der Gottheit zu den Menschen, und umgekehrt dieser ebenalso zur Gottheit, nicht mehr verhindern kann.
[0.9] Noch kürzer gesagt: Durch den Tod Jesu kann nun der Mensch vollends mit Gott fraternisieren, und dem Satan ist da kein Zwischentritt mehr möglich; darum es auch im Wort zu den grabbesuchenden Weibern heißt: „Geht hin und sagt es Meinen Brüdern!“ – Des Satans Walten in der äußeren Form mag wohl stets noch bemerkbar sein, aber den einmal zerrissenen Vorhang zwischen der Gottheit und den Menschen kann er ewig nicht mehr errichten und so die alte unübersteigbare Kluft zwischen Gott und den Menschen von neuem wiederherstellen.
[0.10] Aus dieser kurzen Erörterung der Sache aber kann nun jeder im Herzen denkende und sehende Mensch sehr leicht und klar den endlosesten Nutzen des leiblichen Todes Jesu einsehen. Amen.
Biographisches Evangelium des Herrn von der Zeit an, da Joseph Mariam zu sich nahm
[0.11] Jakobus, ein Sohn Josephs, hat solches alles aufgezeichnet; aber es ist mit der Zeit so sehr entstellt worden, dass es nicht zugelassen werden konnte, als authentisch in die Schrift aufgenommen zu werden. Ich aber will dir das echte Evangelium Jakobi geben, aber nur von der obenerwähnten Periode angefangen; denn Jakobus hatte auch die Biographie Mariens von ihrer Geburt an mit aufgenommen, wie die des Joseph. – Und so schreibe denn als erstes Kapitel:
[1.1] Joseph aber war mit einem Hausbau beschäftigt in der Gegend zwischen Nazareth und Jerusalem.
[1.2] Dieses Haus ließ ein vornehmer Bürger aus Jerusalem dort der Herberge wegen erbauen, da sonst die Nazaräer bis Jerusalem kein Obdach hatten.
[1.3] Maria aber, die im Tempel auferzogen ward, ist reif geworden und war nach dem Mosaischen Gesetz not, sie aus dem Tempel zu geben.
[1.4] Es wurden darum Boten in ganz Judäa ausgesandt, solches zu verkünden, auf dass die Väter kämen, um, so jemand als würdig befunden würde, das Mägdlein zu nehmen in sein Haus.
[1.5] Als solche Nachricht auch zu Josephs Ohren kam, da legte er sobald seine Axt weg und eilte nach Jerusalem und daselbst an den bestimmten Versammlungs- und Beratungsplatz in dem Tempel.
[1.6] Als sich aber nach Ablauf von drei Tagen die sich darum gemeldet Habenden wieder am vorbestimmten Ort versammelt hatten und ein jeder Bewerber um Maria einen frischen Lilienstab so bestimmtermaßen dem Priester dargereicht hatte, da ging der Priester sobald mit den Stäben in das Innere des Tempels und betete dort.
[1.7] Nachdem er aber sein Gebet beendet hatte, trat er wieder mit den Stäben heraus und gab einem jeglichen seinen Stab wieder.
[1.8] Alle Stäbe aber wurden sobald fleckig, nur der zuletzt dem Joseph überreichte blieb frisch und makellos.
[1.9] Es hielten sich aber darob einige auf und erklärten diese Probe für parteiisch und somit für ungültig und verlangten eine andere Probe, mit der sich durchaus kein Unfug verbinden ließe.
[1.10] Der Priester, darob etwas erregt, ließ sobald Mariam holen, gab ihr eine Taube in die Hand und behieß sie zu treten in die Mitte der Bewerber, auf dass sie daselbst die Taube frei soll fliegen lassen,
[1.11] und sprach noch vor dem Auslassen der Taube zu den Bewerbern: „Seht, ihr Falschdeuter der Zeichen Jehovas! Diese Taube ist ein unschuldig reines Tier und hat kein Gehör für unsere Beredung,
[1.12] sondern lebt allein in dem Willen des Herrn und versteht allein die allmächtige Sprache Gottes!
[1.13] Haltet eure Stäbe in die Höhe! Auf dessen Stab diese Taube, so sie das Mägdlein auslassen wird, sich niederlassen wird und auf dessen Haupt sie sich setzen wird, der soll Mariam nehmen!“
[1.14] Die Bewerber aber waren damit zufrieden und sprachen: „Ja, dies soll ein untrüglich Zeichen sein!“
[1.15] Da aber Maria die Taube auf Geheiß des Priesters freiließ, da flog dieselbe sobald zu Joseph hin, ließ sich auf seinen Stab nieder und flog dann vom selben sogleich auf das Haupt Josephs.
[1.16] Und der Priester sprach: „Also hat es der Herr gewollt! Dir, du biederer Gewerbsmann, ist das untrügliche Los zugefallen, die Jungfrau des Herrn zu empfangen! So nehme sie denn hin im Namen des Herrn in dein reines Haus zur ferneren Obhut, Amen.“
Am 24. Juli 1843
[1.17] Als aber der Joseph solches vernommen hatte, da antwortete er dem Priester und sprach: „Siehe, du gesalbter Diener des Herrn nach dem Gesetz Mosis, des getreuen Knechtes des Herrn Gott Zebaoth, ich bin schon ein Greis und habe erwachsene Söhne zu Hause und bin seit lange her schon ein Witwer; wie werde ich doch zum Gespött werden vor den Söhnen Israels, so ich dies Mägdlein nehme in mein Haus!
[1.18] Daher lasse die Wahl noch einmal ändern und lasse mich draußen sein, auf dass ich nicht gezählt werde unter den Bewerbern!“
[1.19] Der Priester aber hob seine Hand auf und sprach zum Joseph: „Joseph! Fürchte Gott den Herrn! Weißt du nicht, was Er getan hatte an Datan, an Korach und an Abiram?
[1.20] Siehe, es spaltete sich die Erde, und sie alle wurden von ihr verschlungen um ihrer Widerspenstigkeit willen! Meinst du, Er könnte dir nicht desgleichen tun?
[1.21] Ich sage dir: Da du das Zeichen Jehovas untrüglich gesehen und wahrgenommen hast, so gehorche auch dem Herrn, der allmächtig ist und gerecht und allzeit züchtigt die Widerspenstigen und die Abtrünnlinge Seines Willens!
[1.22] Sonst aber sei gewaltig bange dir in deinem Haus, ob der Herr solches nicht auch an deinem Haus verübe, was Er verübt hat an Datan, Korach und Abiram!“
[1.23] Da ward dem Joseph sehr bange, und er sprach in großer Angst zum Priester: „So bete denn für mich, auf dass der Herr mir wieder gnädig sein möchte und barmherzig, und gebe mir dann die Jungfrau des Herrn nach Seinem Willen!“
[1.24] Der Priester aber ging hinein und betete für Joseph vor dem Allerheiligsten, – und der Herr sprach zum Priester, der da betete:
[1.25] „Betrübe Mir den Mann nicht, den Ich erwählt habe; denn gerechter als er wandelt wohl keiner in Israel, und keiner auf der ganzen Erde, und keiner vor Meinem ewigen Thron in allen Himmeln!
[1.26] Und gehe hinaus und gebe die Jungfrau, die Ich Selbst erzogen habe, dem gerechtesten der Männer der Erde!“
[1.27] Hier schlug sich der Priester auf die Brust und sprach: „O Herr, Du allmächtiger einiger Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sei mir Sünder vor Dir barmherzig; denn nun erkenne ich, dass Du Dein Volk heimsuchen willst!“
[1.28] Darauf erhob sich der Priester, ging hinaus und gab segnend im Namen des Herrn das Mägdlein dem geängstigten Joseph
[1.29] und sprach zu ihm: „Joseph, gerecht bist du vor dem Herrn, darum hat Er dich erwählt aus vielen Tausenden! Und so magst du im Frieden ziehen, Amen.“
[1.30] Und Joseph nahm Mariam und sprach: „Also geschehe denn allzeit der allein heilige Wille meines Gottes, meines Herrn! Was Du, o Herr, gibst, ist ja allzeit gut; daher nehme ich ja auch gerne und willigst diese Gabe aus Deiner Hand! Segne sie aber für mich und mich für sie, auf dass ich ihrer würdig sein möchte vor Dir jetzt, wie allzeit; Dein Wille, Amen.“
Am 26. Juli 1843
[1.31] Da aber Joseph solches geredet hatte vor dem Herrn, da ward er gestärkt im Herzen, ging sodann mit Maria aus dem Tempel und führte sie dann in die Gegend von Nazareth und daselbst in seine ärmliche Behausung.
[1.32] Es wartete aber die nötige Arbeit des Joseph; daher machte er in seiner Behausung diesmal auch nicht Säumens und sprach daher zur Maria:
[1.33] „Maria, sieh, ich habe dich nach dem Willen Gottes zu mir genommen aus dem Tempel des Herrn, meines Gottes; ich aber kann nun nicht bei dir verbleiben und dich beschützen, sondern muss dich zurücklassen, denn ich muss gehen, um meinen bedungenen Hausbau zu besorgen an der Stelle, die ich dir auf der Reise hierher gezeigt habe!
[1.34] Aber siehe, du sollst darum nicht allein zu Hause sein! Ich habe ja eine mir nahe anverwandte Häuslerin, die ist fromm und gerecht; die wird um dich sein und mein jüngster Sohn; und die Gnade Gottes und Sein Segen wird dich nicht verlassen.
[1.35] In aller Bälde aber werde ich mit meinen vier Söhnen wieder nach Hause kommen zu dir und werde dir ein Leiter sein auf den Wegen des Herrn! Gott der Herr aber wird nun über dich und mein Haus wachen, Amen.“
[2.1] Es war aber zu der Zeit noch ein Vorhang im Tempel vonnöten, da der alte hie und da schon sehr schadhaft geworden ist, um zu decken das Schadhafte.
[2.2] Da ward denn von den Priestern ein Rat gehalten, und sie sprachen: „Lasst uns einen Vorhang machen im Tempel des Herrn zur Deckung des Schadhaften.
[2.3] Denn es könnte ja heute oder morgen der Herr kommen, wie es geschrieben steht, – wie würden wir dann vor Ihm stehen, so Er von uns den Tempel also verwahrlost fände?“
[2.4] Der Hohepriester aber sprach: „Urteilt nicht doch gar so blind, als wüsste der Herr, dessen Heiligtum im Tempel ist, nicht, wie nun da bestellt ist der Tempel!
[2.5] Ruft mir aber dennoch sieben unbefleckte Jungfrauen aus dem Stamm Davids, und wir wollen dann eine Losung halten, wie da die Arbeit ausgeteilt sein soll!“
[2.6] Nun gingen die Diener aus, zu suchen die Jungfrauen aus dem Stamm Davids und fanden mit genauer Not kaum sechs und zeigten solches dem Hohepriester an.
[2.7] Der Hohepriester aber erinnerte sich, dass die dem Joseph erst vor wenigen Wochen zur Obhut übergebene Maria ebenfalls aus dem Stamm Davids sei, und gab solches sobald den Dienern kund.
[2.8] Und sobald gingen die Diener aus, zeigten solches dem Joseph an, und er ging und brachte Mariam wieder in den Tempel, geleitet von den Dienern des Tempels.
Am 27. Juli 1843
[2.9] Als aber die Jungfrauen in der Vorhalle versammelt waren, da kam sobald der Hohepriester und führte sie allesamt in den Tempel des Herrn.
[2.10] Und als sie da versammelt waren in dem Tempel des Herrn, da sprach sobald der Hohepriester und sagte:
[2.11] „Hört, ihr Jungfrauen aus dem Stamm Davids, der da verordnet hatte nach dem Willen Gottes, dass da die feine Arbeit am Vorhang, der da scheidet das Allerheiligste vom Tempel, allzeit soll von den Jungfrauen aus seinem Stamm angefertigt werden,
[2.12] und soll nach seinem Testament die mannigfache Arbeit durch Verlosung ausgeteilt werden, und soll dann eine jede Jungfrau die ihr zugefallene Arbeit nach ihrer Geschicklichkeit bestens verfertigen!
[2.13] Seht, da ist vor euch der schadhafte Vorhang, und hier auf dem goldenen Tisch liegen die mannigfachen rohen Stoffe zur Verarbeitung schon bereitet!
[2.14] Ihr seht, dass solche Arbeit nottut; daher lost mir sogleich, auf dass es sich herausstelle, diewelche aus euch da spinnen soll den Goldfaden und den Amiant- und den Baumwollfaden,
[2.15] den Seidenfaden, dann den hyazinthfarbigen, den Scharlach und den echten Purpur!“
[2.16] Und die Jungfrauen losten schüchtern, da der Hohepriester über sie betete; und da sie gelost hatten nach der vorgezeichneten Ordnung, hatte es sich herausgestellt, wie die Arbeit verteilt werden sollte.
[2.17] Und es fiel der Jungfrau Maria, der Tochter Annas und Joakims, durchs Los zu der Scharlach und der echte Purpur.
[2.18] Die Jungfrau aber dankte Gott für solche gnädige Zuerkennung und Zuteilung solch rühmlichster Arbeit zu Seiner Ehre, nahm die Arbeit und begab sich damit, vom Joseph geleitet, wieder nach Hause.
[2.19] Daheim angelangt machte sich Maria sogleich an die Arbeit freudigen Mutes; Joseph empfahl ihr allen Fleiß, segnete sie und begab sich dann sogleich wieder an seinen Hausbau.
[2.20] Es begab sich aber dieses zur selbigen Zeit, als der Zacharias, da er im Tempel das Rauchopfer verrichtete, zufolge seines kleinen Unglaubens ist stumm geworden, darum für ihn ein Stellvertreter ward erwählt worden, unter dem diese Arbeit ist verlost worden.
[2.21] Maria aber war verwandt sowohl mit Zacharias wie mit dessen Stellvertreter, darum sie denn auch ums Doppelte ihren Fleiß vermehrte, um ja recht bald, ja womöglich als Erste mit ihrer Arbeit fertig zu werden.
[2.22] Aber sie verdoppelte ihren Fleiß nicht etwa aus Ruhmlust, sondern nur um nach ihrer Meinung Gott dem Herrn eine recht große Freude dadurch zu bereiten, so sie baldmöglichst und bestmöglichst ihre Arbeit zu Ende brächte.
[2.23] Zuerst kam die Arbeit an dem Scharlach, der da mit großer Aufmerksamkeit musste gesponnen werden, um den Faden ja hie und da nicht dicker oder dünner zu machen.
[2.24] Mit großer Meisterschaft wurde der Scharlachfaden von der Maria gesponnen, so dass sich alles, was nur ins Haus Josephs kam, höchlichst verwunderte über die außerordentliche Geschicklichkeit Mariens.
[2.25] In kurzer Frist von drei Tagen ward Maria mit dem Scharlach zu Ende und machte sich sodann alsogleich über den Purpur; da sie aber diesen stets annässen musste, so musste sie während der Arbeit öfter den Krug nehmen und hinausgehen, sich ein Wasser zu holen.
Am 28. Juli 1843
[3.1] An einem Freitag morgens aber nahm Maria abermals den Wasserkrug und ging hinaus, ihn mit Wasser zu füllen, und horch! – eine Stimme sprach zu ihr:
[3.2] „Gegrüßt seist du, an der Gnade des Herrn Reiche! Der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern!“
[3.3] Maria aber erschrak gar sehr ob solcher Stimme, da sie nicht wusste, woher sie kam, und sah sich darum auch behände nach rechts und links um; aber sie konnte niemanden entdecken, der da geredet hätte.
[3.4] Darum aber ward sie noch voller von peinigender Angst, nahm eiligst den gefüllten Wasserkrug und eilte von dannen ins Haus.
[3.5] Als sie da bebend anlangte, stellte sie sobald den Wasserkrug zur Seite, nahm den Purpur wieder zur Hand, setzte sich auf ihren Arbeitssessel und fing den Purpur wieder gar emsig an fortzuspinnen.
[3.6] Aber sie hatte sich noch kaum so recht wieder in ihrer Arbeit eingefunden, siehe, da stand schon der Engel des Herrn vor der emsigen Jungfrau und sprach zu ihr:
[3.7] „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast eine endlos große Gnade gefunden vor dem Angesicht des Herrn; siehe, du wirst schwanger werden vom Wort Gottes!“
[3.8] Als Maria aber dieses vernommen hatte, da fing sie an, diese Worte hin und her zu erwägen, und konnte nicht erfassen ihren Sinn; darum sprach sie denn zum Engel:
[3.9] „Wie soll denn das vor sich gehen, bin ich doch noch lange nicht eines Mannes Weib und habe auch noch nie dazu eine Bekanntschaft mit einem Mann gemacht, der mich sobald nähme zum Weib, auf dass ich gleich anderen Weibern schwanger würde und dann gebäre ihnen gleich?“
[3.10] Der Engel aber sprach zur Maria: „Höre, du erwählte Jungfrau Gottes! Nicht also soll es geschehen, sondern die Kraft des Herrn wird dich überschatten.
[3.11] Darum wird auch das Heilige, das da aus dir geboren wird, der Sohn des Allerhöchsten genannt werden!
[3.12] Du sollst Ihm aber, wann Er aus dir geboren wird, den Namen Jesus geben; denn Er wird erlösen Sein Volk von all den Sünden, vom Gericht und vom ewigen Tode.“
[3.13] Maria aber fiel vor dem Engel nieder und sprach: „Siehe, ich bin ja nur eine Magd des Herrn; daher geschehe mir nach Seinem Willen, wie da lauteten deine Worte!“ – Hier verschwand der Engel wieder, und Maria machte sich wieder an ihre Arbeit.
Am 1. August 1843
[4.1] Als aber darauf der Engel sobald wieder verschwand, da lobte und pries Maria Gott den Herrn und sprach also bei sich in ihrem Herzen:
[4.2] „O was bin ich denn doch vor Dir, o Herr, dass Du mir solche Gnade erweisen magst?
[4.3] Ich soll schwanger werden, ohne je einen Mann erkannt zu haben; denn ich weiß ja nicht, was Unterschiedes da ist zwischen mir und einem Mann.
[4.4] Weiß ich denn, was das so in der Wahrheit ist, schwanger sein? O Herr! Siehe, ich weiß es ja nicht!
[4.5] Weiß ich wohl, was das ist, wie man sagt: ‚Siehe, ein Weib gebäret‘? – O Herr! Siehe mich gnädig an; ich bin ja nur eine Magd von vierzehn Jahren und habe davon nur reden gehört – und weiß aber darum doch in der Tat nichts!
[4.6] Ach, wie wird es mir Armseligen ergehen, so ich werde schwanger sein – und weiß nicht, wie da ist solch ein Zustand!
[4.7] Was wird dazu der Vater Joseph sagen, so ich ihm sagen werde, oder er es etwa also merken wird, dass ich schwanger sei?!
[4.8] Etwas Schlimmes kann das Schwangersein ja doch nicht sein, besonders wenn eine Magd, wie einst die Sara, vom Herrn Selbst dazu erwählt wird?
[4.9] Denn ich habe es ja schon öfter im Tempel gehört, welch eine große Freude die Weiber haben, wenn sie schwanger sind!
[4.10] Also muss das Schwangersein wohl etwas recht Gutes und überaus Beseligendes sein, und ich werde mich sicher auch freuen, wenn mir das von Gott gegeben wird, dass ich schwanger werde!
[4.11] Aber wann, wann wird das geschehen, und wie? Oder ist es schon geschehen? Bin ich schon schwanger, oder werde ich es erst werden?
[4.12] O Herr! Du ewig Heiliger Israels, gebe mir, Deiner armen Magd, doch ein Zeichen, wann solches geschehen wird, auf dass ich Dich darob loben und preisen möchte!“
[4.13] Bei diesen Worten ward Maria von einem lichten Ätherhauch angeweht, und eine gar sanfte Stimme sprach zu ihr:
[4.14] „Maria, sorge dich nicht vergeblich; du hast empfangen, und der Herr ist mit dir! Mache dich an deine Arbeit, und bringe sie zu Ende, denn fürder wird für den Tempel keine mehr gemacht werden von dieser Art!“
[4.15] Hier fiel Maria nieder, betete zu Gott und lobte und pries Ihn für solche Gnade. Nachdem sie aber dem Herrn ihr Lob dargebracht hatte, erhob sie sich und nahm ihre Arbeit zur Hand.