(Am 3. März 1849)
[1.54.1] Spricht Jellinek: „Bis auf dein Fatum ganz vollkommen einverstanden in allem! Aber mit deinem Fatum scheint es, weißt du, wie es die Wiener sagen, einen Faden zu haben, und das einen sehr bedeutenden!“
[1.54.2] Spricht Messenhauser fragend: „Wieso? Erkläre dich darüber deutlicher!“
[1.54.3] Spricht Jellinek: „Nur eine kleine Geduld, mein lieber Bruder Messenhauser! Denn weißt du, so was lässt sich nicht sogleich wie mir und dir nichts aus dem Ärmel herausbeuteln! Aber ich will es dennoch versuchen, dir dein leidiges Fatum ein wenig aus deinem Kopf herauszutreiben.
[1.54.4] Siehe, du warst dein ganzes Leben lang nur ein Mensch, der sich nie viel mit der höheren Sphäre der Wissenschaften abgegeben hat. Du warst sozusagen schon mit dem Einmaleins zufrieden und kümmertest dich wenig oder nie um die höhere Mathematik! Du weißt schon, was ich mit dieser Anspielung sagen will? Kurz und gut, du warst ein Schalen- oder Hülsengelehrter, als Belletrist, und hast dich wenig um den Kern der Wissenschaften bekümmert. Daher kam es denn auch, dass dir das innere Wesen der Dinge verschlossen bleiben musste. Weil dir aber dieses Wesen verschlossen blieb, so konntest du auch nie jene wohlbegründete Einsicht bekommen, in der sich dir eine gar wunderbar wohlberechnete Ordnung in all den Dingen und ihren Wirkungen und Gegenwirkungen beschaulich dargestellt hätte. Und so bliebst du nur an der äußeren Rinde kleben, die freilich wohl dem ersten Anschein nach das Aussehen hat, als wäre sie bloß nur des leidigen Zufalls Werk. Aber es ist dem nicht so, sondern ganz anders!
[1.54.5] Sage mir, Bruder, hast du schon einmal erlebt, dass so irgendwo aus bloßem Zufall ein Haus mit all seinen Einrichtungen entstanden ist? Du sprichst: Nein, so was sei noch nie geschehen! – Gut, sage ich; wenn der Zufall aber nicht einmal ein dummes Haus zuwege bringen kann, wie soll er eine ganze Erde erschaffen können, auf der wir doch die wohlberechnetsten Wunderdinge in einer Unzahl antreffen, von denen das allereinfachste schon eine viel zu tief durchdachte und weiseste Konstruktion aufweist, als dass man nur von Ferne hin, sogar mit verbundenen Augen auf die Mutmaßung kommen könnte, zu behaupten und zu sagen: Das ist ein Werk des stummen und sozusagen blindesten Fatums! Bruder, du gibst mir recht, und das freut mich! Aber höre mich nur noch ein wenig weiter an!
[1.54.6] Betrachte du nun aber erst die wunderbarsten Einrichtungen der Pflanzen! Wie streng und genau sie in ihrer einmal gestellten Form durch Jahrtausende als stets dieselben vorkommen und ihr Geschlecht und ihre Tauglichkeit auch nicht um ein Atom ändern. Wie unberechenbar kunstvoll muss schon die bloß nur mechanische Konstruktion eines Samenkorns sein, der zufolge es aus der Erde nur die ihm zusagenden Teile an sich zieht, durch die es sich dann wieder, und zwar allzeit vervielfältigt regeneriert! Von dem übersinnlichen Wesen eines Samenkorns will ich eigentlich gar nichts reden, denn wer begreift jene rein göttliche Berechnung, der zufolge ein einziges Samenkörnchen zahllose Myriaden seinesgleichen in sich fasst, und das nicht nur in der Form des Samenkorns, sondern auch in der Form der Pflanze, auf der das Samenkorn reift.
[1.54.7] Nehme an nur eine Eichelnuss! Setze sie ins Erdreich, so wird in Kürze ein ganzer Eichbaum zum Vorschein kommen, und dieser wird dir dann durch viele Jahre hindurch eine unzählbare Menge Eichelnüsse abgeben. Wenn du all diese Nüsse wieder in die Erde legst, so wirst du schon einen Wald von vielen Millionen Eichbäumen haben, die dir alle die gleichen Früchte erzeugen werden, in einer dir nimmer berechenbaren Vielheit! Und siehe, das alles liegt wunderbarst in einer jeden Eichelnuss vor unseren Blicken verborgen und ist doch unleugbar da! Wenn aber so, o sage mir dann, ob ein Fatum eine Eichelnuss wohl also einzurichten vermag?“
[1.54.8] Spricht Messenhauser: „Bruder Jellinek, wahrlich, ich muss es dir sagen, dass du ein ganzer Theosoph bist! Dein ganz schlichter Beweis mit der Eichelnuss hat mir mehr gesagt als all die gelehrten Phrasen, mit denen ich je auf der Erde meinen Gehirnkasten belästigt habe! Von der totalen Nichtigkeit eines Fatums bin ich nun total und geläutertsten Erkenntnisses überzeugt, und ich brauche wahrlich weiter gar nichts mehr. Denn dein Beweis war ein schlagender für mich. Aber nun kommt was anderes:
[1.54.9] Einen Gott voll der höchsten Urmacht und Weisheit muss es sonach geben – das kann mein Gemüt und all mein Verstand ewig nimmer in eine Abrede stellen! Aber wo und wer ist dieses Gottwesen? Kann es von einem Geschöpf je erschaut und begriffen werden?! Ich kann mich noch gar wohl entsinnen, wie ich noch als Studierender in der fünften Gymnasialklasse die sogenannte biblische Geschichte habe zu studieren gehabt und da einen Text gefunden habe, und so ich mich nicht irre, etwa wohl in einem der fünf Bücher Moses; dieser Text lautete: Gott kann niemand sehen und leben zugleich! Dieser ominöse Text soll dem Moses aus einer Feuerwolke zugerufen worden sein, als er an die mit ihm redende Gottheit das heißeste Verlangen stellte, Selbe nicht nur zu hören, sondern auch zu schauen. Ich muss dir aufrichtig bekennen, dass ich eben zufolge dieses Textes wohl noch immer einerseits so einen gewissen halben Glauben an die Gottheit behielt. Aber was dann den Glauben betrifft, dass der gewisse Jesus die Fülle der Gottheit in sich fassen soll, da muss ich euch, meinen beiden liebsten Freunden, ganz offen bekennen, dass ich darin ein reinster Atheist war und respektive es noch bin.
[1.54.10] Es hat zwar die reine Lehre Jesu, natürlich getrennt von den ihr beigemischten Wundermärchen, wahrhaftig die alleredelsten und allerrichtigsten mit der Natur der Menschen vollkommen übereinstimmenden Grundsätze, gegen die sich gar nichts einwenden lässt. Es setzt wahrlich einen vollkommensten Anthropologen (Menschenkenner) voraus, um solche allgemeinst praktikable Grundsätze aufstellen zu können! Aber dass der Erfinder solcher Grundsätze darum auch ein Gott sein soll, weil er aus dem klar vorliegenden Bedürfnis der Menschen moralische Grundsätze, die sich mit der allgemeinen Natur der Menschheit am besten vertragen, abstrahiert, zusammengestellt und endlich gelehrt hat – das geht über allen Horizont meines Wissens und Glaubens!
[1.54.11] Die Lehre für sich kann also ganz gut bloß nur menschlichen Ursprungs sein und benötigt keines Gottwesens. Denn so jeder richtigen Lehre Urheber ein Gott sein müsste, da müsste es nun schon beinahe wimmeln vor lauter Göttern auf der Erde! Euklides, als der Erfinder der geometrischen Figuren, eine der wichtigsten Erfindungen, wäre ein Gott! Der Erfinder der Ackergerätschaften, die von unberechenbarer Wichtigkeit sind, wäre schon eine Art Gott-Vater! Der Erfinder der Zahlen dito! Der Erfinder der Schiffe ebenfalls ein Gott! Und so noch zehntausend und mehr andere allerartige Erfinder von den verschiedensten nützlichsten Dingen! Wie aber das ganze Heer von allerlei Erfindern von gleich großen, wichtigen und nützlichen Dingen nie noch auf eine Vergötterung Anspruch machte, also glaube ich, dass der Erfinder der besten und einfachsten Moral wohl auch darauf hatte Verzicht leisten können. Meines Wissens hat er auf die lächerliche Vergöttlichung wohl nie einen Anspruch gemacht. So aber in jener Zeit kurzsichtige und sehr abergläubige Menschen aus ihm einen Gott machten, weil er tausendmal gescheiter war als sie, so soll uns das nun nicht mehr beirren, Jesus nicht mehr lächerlicherweise für einen Gott, sondern nur als das, was er wirklich war, zu halten! Denn ich glaube, dass die gegenwärtige Menschheit es endlich doch einmal einsehen soll, dass das Unendliche niemals endlich werden kann; dass Gott ewig Gott bleibt, und der beschränkte Mensch nur ein beschränkter Mensch.
[1.54.12] Doch es lohnt sich hier wahrlich nicht der Mühe, viele Worte darüber zu machen, was gegenwärtig bei allen Grundgelehrten als eine ausgemachte Sache betrachtet wird. Aber, was ich früher bemerkt habe, nämlich das: Wo und wer so ganz eigentlich die Gottheit ist, deren Dasein ich nun durchaus nimmer bezweifeln kann, darüber sagt mir etwas, ihr meine beiden lieben Freunde!“
[1.54.13] Spricht Jellinek: „Ja, du mein liebster Bruder Messenhauser, das ist eine ganz verzweifelt kitzlige Sache! Das Wo und das Wer werden wir wohl wahrscheinlich ebenso wenig herausbringen, als wie du soeben selbst recht trefflich als Gegenbeweis für die Gottheit Jesu gesagt hast, dass nämlich das Unendliche niemals endlich werden kann! Denn so wir endliche Wesen das unendliche Wesen der Gottheit begreifen wollten, da müssten wir es zuvor endlich machen können, was natürlich ganz vollkommen unmöglich ist, und ebenso scheint es mir auch vollkommen unmöglich zu sein, von dem unendlichen Gottwesen mehr zu wissen und zu begreifen, als was ich dir früher durch das Beispiel der Eichelnuss gezeigt habe! Ich bin nun der Meinung, wir sollen uns nun mit etwas anderem abzugeben anfangen. Denn im Punkt der Gottheit werden wir alle drei ganz verzweifelt wenig herausbringen.“
[1.54.14] Spricht Becher: „Ja, ja, du hast ganz vollkommen recht! Denn die Gottheit ergründen wollen, heißt wahrlich, wie eine alte, aber recht gelungene Kirchenfabel sagt: das Meer in eine hohle Nuss einfassen wollen! Lassen wir daher dieses Feld, das kein Ende und kein Absehen hat, und fangen wir von etwas anderem zu parlieren an, z. B. was etwa unser Freund, der Blum, in dieser Welt, oder was etwa unser Erzfeind, der Windisch-Graetz, auf der Erde nun macht, und ob er nicht etwa auch bald zu uns herüberkommen wird, wo wir ihn ganz gebührend empfangen würden!“
[1.54.15] Spricht Jellinek: „Brüder, was unsern Freund, den samt uns armen Blum betrifft, ja, da bin ich gleich dabei! Aber mit dem Alfredius Windisch-Graetz verschont mich; denn diesen Tiger wünsche ich wohl ewig nimmer zu Gesicht zu bekommen! Aber horcht, horcht! Mir kommt es vor, als vernehme ich noch mehrere Menschenstimmen außer[halb] der Tür, die nun offensteht! Erheben wir uns einmal von diesem unserem Disputiertisch und begeben uns zur Tür, um zu sehen, was es etwa außer[halb] derselben gibt.“
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