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4. Notschrei zu Gott. Berufung auf Jesus. Sehnsucht nach dem Nichtsein.

(Am 1. Dez. 1848)

[1.4.1] Nach diesen Worten verhält er sich eine ziemlich lange Weile ganz ruhig und still und reibt sich bloß manchmal die Augen, um eine allfällige narkotische Trübung loszuwerden. Aber da es trotz aller seiner vorgefassten Geduld und trotz allem Augenreiben denn doch nicht heller werden will, so fängt er an der Wiedergewinnung des Augenlichtes ganz vollkommen zu zweifeln an, und wird darum auch erboster von Augenblick zu Augenblick. Als aber auch trotz seines stets größeren Erbostwerdens das Licht sich bei ihm nicht einstellen will, so ruft er gar stark:

[1.4.2] „Was ist denn mit mir geschehen?! Was ist das für ein verfluchter Zustand?! Gibt es denn keinen Gott mehr? Einen Gott, der mächtig wäre und gerechter als die von Seiner Gnaden Machthaber der Erde und ihre blauen und goldbordierten Helfershelfer!?

[1.4.3] Gott! So Du irgend Einer bist, recke aus Deinen Arm und sühne mich, der ich die gute Sache Deiner Menschen, Deiner Kinder zu jenem erhabenen Ziel führen wollte, das einst schon der erhabene, unverstandene Völkerlehrer Jesus erreichen wollte; aber von gemeinen Häschern aufgegriffen und, aus Dank für Seine großen Mühen und Opfer zum Besten der gesamten Menschheit, an den Pfahl der damaligen größten Schmach der Menschheit gehängt wurde!

[1.4.4] Wie Er bin auch ich ein Sohn von Dir und aus Dir, so Du Einer bist?! Bist Du aber nicht und nirgends, außer im Bewusstsein der Menschen selbst, ist Deine Kraft nur jene, deren sich der Mensch bewusst ist, dann freilich rede ich nur leere und fruchtlose Worte und bin um mein ganzes Wesen für ewig betrogen, und das auf das Schändlichste! Warum aber musste ich ein lebendes, meiner selbst bewusstes Wesen werden? Warum musste irgendeine im endlosen Raum sich selbst ergriffene plumpe Idee in mir zum klarsten Ausdruck des sich erfassenden Seins werden? Ward ich denn eine Realität voll des hellsten Sich-Selbst-Bewusstseins etwa darum, um von einer andern füsiliert [erschossen] zu werden? Verfluchter Zufall, der mich je in ein so elendestes Dasein versetzte! Wenn es Teufel gäbe, arg und böse über jede menschliche Vorstellungskraft, so sollen sie doch jede wie immer Namen habende Kraft, die mich werden machte, für ewig zerstören!

[1.4.5] O Menschen! O Menschen! Ihr betrogenen, armen Menschen, hört auf, euch fortzupflanzen! Setzt nicht mehr lebende Wesen an eure Stelle zur Qual in die verfluchte Welt! Menschen, die ihr nun noch lebt, ermordet eure Kinder und euch, auf dass die verfluchte Erde leer werde von Menschen! Oh, erwürgt ihr Machthaber alle, alle Menschen, und teilt dann die verfluchte Erde unter euch, auf dass ihr dann an ihr allein zur Genüge haben sollt! Aber umsonst, umsonst ist mein Eifer; ein ewiger Sklave! Was kann ein Tropfen gegen des wogenden Meeres Allgewalt?! Darum verstumme, du eitle Sprache meiner Zunge! Nur ihr Hände versucht diesem elendsten Dasein ein Ende zu machen!“

[1.4.6] Nach diesen Worten macht er an sich Erdrosslungsversuche. Er macht einige recht tüchtige Eingriffe in seine Kehle, aber natürlich ohne alle Wirkung; denn er greift sich gewisserart allemal durch und durch, ohne nur eine auch nur allerleiseste Spur von irgendeiner Erstickung zu verspüren! Das macht unsern Mann stutzen, und er wird über diesen seinen Zustand stets begriffsverwirrter. Da es aber mit dem Erdrosseln gar nicht geht, da beschließt er, schnurgerade sich vorwärtszubewegen anzufangen; – denn, spricht er bei sich ganz erbost, „finsterer und grundloser als es hier ist, kann es wohl im ganzen endlosen Raum nirgends mehr sein, daher habe ich auch keinen Abgrund und noch weniger irgendein geheimes Gericht mehr zu befürchten. Darum also nur vorwärts! Vielleicht komme ich doch irgendwo zu einem Lichtschimmer oder zu einem erwünschten vollkommenen Tod?!

[1.4.7] O wie glücklich muss der Zustand eines vollkommenen Todes sein! Wie glücklich muss ich gewesen sein, als ich nicht war, als ich kein Dasein fühlte und kein freies Bewusstsein mein Wesen trog! Oh, wenn ich doch nur wieder vollends vernichtet werden könnte! Aber sei es nun, wie es werden will, so mir nur ein künftig möglich werdendes Nichtsein ein Gewinn ist, der vollkommene Tod ein Labsal, so gibt es auch nichts mehr, wovor ich mich fürchten soll, darum also nur vorwärts!“

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