[1.39.1] Rede Ich: „Nun, nun, Mein liebster Freund und Bruder! Das werde Ich auch nicht tun. Wir bleiben schon beisammen! Aber freilich in der Art, wie wir nun beisammen sind, könnte sich’s für künftige Dauer wohl nicht gar zu leicht realisieren lassen, denn damit würde dir und Mir wenig geholfen sein.
[1.39.2] Aber Ich entdecke nun in dir im Ernst eine gute Wendung und kann dir daher auch im Voraus versichern, dass es mit dir ehestens besser gehen wird. Aber nur musst du das, was Ich dir nun sagen und eröffnen werde, ganz genau nach Meiner Vorschrift erfassen und danach handeln mit deinem Herzen, so wirst du sogleich heller zu sehen anfangen, und es werden dir Dinge, über deren Wesenheit du nun noch sehr im Dunkeln bist, ganz klar und hell werden. Und so höre Mich denn!
[1.39.3] Siehe, in den Evangelien, allda von Johannes dem Täufer die Rede ist, heißt es unter anderem: ‚Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste nur, und bereite den Weg des Herrn. Nicht würdig bin ich, dem die Schuhriemen aufzulösen, der nach mir kommt. Ich taufe nur mit dem Wasser; Er aber wird taufen mit dem Geist der Wahrheit, mit dem Geist Gottes zum ewigen Leben! Dieser mein erhabenster Nachfolger wird wachsen unter euch und in euch; ich, Johannes, aber werde abnehmen!‘ Was wohl meinst du, was dieser größte aller Propheten damit hat sagen wollen?“
[1.39.4] Spricht Robert: „Ja, Du mein bester, mein allerliebenswürdigster Freund! Wenn ich das verstünde, so wäre ich wahrlich nie auf diesen traurigen Punkt zu stehen gekommen, auf dem ich nun stehe!
[1.39.5] Wahrlich, diese von mir nie verstandenen Texte waren ja eben (am meisten) Schuld, dass ich an Deiner Gottheit zu zweifeln begann und konnte nimmer aus diesen Zweifeln kommen, was denn auch ein Hauptgrund war, dass ich ein Neukatholik wurde.
[1.39.6] Daher sei Du nur gleich so gut und erkläre mir diese höchst mystisch klingenden Texte. Denn ich könnte mich wohl ganz von A bis Z umkehren, so würde ich die eigentliche Bedeutung dieser, wie noch gar manch anderer Texte nimmer herausbringen!“
[1.39.7] Rede Ich: „Nun, so höre denn! Johannes (der Täufer) ist im Leib der Kirche das, was da ist der äußere Weltverstand bei jeglichem Menschen; und eines jeden Menschen Verstand soll also beschaffen sein, wie da beschaffen war der Johannes. Wie der Johannes vor Mir den Weg bereitet hat, also soll auch ein rechter äußerer (Kopf-)Verstand den Weg zum Verstand des Herzens anbahnen – welcher Herzensverstand da gleich ist Mir Selbst, indem Ich Selbst diesen Verstand aus Meinem Geist nehme, und ihn wie ein guter Sämann in das Erdreich des Herzens einlege, welches Erdreich aber da ist die rechte Liebe, die durch die Demut und Sanftmut bestens gedüngt wird.
[1.39.8] Johannes ist auch eines Rufers Stimme in der Wüste; das muss auch ein rechter äußerer Verstand sein. Denn die Welt, aus der der Verstand seine ersten Begriffe schöpft, ist eine Wüste, und das darum notwendig, weil sonst kein Mensch von der Gottheit völlig abgelöst und freigestellt werden könnte, was Ich dir schon früher einmal gezeigt habe. Da aber die Welt notwendig eine Wüste ist, so ist der äußere Verstand, der zum Teil aus eben dieser Wüste, zum Teil aber auch aus den Himmeln – entweder durch mittel- oder unmittelbare Offenbarungen seine Begriffe, Ideen und daraus hervorgehenden Urteile schöpft, aber auch eben durch die Aufnahme der geoffenbarten Wahrheiten aus den Himmeln die Stimme eines Rufers in der Wüste – und bereitet durch den Glauben die Wege zum Verständnis des Herzens.
[1.39.9] Dieser rechte äußere Verstand tauft sonach die Seele mit dem Wasser der Demut und des willigen Gehorsams; während der Verstand des Herzens, in dem der ewige Geist aus Gott wohnt, durch die Erweckung eben dieses Geistes notwendig mit diesem Geist taufen muss, weil dieser Geist aus Gott das wahre Licht, die vollste und hellste Wahrheit, die Liebe und somit das ewige Leben selbst ist.
[1.39.10] Es versteht sich demnach auch schon von selbst, dass der äußere Verstand da notwendig abnehmen, ja endlich sogar gefangen genommen und enthauptet werden muss, so der wahre Herzensverstand, der Mich Selbst darstellt, in eines jeden Menschen Herzen zunimmt und wächst zum herrlichsten Baum des wahren, ewigen Lebens, in dem da ist alle vollkommene Erkenntnis; also dass demnach der äußere Verstand auch wahrlich nicht wert ist, dem Verstand des Herzens die Schuhriemen zu lösen – das wird etwa doch auch ebenso klar sein, als wie klar es dir selbst sein muss, dass das Licht einer Nachtlampe denn doch bei Weitem unbedeutender ist als das Licht der Sonne am hellsten Mittag!
[1.39.11] Ich will nun auch nichts mehr von deinen irdischen Taten erwähnen, ob sie recht oder nicht recht waren. Denn sie flossen ja alle aus deinem äußersten Verstand, in dem die Stimme des Rufers gar nicht durchdringen konnte, weil das zu große Geräusch der Wüste, die da ist die eigentliche (Gott- und Johannes)lose Welt, den eigentlichen Johannes, der da ist Meine geoffenbarte Lehre, übertäuben musste! Denn so durch eine Wüste große Orkane toben und Donner rollen und mächtige Sturzbäche rauschen, da geht des Rufers Stimme wohl nur zu leicht unter, und das Gericht und der Tod hält dann ungestört sein Erntefest!
[1.39.12] Aber Ich komme dann auch zu retten, was noch zu retten ist. Nur freilich nicht so, als wie auf einem vom Johannes bereiteten Weg, sondern wie ein Blitz, der vom Aufgang bis zum Niedergang leuchtet, wie es eben bei dir nun der unverkennbare Fall ist! Wer da das Licht des Blitzes annimmt, der wird gerettet. Wer aber dieses Licht nicht annimmt, der geht zugrunde; d. h. er begibt sich dann auf einen Weg, auf dem es sehr schwer wird, jenes Ziel zu erlangen, das ihm Gott gestellt hat!
[1.39.13] Du aber hast das Licht des Blitzes wohl ergriffen. Daher kam auch der Retter Selbst zu dir und führt dich nun des rechten Weges. Aber du musst nun auch dem Retter willig folgen, und musst Ihm durch deinen äußeren Verstand keine Hemmnisse in den Weg legen, sonst verzögerst du nur selbst die Erreichung jenes Ziels, das dir eben der Retter Selbst gestellt hat.
[1.39.14] Was wirst du nun tun auf diese dir gemachte Erläuterung jener Texte, die dir nach deinem eigenen Geständnis Den verbargen, Den du am allerklarsten hättest erkennen und erschauen sollen?!“
[1.39.15] Spricht Robert nach einer nachdenklichen Weile: „O Freund! Ja endlos mehr als nur ein Freund! Nun erst fängt es in mir auf einmal an ganz gewaltig zu tagen! O Herr! O Herr! O Herr! Wie kannst Du bei mir verweilen? Denn ich bin ja ein Sünder!
[1.39.16] Was wohl hielt meine Augen, dass ich Dich nicht erkannte?! Wohl sagte mir meine starke Liebe zu Dir, dass Du mehr sein musst, als für was Dich mein elender Verstand hielt. Aber ein Teufel, oder [sonst] wer, schob mir stets eine Decke vor die Augen! Aber nun, nun, nun, erkenne ich die endlose Kluft zwischen mir und Dir, und kann nun nichts anderes sagen als: O Du mein großer Gott und Herr! Sei gnädig und barmherzig mir ärmsten und zugleich dümmsten Sünder vor Dir!“
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