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62. Bei der losen Wiener Gesellschaft. Die Fleischeshelden sind erkrankt. Um Heilung zu finden, betreten sie Roberts Haus auf dessen Einladung.

[1.62.1] Robert Blum: „Seht einmal zu diesem Fenster hinaus in den herrlichen Garten, der dieses Haus umgibt weit und breit, und sagt mir, was ihr da seht?“

[1.62.2] Die drei gehen sogleich ans Fenster und schauen hinaus. Aber kaum [haben sie] einen Blick durch dasselbe gemacht, schaudern sie förmlich zurück. Und Jellinek nimmt das Wort und spricht: „Aber Brüder! Um Gottes, des Herrn, Willen, was ist denn das? Sind das Menschen, Tiere oder Teufel!? Es scheint alles durcheinandergemengt zu sein! Nein, so was hätte ich in der Nähe dieses Hauses wohl ewig nicht vermutet! Wahrlich, da sieht man ja auf einmal alle Scheußlichkeiten der alten, schmutzigsten heidnischen Mythologie auf einem Haufen beisammen – plastisch und tatsächlich! Ich bitte dich, lieber Bruder, verschließe doch die Pforte des Hauses fest, und die Türe dieses Zimmers, sonst laufen wir Gefahr, dass diese Bestien zu uns hereindringen und uns alle bei Butz und Stängel rein auffressen!“

[1.62.3] Spricht Blum: „Oh, fürchtet euch dessen nicht! Sie sehen im Grunde nicht gar so abschreckend aus, als wie sie auf den ersten Blick von hier euch vorkommen. Dass sie euch aber so abschreckend vorkommen, das rührt daher, weil sie euch noch von Wien aus darum im Zornmagen haben, weil sie meinen, ihr hättet sie an den Windisch-Graetz verraten! Werden sie einmal vom Gegenteil überwiesen sein, so werden sie euch dann auch sogleich etwas menschlicher vorkommen. Denn wisset, das sind allerlei Wiener Individuen, die in den ominösen Oktobertagen als Kämpfer für die irdische Freiheit gefallen sind, durch die Waffen der kaiserlichen Soldaten, und glauben nun, dass dieser Fall gar nie möglich gewesen wäre, so besonders der Bruder Messenhauser an ihnen nicht einen heimlichen Verräter gemacht hätte! Werden sie aber vom Gegenteil überführt, dann wird auch etwas anderes mit der Hilfe Gottes mit ihnen zu machen sein! Und sollten unter ihnen auch einige sein, die sich nimmer sollten eines Besseren belehren lassen, nun, so wird der Herr schon wissen, mit Seiner Macht solche Böcke von den besseren Schafen so abzuscheiden, dass sie weder uns und ebenso wenig der andern, bessern Herde mehr gefährlich sein können!

[1.62.4] Daher werden wir denn auch sie hereinkommen lassen und werden sie da nach dem Willen des Herrn in die Arbeit nehmen! Denn da wir doch auch sehr viel schuld daran waren, dass sie durch unsere Reden und Gesetze dahin gekommen sind, wo sie sich nun elend genug befinden, so ist es nun auch vor allem unsere Pflicht, sie auf einen besseren Weg zu bringen! Und so folgt mir nun hinaus zu ihnen, im Namen des Herrn.“

(Am 25. März 1849)

[1.62.5] Blum begibt sich nun in der Mitte des Messenhauser und Becher hinaus in den Garten, allwo sich noch die schon bekannten Wiener befinden, nebst ihren ganz matt gewordenen Konkubinen, und ihren genotzüchtigten Töchtern. Ich aber folge den drei Vorgängern mit dem Jellinek an Meiner Seite sobald in den Garten, wo wir die Menge in einem ersichtlich sehr unbehaglichen Zustand antreffen,

[1.62.6] und Blum sie auch sogleich fragt, wie es ihnen nun ergehe, da schreien sie nahe alle zugleich auf: „Miserabel elend und schlecht! Helft uns, oder bringt uns um dieses elende Sauleben; das wird uns eine Leberwurst sein! Ist das nicht rein zum [des] Teufels werden!? Jetzt stell dir’s vor, was wir hier in diesem dreckigen, nach faulen Pomeranzen riechenden Geisterreich alles für schöne und merkwürdige Erfahrungen gemacht haben! Es ist wahr, wir haben es mit der Menscherei ein wenig zu arg getrieben. Aber wir sind Viecher und waren nie was anderes, weil wir nie zu etwas Besserem sind erzogen worden, woran natürlich nicht wir, sondern unsere weisen und milden Regenten die alleinige Schuld tragen. Und so unterhielten wir uns denn auch hier auf jene beliebte Art gleich dem Vater Adam mit der Eva, wodurch dann der erste Brudermörder Kain, dergleichen es jetzt zu Millionen gibt, das Dasein erhielt! Aber nun höre, was an der Sache hier im Geisterreich ganz besonders und zugleich auch ganz niederträchtig verflucht merkwürdig ist, wir sind dir, was kaum glaublich, hier fast durch die Bank angesteckt worden! Oh, das ist ja doch verflucht, hier, im Geisterreich, angesteckt! Und das wie!? Hörst Brüderl, das wär so ein Paradieserl! Wenn’s hier nur irgendeine Hilfe gäbe! Aber da ist überall nichts, wo man nur hinschaut! Du siehst also nun, wie es uns geht! Daher sei doch so gut und verschaffe uns irgendeine Hilfe, oder bringe uns alle um, wenn’s dir möglich ist! Denn es ist ja doch zehntausendmal besser, gar nicht zu sein, als zu sein unter gar so scheußlich bittern und schlechten Umständen!

[1.62.7] Apropos, noch was! Sage uns auch, wer deine Begleiter sind? Den einen kennen wir schon; das ist der sogenannte eigentliche Hausherr dieses Hauses, ein recht rarer Mann Gottes! Aber die anderen drei kennen wir nicht! Geh und sag‘ uns, wer sie sind!“

[1.62.8] Spricht Blum: „Meine armen, kranken Freunde, seid ihr denn gar so blind, dass ihr den Messenhauser, Becher und Jellinek nicht mehr erkennen mögt?“

[1.62.9] Schreien mehrere: „Potztausend und fix Laudon! Was!? Die drei Hauptlumpen sind das! Na, hätt‘ mer uns a eher den Tod eingebild’t, als dass wir besonders den Hauptspitzbuben Messenhauser nochmal zu Gesicht kriegen werd’n! Aber sein Glück, dass wir nun alle so miserabel san! Sonst hätten wir ihm hier wohl einen ganz kuriosen Dank für sein Oberkommando in Wien zukommen lassen! Aber weil wir für eine handfeste Dankbezeugung zu schwach sein, so kann er sich unterdessen bloß mit dem vertrösten, dass wir ihn allesamt für einen recht ausgepickten Lumpen und Spitzbuben ansehen und in der Wahrheit anerkennen und wünschen ihm, was er sich selbst sicher gar nicht wünscht! Also Messenhauser, Becher und Jellinek! Na, so kommt da aber alles G’sindl zusammen! Wirklich a schön’s Paradieserl das!“

[1.62.10] Spricht Blum: „Sagt ihr mir, geschieht es euch nun leichter, dass ihr diese meine Freunde so beschimpft habt?“ – Sagen die Männer: „Na, das just am End‘ nicht. Aber wir haben’s ihnen ja sagen müssen, weil sie es wirklich verdient haben! Du weißt es ja selbst, wie und warum?!“

[1.62.11] Spricht Blum: „Hört, lassen wir das nun gut sein, was vorüber ist, das ist vorüber! Keiner von uns allen, mit Ausnahme meines früheren Freundes, der nun mit Jellinek sich bespricht, kann von sich sagen und behaupten, dass er nie gefehlt habe! Ich glaube vielmehr, dass wohl ein jeder von uns die Skala aller Todsünden nicht einmal, sondern zu sehr öfteren Malen durchgemacht hat – nur mit dem Unterschied, dass einer bald in der einen und ein anderer in einer anderen Todsünde als exzellent sich erwiesen hatte; und es wäre sehr dumm von mir, so ich nun diese drei von euch Beschuldigten als unschuldig vor euch hinstellen wollte. Sie haben ihre gehörige Portion Sünden begangen; aber wir haben es unsererseits auch durchaus nicht gespart. Wer aus uns vor Gottes Richterstuhl eigentlich für die Hölle reifer wäre, das dürfte dem ewigen Meister des Lebens wohl nicht viel Kopfzerbrechen und Nachdenken kosten! Aber da meine ich, da wir schon alle durch die Bank vor Gott kaum das wert sind, als wie hoch uns der gute Fürst Windisch-Graetz in dem Stadtgraben und in der Au taxiert hat, so sollen wir uns gegenseitig hier wohl gar nicht mehr anschuldigen und anklagen, sondern uns die Hände unter der allgemeinsten gegenseitigen Amnestie reichen, uns gegenseitig alles vergeben und so hier in diesem neuen Reich und Leben auch eine neue Kolonie aus lauter Freunden und Brüdern gründen! Und ich meine, dass uns das in der Folge viel bessere Früchte tragen wird, als so wir uns auch hier noch richten wollten, wo ohnehin ein jeder von uns ein ganz gehörig vollgemessenes Maß des Gerichts auf seinen Schultern zu tragen hat! Was meint ihr da, wie gefällt euch dieser mein sicher bestgemeinter Antrag?!“

[1.62.12] Schreien alle: „Ja, ja, du hast vollkommen recht, und dein Antrag gefällt uns außerordentlich wohl! Aber nur die Gesundheit, die Gesundheit tut uns vor allem not! Denn du weißt, dass ein leidender Mensch oder Geist nicht leicht zu einem gesunden Beschluss kommen kann, und a Weaner [ein Wiener] schon gar nicht! Denn ein kranker Weaner ist für die Sau zu schlecht!“

[1.62.13] Spricht Blum: „No, no, lasst das nur gut sein! Erhebt euch und kommt alle zu mir ins Haus! Dort werden sich schon Mittel finden, euch wieder gesund zu machen. Denn da draußen habe ich weder einen Arzt noch eine Apotheke. Denn hier ist fürs Äußerliche mit keinem Arzt etwas zu machen, weil hier alle Übel von innen aus geheilt werden müssen, so einem Kranken geholfen werden soll. Und dazu ist es auch nötig, dass ihr euch in einem Haus befindet, und hier zwar in diesem meinem Haus, das mit allem Möglichen reichlichst eingerichtet und bestens versehen ist! Erhebt euch daher nur und folgt mir!“

[1.62.14] Auf diese Worte Blums erheben sich alle, auch die weiblichen Wesen, und hatschen, so gut es nur immer geht, uns nach ins Haus, und zwar in das schon bekannte Zimmer, das da groß genug ist, um viele Tausend Gäste aufzunehmen.

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