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48. Wundervolles Innere des Hauses. Skandalszenen der Wiener Gesellschaft im Garten und Roberts Ärger darüber. Der Herr beginnt die Seelenkur der Argen.

[1.48.1] Spricht Robert: „O Freund, o Bruder! Wunderherrlich, wunderherrlich! Man sieht es von außen diesem Haus wahrlich nicht an, dass es innerlich so herrliche und so geräumige Gemächer enthalten soll! Und wie herrlich ist die Aussicht durch die schönsten, hohen Fenster! Ach wie herrlich nimmt sich nur der Garten aus! Und die schönsten Gebirgsgruppen in der Ferne! Und wie lieb die vielen netten Häuschen, die die umliegenden kleinen Hügel zieren! Ach Freund, ach Bruder, das ist ja mehr als himmlisch!

[1.48.2] Aber da sieh, da sieh bei dem ersten Fenster hinaus! Was ist denn das für ein wahrstes Lumpenpack?! Ah, ah, nein, so was von einem allerechtesten Lumpengesindel ist mir noch nie vorgekommen! Da, da! O der frechsten Unverschämtheit! Sieh, sieh, ein Schöckchen [ein paar] lustiger Dirnen ziehen die lumpigsten Mannsbilder! Ah, ah, das ist zu arg! Die müssen wir denn doch aus dem Garten schaffen!?“

[1.48.3] Rede Ich: „Siehe, das sind schon so einige ‚Wiener Früchtchen‘! Es sind dieselben, die dir draußen alles bejahten. Da wir nun aber ins Haus gegangen sind, da sind sie lieber draußen geblieben, als dass sie dir gefolgt wären – und unterhalten sich nun nach ihrer Lieblingsweise! Sieh dich nur um und zähle sie, die uns ins Haus gefolgt sind; und du wirst auch nicht einen finden! Denn die etlichen Buhldirnen sind ihnen mehr als wir und alle deine Lehren! Und sie werden ihnen noch lange mehr sein als wir beide!

[1.48.4] Gehe aber jetzt hinaus und mache ihnen eine Predigt, da werden sie wieder ganz Ohr sein – zum Schein! Ich sage dir, es gibt dir kaum eine Gattung Sünder, die schwerer zu bekehren wären als eben die fleischlichen Sündenböcke; und das darum, weil sie äußerlich ganz geschmeidig erscheinen und alles annehmen, wenn sie sich nur in ihrer inneren Lustgier nicht beeinträchtigt fühlen. Versuche aber, ihnen solche Lust ganz ernstlich zu untersagen, so wirst du Wunder von allen möglichen Widerspenstigkeiten und Grobheiten erleben. Lassen wir sie nun aber nur ausrammeln, und befriedigen ihre Lust. Dann wollen wir denn wieder hinaustreten und sie fragen, warum sie uns nicht ins Haus gefolgt sind. Und du wirst dich nicht genug verwundern können, mit welch allerlei Entschuldigungen sie uns entgegenkommen werden!

[1.48.5] Bevor wir aber hinausgehen wollen, werde Ich es zulassen, dass da einige recht üppige ‚Dirnen‘ zu ihnen stoßen sollen. Da erst wirst du Wunderdinge der g- Unzucht zu schauen bekommen! Und so gebe denn Acht!“

[1.48.6] In diesem Augenblick kommen durch den Garten zwölf recht saubere Dirnen zu der Gesellschaft. Sogleich geschieht ein feldgeschreiartiger Jubelruf, und alles, was nur Mann heißt, stürzt sich, wie Tiger auf ihre Beute, auf diese Dirnen los.

[1.48.7] Robert springt über diese Ungezogenheit nahe vor Ärger auseinander und will mit Donner und Blitz hinauseilen. Aber Ich halte ihn weislich davon ab, und er bleibt voll gerechten Ingrimms in dem Haus bei Mir und wirft nur manchmal einen Blick zum Fenster hinaus!

(Am 15. Febr. 1849)

[1.48.8] Nach einer Weile, als Robert sich über die Ohren an den verschiedenartigsten Unzuchtsskandalen seiner Wiener Freunde satt geärgert hat, spricht er zu Mir: „O Herr, nun hätte ich mich doch wahrlich geärgert zur großen Übergenüge! Aber, bei aller Deiner Heiligkeit, was wahr ist, ist wahr – diese echten Lumpen werden darum dennoch um kein Haar besser. Und so sehe ich es nun wieder bei mir ein, dass es von mir selbst eine tüchtige Dummheit war, dass ich mich darüber geärgert habe!

[1.48.9] Du könntest diese Sache freilich sogleich anders machen, so Du es wolltest, und so es Deine Weisheit für gut und recht fände. Aber Du, der Du nur zu handgreiflicherweise die ungeheuerste Geduld, Liebe und Sanftmut Selbst bist, siehst diesem echtesten Luderspektakel mit einer Ruhe zu, als könnte Dich so etwas ewig nimmer in einen auch nur scheinbaren Ärger versetzen. Was soll aber ich da noch mich ärgern, wo Du so ruhig zuschaust?! O da werde ich mich für die Zukunft auch nicht ärgern, und sollen’s diese Lumpen noch tausendmal ärger treiben, als sie es nun schon getrieben haben und noch treiben!

[1.48.10] Nur das begreife ich nicht, wie einem sonst gebildeten Menschen solch eine Schweinerei aller Schweinereien zur Leidenschaft werden kann!? Ich war doch auch ein Mensch von festem Fleisch und sehr heißem Blut und habe wohl auch dann und wann dem Fleisch gedient. Aber, bei all meinem Leben, bis zur Leidenschaft ist bei mir dieser actus bestialis nie gediehen! Denn wahrlich wahr, ich habe mich dabei stets geschämt wie ein ganz hundsgemeiner Bettpisser. Denn ich dachte nur zu sehr dabei und sagte mir’s auch oft ganz tüchtig ins Ohr: ‚Robert! Was bist du nun? Du sollst in allem ein rechter Mann sein, und siehe, du bist (zeitweilig) ein g- Tier! Schäme dich, Robert, der du ein Mann sein sollst, durchaus ein Mann, und du bist (jetzt) ein g- Tier, und blöd wie ein Esel! Robert! Du bist kein Mann, ein Weiberpopel bist! Ein rundes und glattes Gesicht, ein paar nach Unzucht glotzende feurige Augen einer dicken Dirne, ein voller Busen und dergleichen Dummheiten mehr können dich zum Tier runter machen, du kannst darob schwach werden! Pfui, und noch tausendmal pfui dir! Denn so bist du kein Mann, sondern bloß nur ein geiles Tier. Ein Tier aber kann nicht handeln, sondern bloß nur wie ein Ochse, ein Esel oder ein Schwein aller Gedanken ledig genießen eine Beschäftigung, deren jeder Polyp fähig ist.‘

[1.48.11] Siehe, eine solche und oft noch ärgere Lektionen habe ich mir selbst gegeben, so ich dann und wann, besonders so ich manchmal bei gewissen festlichen Gelegenheiten zu tief ins Gläschen geguckt habe, schwach geworden bin. Aber, bei meinem armen Leben, bis zur Leidenschaft ist es bei mir nie gekommen!

[1.48.12] Aber diese hundsgemeinen Kerle betreiben diese Sachen mit einer so leidenschaftlichen Gier, dass sich wirklich alle Hunde, Affen, Spatzen und Fliegen vor ihnen allerweidlichst schämen müssen, so sie diese Lumpen in die Betrachtung nehmen! Was mich aber am meisten wundert ist das, dass hier gerade die alten Schöpse und Esel es am ärgsten treiben! Da sieh einmal hinaus, dort unter einem Feigenbaum haben drei recht wunderalte Kerle eine Dirne und machen Spektakel mit ihr! Ach herrje! Das ist ja doch zum Donnerwetterdreinschlagen! Wird denn diese Schweinerei kein Ende nehmen?!“

[1.48.13] Rede Ich: „Gedulde dich nur noch ein wenig! Siehe, Ich will ihnen noch mehr Dirnen herbeiziehen, und wir werden dann sehen, was sie mit diesen tun werden. Die neu herbeigezogenen Dirnen sollen noch üppiger sein als die früheren, aber dafür etwas spröder und züchtiger. Und wir werden sehen, was deine Freunde mit diesen machen werden.“

[1.48.14] Spricht Robert: „O Herr, ich meine, um das im Voraus zu bestimmen, braucht man gar nicht allwissend zu sein! Da werden diese Kerle es noch hunderttausendmal ärger treiben! Ach herrje – das wird eine schöne Hetze abgeben!? Mag gar nicht einmal hinausschauen, so diese dumme Hetze angehen wird! Aber sag‘ mir doch gnädigst einmal, Du Herr, Du einziger Herr über alle Himmel und Welten, was wird denn da am Ende herauskommen? Werden diese Lumpen die Sache nicht einmal satt bekommen? Werden sie, statt Geister zu werden, sich nur zu echten Tieren umwandeln? Bei meinem armen Leben, das wird denn etwa doch eine saudumme Geschichte abgeben?!“

[1.48.15] Rede Ich: „Sei nur ruhig, du wirst in alledem gar bald ein rechtes Licht bekommen; aber nur musst du bloß, gleich Mir, einen ganz ruhigen Zuschauer machen! Wenn Ich dir aber die Augen mehr und mehr öffnen werde, so wirst du dann erst vollends einsehen lernen, wie man hier zu Werke gehen muss, um womöglich solche Schweine zu Menschen umzugestalten! Was aber hier die Liebe nicht vermag, das wird der Hölle oder dem eigenen, in jeder Seele wohnenden Strafgericht anheimgestellt! Aber nun ruhig! Denn sieh, die Dirnen kommen schon.“

[1.48.16] Robert sieht nun zum Fenster hinaus, sieht sich nach den neu ankommenden Dirnen um und spricht nach einer Weile: „Bei meinem armen Leben – wahrhaftig wahr, diese Dirnen, etlich zwanzig an der Zahl, sehen dir gar nicht übel aus, das heißt, so man sie mit einem rein irdischen Maßstab beurteilt! Potztausend und alle Elemente, die vorderen drei sind ja wie die ersten Pariser Balletttänzerinnen angekleidet! Die werden sicher diesen geilen Wiener Tiermenschen ein Pas de trois [Dreitanz] zum Besten geben, um sie desto lüsterner pro actus bestialis zu machen?! Ich möchte es ihnen wohl sagen, dass sie sich deshalb eben keine Mühe geben sollen; denn diese Tiermenschen haben zu derlei Verrichtungen ohnehin nur zu viel Gier, ohne es vonnöten zu haben, sich dazu extra durch allerlei weibliche Füßewacklereien reizen zu lassen!

[1.48.17] Es wäre nach meiner freilich menschlich unvollkommenen Meinung wahrlich besser, so an der Stelle dieser schmucken Choreographinnen ein paar Dutzend Bären aufmarschiert wären. Vielleicht würden diese sehr kräftigen und keinen Spaß verstehenden Wald- und Alpenchoreographen auf diese meine tierischen Wiener Freunde eine bessere Wirkung üben, und heilsamer vielleicht auch, als diese dick- und rundfüßigen, vollbusigen und pausbackigen Tänzerinnen?

[1.48.18] Mich wundert es aber dennoch, dass die Wiener Geister sich nun beim Anblick dieser Schönheiten noch so viel zurückhalten, dass sie diese neuen Schönheitskoryphäen der Geisterwelt doch nicht so wie die früheren gleich beim ersten Erscheinen wütenden Hunden gleich angefallen haben. Wahrscheinlich imponieren ihnen diese Schönheitssterne doch etwas zu stark, und sie trauen sich nicht an sie.“

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