(Am 27. Aug. 1850)
[2.236.1] Spricht der Offizier: „Du bist zwar ein guter Mensch, aber dabei ein närrischer Kauz! Du sagtest, dass wir schon lange gestorben wären und nun hier nur als Geister herumwandeln. Aber schau, schau! Da steht der herrliche Stephansdom, wie er sozusagen leibt und lebt! Der hohe gotische Turm gerade so, wie er seit seiner notwendigen Restauration ausgesehen hat! Nicht einmal ein Schwalbennest fehlt unter seinen vielen Gesimsen und durchbrochenen Verzierungen. Da – rings herum die seit alters her nur schon zu bekannten Häuser! Dort der unverkennbare Stockameisen. Das alles müsste denn auch Seele und Geist haben und gestorben sein und auf der Welt gar nicht mehr vorhanden sein, um hier – also in deiner Geisterwelt – für ewig fortbestehen zu können. Schau, schau, für so dumm musst du unsereins denn doch nicht halten und verlangen, dass man dir so etwas sogleich mir und dir nichts glauben könnte.
[2.236.2] Also schwärmtest du auch von Gott, dass Er Sich hier unter euch befinde und hier in Wien die altgebannten Geister aus ihrer Nacht befreite, um sie dann in die Himmel aufwärts zu führen. Aber wo tust du dich hin mit solch allerburleskesten Behauptungen? Das gehört ja doch in einen siebenten Stock des allerersten Irrenhauses!
[2.236.3] Gott, das unendliche, für kein endliches Geschöpf je begreifliche Wesen, ist eine heiligste Urkraft, die die ganze Unendlichkeit durchdringt – und soll hier in der höchst beschränkten Gestalt eines Menschen und noch dazu in einer sterblichen Umhüllung Sich befinden?! Mein Freund, so was zu glauben, wäre ja noch bei Weitem über eine Mariazeller Wallfahrt ob irgendeiner Gnade. Du bist doch, so du im Ernst der berühmte Blum bist, kein Mensch eines echt römisch-katholischen Leicht- und Aberglaubens gewesen; denn du warst ein Deutschkatholik. Wie möglich kamst du, wahrscheinlich in Amerika oder England, dazu, solch ein Zelot zu werden? Haben dich denn etwa gar die Irländer, die wahrlich nicht umsonst diesen Namen tragen, dazu umgewandelt? Haha, es ist wahrlich schon zum Tollwerden! So etwas zu glauben!
[2.236.4] Schau, Freund, ich könnte dich nun zwar samt deinem lieben Herrgott arretieren; aber ich unterlasse das, denn du bist mit deinen echt irländischen Ideen keinem Menschen mehr gefährlich. Sogar die Liguorianer und Jesuiten können mit dir Arm in Arm herumwandeln und haben von dir bei so bewandten, echt irischen Umständen nichts zu befürchten. Dein lieber Herrgott scheint auch ein wirklich ganz unschuldiges Lamm zu sein, sowie die ganze übrige, für eine Mariazeller Wallfahrt ganz reife Gesellschaft. Das Beste, nicht an dir, sondern bei dir, hörst du, wäre dein allerliebstes Weiberl. Beim Styx! Der zulieb machte ich am Ende noch selber eine Mariazeller Wallfahrt mit. Ist das etwa auch eine Irländerin? Sie wird es wahrscheinlich sein, sonst hätte sie bei ihren gewaltigen Schönheitsvorzügen unmöglich dich geheiratet, vorausgesetzt, dass ihr wirklich verheiratet seid. Sage mir doch, was sie für eine Landsmännin ist. Ist sie eine Inglismännin [Engländerin], oder was sonst?“
[2.236.5] Sagt die Helena: „Ich heiße Helena und bin aus echt Oberlerchenfeld gebürtig, waon’s was gspürn! Das ist das gewöhnliche ‚Irland‘ für die armen Wiener Sünder! Verstehn’s mich?“ – Sagt der Offizier: „O kotz Kreuz Bomben und alle Granaten! Potz Blitz und alle Elemente zu Wasser und zu Lande! Also eine Lerchenfelder Zirkassierin! O verfluchte Geschichte! Aber wie kommt denn das, dass Sie nun sein Weib sein sollen, indem meines Wissens er ja ohnehin ein Weib und mit demselben auch mehrere Kinder in Sachsen hat?“
[2.236.6] Sagt die Helena ganz echt wienerisch: „No wissen’s denn das nicht, Sie Kreuzblitzer von an Offizier? So lang man auf der Erd ist, hat man freilich ein gültigs Weib und soll für Rechts wegen ka zweite daneben haben, verstehen’s mich? Wenn man aber amal gstorben is und mit Gottes Gnad und Barmherzigkeit in den Himmel kommen is, da kriegt man nachher gleich an anders Weiberl, aber halt von der Erd ani. Denn im Himmel droben wachsen kani Madeln, wann’s nit ehender auf der Erd geboren worden san. Schaun’s nur, dass a bald in Himmel einikommen, da wird sich vielleicht für Ihnen a no so a recht saubers Weiberl auftreiben lassen! Aber unsern allerliebsten Herrgott müssen’s ehender wohl über alles recht liebhaben, sonst is nix, mein lieber Herr Offizier!“
[2.236.7] Sagt der Offizier: „Schade um das schöne Kind, dass sie eine gar so hundsgemeine Sprache spricht. Das ist ja ein schrecklicher Dialekt der edlen deutschen Sprache. Sagen Sie, echte Lerchenfelderin, sprechen im Himmel alle Frauenzimmer so wie Sie? Wenn das der Fall wäre, da bliebe ich schon lieber in gebildeten Zirkeln auf der Erde. Nein, ist aber das doch eine Hundssprache, wie es nur immer irgendwo eine geben kann.“
[2.236.8] Spricht die Helena: „No, ich bitt Sie, was meinen’s denn, was Sie für a politiertes Deutsch sprechen? Schaun’s, a jede Sprach is schön und gut, wann’s nur aus an ehrlichen Herzen und Mund kommt! Aber wann a Sprach a noch so politiert ist und kommt aber aus an rechten Spitzbubenherzen, was is sie nachher wert? Was wär Ihnen denn lieber, wann ich so recht hochdeutsch redete, Sie aber dann auch auf hochdeutsch anschmierete – oder wann ich so recht gemeinweg oberlerchenfelderisch red und es dabei mit Ihnen kreuzehrlich mein? Schaun’s, a so a recht hochdeutsche Sprach, besonders hier in Wien, is gwöhnlich a Verstellung. Der red’t hochdeutsch, weil er möcht die Leut von ihm meinen machen, dass er a Glehrter is, bei ihm selber aber is er an Esel in allen vier Elementen. Sagen’s, is so was nit a rechte Spitzbüberei, wann man die Leut mehr von sich meinen machen will, als man is? An anderer spricht hochdeutsch, um beim schönen Gschlecht Eroberungen zu machen, hat dabei aber gwöhnlich die schmutzigsten Absichten, wie ich’s nur gar zu oft erfahren hab. Sagen’s, is das nit wieder a recht grausliche Spitzbüberei? An anderer is bloß nur a Kommis in einer Zeughandlung; wann recht noble und schöne Mädchen und Damen hineinkommen, um was zu kaufen, so kegelt er sich völli den Mund vor lauter Hochdeutsch aus und lobt sein Waar auf echt sächsisch oder gar preußisch, um die Mädchen und Damen ja für sein Waar und vielleicht für noch was zu gwinnen. Sagen’s, is dann so a Sprach nit schon wieder a recht hochdeutsche Spitzbüberei? So geht’s auch in den Ämtern und Kanzleien zu. Diejenigen Beamten, die so recht hochdeutsch reden, sind gwöhnlich die gröbsten, stolzesten und dümmsten zugleich und wollen durch ihre hohe Sprach nix als ihre Fehler unsichtbar machen. Sagen’s, is so was nit schon wieder a rechte Spitzbüberei? Und das heißen Sie a gebildete Sprach, die die Leut brauchen, um anander recht tüchtig anzuschmieren? Jetzt hören’s mir nur bald auf, sonst wird’s mir übel!“
[2.236.9] Spricht der Offizier: „Nein, nein, mein liebes Kind, so meine ich es aber ja auch nicht! Sieh, ich meine es nur so, dass man in einer gebildeten guten Welt wenigstens so reden soll, wie man schreibt – aber nicht gar so provinzialisch, was einem gebildeten Ohr geradeso unangenehm klingen muss, als wie schlechte und in Grund und Boden falsche Musik. Schau, du bist, je länger ich dich betrachte, ein schönes Kind, dass ich wahrlich in meinem ganzen Leben noch nie ein schöneres Wesen gesehen habe, was doch gewiss sehr viel sagen will, da ich in der Art beinahe in ganz Europa sehr viel gesehen habe. Hättest du auch eine mehr gebildete Sprache, so wärst du eine reine Göttin. Aber wenn du redest, so streifst du den ganzen himmlischen Schönheitsnimbus herab, und man wird dadurch von der höchsten göttlichen Poesie in die alleralltäglichste Prosa versetzt. Schau, du hast dich ehedem als eine Himmelsbewohnerin ausgegeben, was ich dir deiner Gestalt nach auch gar nicht in eine Abrede stellen möchte; denn sie ist schön genug, um auch in einem noch so phantastisch schönen Himmel Aufsehen zu erregen, schön genug, um in den goldenen Gärten der Hesperiden zu glänzen. Aber so du dann mit deiner hundsgemeinen Sprache kommst, so fällt dann ein hochlyrisch-poetisches Gemüt, wie das meine, ja gleich von einem siebenten Himmel in den schmutzigsten Patsch der Erde zurück. Daher, so du schon durchaus ein himmlisches Wesen sein willst, so musst du auch wirklich durchaus himmlisch sein in der Sprache wie in der Gestalt, sonst glaubt dir’s ewig kein Kuckuck, dass du eine Bewohnerin des Äthers menschlich-lyrischer Phantasie bist.“
[2.236.10] Spricht die Helena: „Ich bitt Ihnen, reden’s nit gar so gschwollen und lahmlaket! Mit Ihren Komplimenten können’s Ihnen a bald hamleuchten lassen. Manen’s denn, ich bin etwa a so ani, die sich mit so an Komplimentenköder fangen lasst? Sie, wann’s das meinen, da sag i Ihnen glei: ‚Da schaut unser liebe Herrgott zum Fenster hinaus und sagt, es wird nix draus!‘ – Sie, i bin a Durchgwixte! Verstehen’s mich? Auf der Simringer Heid gibt’s Meisen gnug, die Sie fangen können; aber in Oberlerchenfeld muss man anders reden, wann man so noch wo an überbliebnes Ganserl fangen will. Meinen’s denn, ich kenn‘ etwa Ihre Begierden nit? Gehn’s und schaun’s, dass Sie mir nit gstohlen werden! Ihnen gfallt nur mein Gfrieß, mein Herz aber ghört vor Ihren Augen der Katz zu! Das geniert Ihnen freili, dass ich nit so fein gesprächig bin wie so an aufgeputzte Stadtfräule, aber das is justament gut für unserans, denn dadurch verschaff i mir a Ruh vor Ihnen. Da reden’s mit mein‘ Mann! Der kann schon besser hochdeutsch, als wie i. Glauben’s aber, was er Ihnen sagt, sonst werden’s no lang kan Himmel zu sehen bekommen!“
[2.236.11] Spricht der Offizier, sich die Ohren zuhaltend: „Gottlob, dass sie ausgeredet hat! Die treibt einen gebildeten Mann bei Gott zur Verzweiflung mit dieser Hundesprache. O du verzweifelter, allerechtester Lerchenfelder Rostbraten mit Knoblauch und echt böhmischem Rapunzelsalat! O Gott, o Gott! Mann! Robert! Freund! Bruder! Bist du taub? Was sagen deine Ohren zu solcher Ästhetik? Du feingebildeter Sachse, du Hofmann! Du kannst selig sein an der Seite dieses Rostbratens? Gott verleihe dir die höchste Geduld dazu! Mich brächte so eine Ehehälfte in wenigen Stunden zur Verzweiflung! Nein, hörst du, diese Sprache! Und je länger sie spricht, desto hundsgemeiner! Hier könnte ich mit dem göttlichen Schiller ausrufen: ‚Das Leben ist der Güter höchstes nicht‘ – aber der Übel größtes ist ein dummes, ungebildetes Weib! Sage, Freund, wie wird es dir denn, so sie mit dir spricht, obschon du ein ziemlich starker Irländer geworden bist? Wahrlich, so diese sonst ganz überirdisch schönste Gestalt ganz stumm wäre und durch Zeichen und Mimik redete, wäre sie bei Weitem interessanter als so mit solch einer Hundesprache. Nein, hörst du, die ist fest assekuriert [gesichert] vor mir! Und du darfst dich durchaus nicht fürchten, dass die je jemand zu irgendeiner Untreue bereden wird; denn die ist zu ungeheuer dumm!“
[2.236.12] Spricht Robert: „O da irrst du dich sehr! Die ist nur zu durchtrieben gescheit und hat dir einen Mut über zehn ganze Husarenregimenter! Sie redet auch nicht immer so, sondern nur, wann sie will. O sie kann dir auch gar wunderschön reden, so es ihr am rechten Ort und Platz zu sein dünkt. Ergibt sich aber dann wieder eine sie etwas genierende Gelegenheit, da wird sie wieder ganz Lerchenfelderin. Füge du dich nur dem, was ich dir gesagt habe! Gehe hin und rede mit Gott, dem Herrn Jesus Christus Selbst! Überzeuge dich von allem selbst! Dann erst rede und handle nach deiner subjektiven Überzeugung.“
[2.236.13] Spricht der Offizier: „Weißt du, das klingt alles wohl sehr närrisch und rätselhaft. Aber führe mich doch hin, ich will mich von allem überzeugen. Sollte es so sein, wie du mir sagtest, so sollt ihr an mir den wärmsten Teilnehmer finden. Im Gegenteil aber einen, der sich auch der Narren annehmen kann und wird.“
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