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196. Roberts und Helenas Ärger vor der Himmelspforte. Kados weiser Rat.

(Am 26. Mai 1859)

[2.196.1] Spricht Robert: „Ja, mein geliebtester Freund, da steht mein Verstand noch immer wie ein Paar junger Ochsen am Berg! Wer sich da auskennt, der muss weiterher sein als ich. Wenn der Herr gesagt hätte: ‚Dort vor jener Pforte, die in das vierte und größte Gemach deines Hauses führt, harrt Meiner bis Ich nachkomme und euch öffne das Tor des Lebens!‘ – da wäre dieser Wartezustand ein natürlich-erträglicher und man könnte sich ein längeres Harren wohl ganz begreiflichermaßen gefallen lassen. Aber so sprach der Herr doch ausdrücklich schon von einer offenen Türe und dass ich mit der Helena nur alsogleich vorauseilen soll, und gewisserart mich darinnen umsehen, und für die Aufnahme und für den Empfang der Nachkommenden da sein soll, wie ich es wenigstens aus Seiner klaren Rede entnommen. Und hauptsächlich aber sagte Er ausdrücklich von der hier nötigen Eile wegen großwichtiger Dinge, die uns da erwarten und von uns zu versehen und abzumachen seien.

[2.196.2] Wir eilten nach aller Möglichkeit hierher voran, um dem Willen des Herrn ja pünktlichst nachzukommen. Wir kamen, fanden die Pforte aber unaufmachbar und stehen nun schon eine allergeraumste Weile vor der verschlossenen. Frage: Was ist das, was heißt das, und warum denn das also? Wie gesagt, wer sich da auskennt, der muss von sehr viel weiter irgendwoher sein als ich. Das ist denn doch wahrlich etwas zu stark! Ich lasse mir wohl auf der Erde von dummen und aberwitzigen Menschen eine Erste-April-Sendung gefallen; aber hier im Reich reiner Geister, und namentlich vom Herrn Selbst, sieht diese für mein Erkenntnis, wie es ist, barste Fopperei doch etwas sonderbar aus.

[2.196.3] Aber: ultra posse nemo tenetur (von niemand kann man übers Vermögen verlangen). Wir erfüllten bisher, soweit unsere Kräfte genügten, des Herrn Willen doch sicher vollkommen. Es geht nun nicht mehr weiter, und so bleiben wir denn auch hier stehen. Versorgt scheinen wir gerade mit allem zu sein, was uns nottut. Ums vierte Gemach aber werde ich mich von nun an sehr wenig zu kümmern anfangen. Freilich heißt es, dass das Himmelreich Gewalt leide, und dass man es mit Gewalt an sich reißen muss, um es zu besitzen. Aber kann man dem Himmelreich wohl eine größere Gewalt antun, als sie einem zu Gebote steht? Ich meine, das wäre eine Kunst aller Künste! Wir haben einmal unser Möglichstes geleistet, und es ging nicht. Nun soll sich jemand anderer daran machen und sein Glück versuchen.“

[2.196.4] Spricht die Helena: „Schau, aber gerade dieser Meinung bin ich auch. Was einmal durchaus nicht gehen will, davon wende man sich ab und lasse es stehen.“

[2.196.5] Spricht Kado: „Meine Lieben, ihr räsoniert zwar recht, wie man sagt, vernünftig; aber dem ungeachtet kann ich mich eurer Meinung nicht anschließen, da ich an der Möglichkeit nicht zweifle, dass diese Pforte eröffnet werden könne. Haben wir denn schon alles versucht? Ich sage: Nein, das haben wir wahrlich nicht! Und so am Ende die Pforte doch offen wäre und ihr sie nur darum nicht hättet eröffnen können, weil ihr höchstwahrscheinlich, wie es mir nun bei genauerer Betrachtung dieser Pforte ganz klar wird, sie umgekehrt zu eröffnen euch bestrebtet!

[2.196.6] Ihr habt die Pforte nach öfterer Umdrehung des goldenen Schlüssels wohl mit aller Kraft hineindrückend öffnen wollen – und ich selbst half euch, nach eurem Wollen und Erkennen und Begehren, denn ihr wisst, dass hier jede Hilfe sich danach zu richten hat, wie der, dem sie werden soll, sie geleistet zu haben wünscht, indem das die Ordnung der Himmel bedingt. Aber ich sehe den Irrtum recht gut ein, konnte ihn aber auch nicht eher aufdecken, als bis ihr nicht selbst durch ein gewisses Suchen, Bitten und Anklopfen dahintergekommen sein dürftet. Ich habe euch zwar wohl auf diesen evangelischen Rat aufmerksam gemacht; aber ihr habt ihn nicht befolgt, und so habt ihr auch die Entdeckung nicht machen können, dass diese Pforte nicht nach innen hinein, sondern nur nach außen aufzumachen ist, und das aus dem ganz natürlichen Grund, weil die Pforte auch das Himmelreich im kleinsten Maßstab vorstellt, das man mit Gewalt an sich reißen, nicht aber von sich hinwegschieben darf. Es ist aber ja natürlich schon so, dass, so man etwas haben will, man dasselbe zu sich nehmen und gewisserart an sich ziehen muss, nicht aber von sich hinwegschieben.

[2.196.7] In den Himmeln ist einmal in allem und jedem vom Kleinsten bis zum Größten dieselbe feste, unwandelbare Ordnung, der nirgends, und sei es in noch so was Unbedeutendem, wie es nur irgendetwas Unbedeutendes geben kann, dawider gehandelt werden darf, und so ist es auch beim Toraufmachen. Ihr habt dieser Ordnung dawider gehandelt und habt daher nichts ausgerichtet. Versucht es nun, im Namen des Herrn ordnungsmäßig mit der Eröffnung dieser Pforte vorzugehen, und ihr werdet das sicher erreichen, was ihr schon lange hättet erreichen können.“

[2.196.8] Spricht Robert-Uraniel: „Aber liebster Freund, ich begreife nun meinen gewaltigsten Irrtum! Aber etwas anderes begreife ich nicht, und das bist du, liebster Freund, selbst! Woher du solche Weisheit nimmst, vor der ich mit der meinen nun schon zu einer Blattmilbe herabsinke? Ich sage: eine Weisheit, vor der sogar der tiefweiseste Cherub einen allergrößten Respekt haben müsste, so er sie hier an meiner Seite vernähme! Wahrlich, das ist mir ein Rätsel der Rätsel! So der Herr hier wäre, so könnte Er mich unmöglich weiser belehren, als wie du mich nun belehrt hast! Wahrlich, das ist mir ein Rätsel der Rätsel!“

[2.196.9] Spricht auch die Helena hinzu: „Ja, ja, das ist wahr! Wie der Freund Kado weise ist – das ist wahrlich allen Himmeln ungleich. Er muss es aber auch sein, sonst hätte der Teufel keinen solchen Respekt vor ihm. O das hat der Freund schon auf jenem Hügel bewiesen, wo er dem Teufel der Teufel ganz kurios die Courage abgekauft hat. Wenn ich auch gerade nicht, wie der Miklosch, immer hingesehen habe, so habe ich aber dennoch alles gesehen, was dort vorgegangen ist, und darum habe ich aber auch einen besonders großen Respekt vor dem Kado.“

[2.196.10] Spricht Kado: „Aber meine liebe Freundin, weißt du denn nicht, dass Kado eigentlich selbst ein Teufel war? – und dass sonach auf dem bewussten Hügel des Nordens ein Teufel dem anderen in den Haaren lag?“ – Spricht die Helena: „Wenn Kado jemals ein Teufel war, so war ich sicher desgleichen zehnfach, aber Kado war nie ein Teufel im Ernst, sondern vielleicht bloß nur erscheinlich – um dem andern wahren Teufel desto mehr opponieren zu können! Und das ist auch eine große Weisheit, die einem wahren Teufel darum unmöglich ist, weil in ihm keine Liebe wohnt.“

[2.196.11] „Bravo!“, sagt Kado, „das ist dir gut gelungen! Solange im Kado keine Liebe war, war in ihm auch keine Weisheit, wie aber Kado in sich die Liebe aufnahm, da belebte er auch die Weisheit und kämpfte dann mit dieser Waffe wider den Teufel – eine Waffe, vor der jeder Teufel den größten Respekt hat.

[2.196.12] Aber nun macht euch einmal an die Eröffnung der Pforte. Denn ich sehe dort in wohl noch sehr starker Ferne die ganze große Gesellschaft sich hierher bewegen. Was wird sie sagen, so sie uns noch hier vor der uneröffneten Pforte treffen wird?“

[2.196.13] Spricht Robert-Uraniel: „Ich habe vor der Eröffnung dieser Pforte nur noch einen einzigen evangelischen Anstand – eben mit der Pforte selbst. Es heißt im Wort des Herrn ausdrücklich: ‚Die Pforte aber, die in den Himmel führt, ist eng. Ihr müsst durch die enge Pforte ziehen, so ihr in den Himmel kommen wollt!‘ – und ungefähr so weiter im Buch des Lebens. Betrachte aber diese Pforte, welche Höhe und welche Breite! Meinst du wohl, dass dies ein rechter Eingang in den Himmel ist?“

[2.196.14] Spricht Kado: „Freund, du hast noch manche materielle Vorstellung vom Gotteswort! Bedeutet denn die enge Pforte im Evangelium nicht die Demut des Herzens – und nicht eine wirkliche Türe? Aber schaue doch! Öffne sie nur, diese hohe Pforte! Sie wird dir wohl auch noch etwas eng werden!“

[2.196.15] Spricht Robert-Uraniel: „Es ist doch wahrlich manchmal in hohem Grad merkwürdig, wie dumm man zuweilen wird! Ja man wird manchmal wirklich dümmer als ein Ochse! Denn ein Ochse bleibt denn doch vor einem Tor stehen, aber unsereiner wollte sozusagen mit dem Kopf sogleich durch die Mauer rennen. Und sieh, Bruder, ich war nun unbegreiflicherweise so dumm und wollte diese Pforte stets hinein von mir weg aufmachen. Als es mit leichter Mühe nicht gehen wollte, brauchte ich Gewalt. Und als es auch mit aller Gewalt nicht ging, da ward ich sogleich verdrießlich, wollte meine Kleider nicht mehr, wünschte mir die Minerva her, auf dass sie mir ein wenig im Schimpfen unter die Arme greifen möchte. Aber dass es mir anstatt all dieser Dummheiten eingefallen wäre, dass die Pforte vielleicht herauswärts zu mir aufzumachen wäre; o von dem wäre mir ja nicht eine Silbe eingefallen! Gelt Helena, du wirst mit mir eine rechte Freude haben, weil ich so schön dumm bin wie zehn Ochsen auf einmal?“

[2.196.16] „Ah, das ist alles eins!“, spricht die nun schon wieder sehr munter aussehende Helena, „ich bin ja ebenso dumm! Hätte es mir ja doch auch einfallen können, was der Freund Kado uns geraten hat. Aber so man schon dumm ist, da ist man dann aber auch recht dumm. Zwar wissen wir beide noch nicht als ganz bestimmt, ob die Pforte herwärts sich öffnen werde oder nicht. Aber es ist dessen ungeachtet schon dumm genug, dass wir beide damit keinen Versuch gemacht haben. Nun aber gehe doch hin und versuche die Geschichte noch einmal, und zwar nach hineinwärts – dann aber erst, wie es dir der Freund Kado geraten hat.“ – Spricht Robert: „Nein, nach hineinwärts versuche ich’s nimmer! Aber nach heraus zu mir soll sogleich ein Versuch gemacht werden.“

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