(Am 8. Jan. 1849)
[1.26.1] Nach einigem Nachdenken spricht der Robert wieder und sagt: „Mein geachtetster, allerliebster Freund und Bruder! Was da Deine überaus triftige Widerlegung meiner Anwürfe auf die Gottheit und auf Ihre einmal aufgestellte Lebensordnung betrifft, so bin ich nun auch in diesem Punkt mit Dir ganz einverstanden und sage und bekenne es laut vor Dir, dass ich der lieben Gottheit sehr Unrecht getan habe, vorausgesetzt, dass es wirklich eine solche Gottheit gibt, so einen liebevollsten Vater, wie Du Ihn Deinen Jüngern wolltest kennen lehren, und sie Ihn aber dennoch nie ganz erkannt haben,
[1.26.2] darum sie denn von Dir auch einmal verlangten, dass Du ihnen solchen Deinen Vater hättest zeigen sollen, und da Du solch einem Begehren nicht anders genügen konntest, als Deiner Jünger leichten Glauben benützend – Dich ihnen Selbst als Vater darzustellen, so wolltest Du, nach meinem Dafürhalten, damit nichts anderes sagen als: O ihr jüdischen Dummköpfe! Wisst ihr denn nicht, dass es außer dem Menschen nirgends einen Gott gibt?! So ihr Mich oder auch einen anderen Menschen seht, so seht ihr ja auch, was zu sehen ihr verlangt. Wisst ihr denn noch nicht, und könnt ihr es denn unmöglich fassen, dass der Vater in uns und wir im Vater sind; oder mit anderen Worten gesagt: Es gibt nirgends einen Gott, außer den im Menschen!?
[1.26.3] Obschon ich aber dieses notwendig so nur auffasse und fast kaum anders auffassen kann, so bin ich aber deswegen dennoch nicht hartnäckig darauf versessen und will recht gerne irgendeine Gottheit annehmen, so Du sie mir erweisen und zeigen kannst, aber ich wollte, so ich’s hätte, auch hier eine ganze Welt voll der größten Kostbarkeiten Dir zum Pfand bringen, so Du es imstande bist, mir außer der ‚Hegelschen‘ Gottheit in Dir noch eine andere irgendwo zu erweisen und zu zeigen! So ich demnach aber einer nicht und nirgends als nur in uns seienden Gottheit solche Anwürfe machte, die Sie wohl beleidigen könnten, so Sie irgendwo wäre, da kann ich Deine wirklich allertriftigste Widerlegung auch umso leichter und allerwahrst annehmen, weil sie sich lediglich nur auf unsere eigenste innere Ordnung bezieht, die vorher ganz begriffen und verstanden sein will, bevor sie sich, wohl begründet, einer zu seicht gefassten kritischen Beurteilung preisgeben kann. Oder mit anderen Worten gesagt: ‚Mensch, erkenne dich zuvor ganz, dann erst beurteile dein Sein und alle die verschiedenen, notwendigen Verhältnisse, die die feste Bestimmtheit deines Seins mit sich führt!‘
[1.26.4] Ich kann Dir für diese Deine nunmalige wahrhaft große Belehrung nur danken aus allen meinen Kräften; denn auf meinem überaus nichtigen und magersten Boden dürften solche Früchte wohl noch sehr lange nicht zum Vorschein kommen.
[1.26.5] Aber trotzdem ich nun die weisen Beschränkungen der im menschlichen Geist zugrunde liegenden absoluten Freiheit als überaus notwendig und der Natur der menschlichen Ordnung und ihrer zum wahren Leben erforderlichen Dinge höchst angemessen finde, so muss ich aber daneben denn doch noch immer leider das offen bekennen, dass ich die Lehre, der zufolge Gott die purste Liebe ist, und dass man diese Liebe über alles, den Nächsten aber gleich wie sich selbst lieben soll, durchaus nicht mit alledem, was Du mir bis jetzt gesagt hattest, vereinigen kann, und eher schon gar nicht, als bis Du mich vom Dasein einer wirklichen Gottheit überführen wirst!
[1.26.6] Gott muss zuerst definitiv da sein und Seine Natur und Sein Wille vollkommen erkannt, dann erst lässt sich von Notwendigkeiten reden. Ist aber Gott nur ein vom blinden Glauben wohl angenommenes, nie aber der reinen Vernunft qualitativ erweisbares Wesen, da muss notwendig früher oder später jede auf Gott Bezug habende Lehre, und möchte sie auch noch so ominös metaphysisch und ultra-theosophisch klingen, in ein barstes Nichts sich von selbst auflösen.
[1.26.7] Ich widerspreche hiermit Deiner nun an mich gerichteten Belehrung gar nicht; denn ich sehe ihre Realität nur zu klar ein. Aber es versteht sich auch nur in dem Fall, so es eine Gottheit gibt, die solche Ordnung zur Heranbildung des Menschen zu einem höheren, freiesten Wesen für unausweislich [unausweichlich] nötig gestellt hat. Gibt es aber keine Gottheit, dann brauche ich Dir gar nicht zu widersprechen. Denn da widerspricht sich die Sache von selbst, und wären ihre Prinzipien auch noch so richtig gestellt.
[1.26.8] In der Beantwortung oder vielmehr Darlegung meiner an Dich gerichteten Frage: ‚Mit welchem Recht mich ein Windisch-Graetz erschießen ließ?‘ gingst Du ganz kurz zu dem Entschuldigungsgrund über, dass es nun gewisserart gar nicht an der Zeit sei, darüber viel zu reden, ob solches mit Recht oder Unrecht geschehen sei; denn auch Dir sei ein ähnliches Los zuteilgeworden, nur mit dem Unterschied: Dir – für Gott und der Menschen ewiges und geistiges Wohl; mir aber – für die Welt und ihre vergängliche Glückseligkeit! Und ich soll Dir nun kundgeben, was ich aus der für mich für ewig vergangenen Welt für die Ewigkeit mit herübergenommen habe? Freund, ich meine, diese Frage zu beantworten, wird mir eben nicht zu viel Kopfzerbrechens machen!
[1.26.9] So es denn doch irgendeine liebevollste Gottheit geben soll, so lehrt uns die mehrere tausend Jahre alte Erfahrung, dass eben diese Gottheit den Menschen, so Sie dieselben zur Welt in die seinsollende Freiheitsschule schickt, absolut nichts als bloß nur das allernackteste, unbehilflichste, begriffsloseste und somit auch allervollendetst dümmste Leben mitgibt. Also ein allerreinstes und barstes Nichts bringt der Mensch auf die elende Welt! Von all den Weltschätzen gehört streng genommen nichts ihm, da er sie am Ende seines Lebens ex officio aeterno et naturali [aus ewigem und natürlichem Grund] für ewig wieder verlassen muss!
[1.26.10] Was wohl hätte ich da für die Ewigkeit mit herübernehmen sollen oder können, außer ohne mein Verlangen und ohne meinen Willen mich ganz allein! Nur mit dem geringen Unterschied, dass ich nun in diese Welt als ein denkendes, und somit etwas mehr geistig gebildetes Wesen eintrat, während mein Eintritt in die materielle Welt ein höchst allerunbehilflichst elender war; welchen Eintritt ich aber dennoch diesem zweiten in diese unweltliche Welt sehr vorziehen möchte. Denn in der Materiewelt fühlte ich als Säugling nichts, außer etwa, wie ein Polyp, einen stummen Hunger oder einen ebenso stummen Schmerz, aber diese beiden Martern waren für mich so gut wie gar nicht da, denn ich hatte damals ja kein Bewusstsein und keine Beurteilung. Hätte meine arme irdische Mutter mir in dieser Zeit die kärglichste Pflege nicht gegeben, so hätten mich zufolge irgendeiner göttlichen Liebsorge wohl alle Mäuse und Ratten zusammenfressen können; die Gottheit hätte es sicher nicht abgewehrt!?
[1.26.11] Ja, die Gottheit in der Brust meiner Mutter wohl sorgte für mich, aber die große, allmächtige, irgend über allen Sternen, die weiß vielleicht noch (in) diesem Augenblick nichts von einem armen Teufel, von einem Robert Blum!
[1.26.12] So ich aber dennoch ein miserables Produkt dieser großen Gottheit sein soll, die aus purster Liebe mich so reichlichst ausgestattet in die Prüfungswelt sandte, kann Sie nun wohl mehr von mir zurückverlangen, als Sie mir auf die Weltreise mitgegeben hat?! Ich meine, wo nichts ist, da hört wohl von selbst jedes Recht auf!? Oder gibt es hier in der Geisterwelt wohl irgendeine solche Rechtsverfassung, nach der man auch für ein barstes Nichts jemandem zum Schuldner werden kann?!
[1.26.13] Das nackte Leben, ja, das ist nicht mein, da ich mir’s nicht gegeben habe. Dieses Leben, mit einiger Intelligenz sogar bereichert und mit einem schlechten Rock auch noch dazu, habe ich wieder hierhergebracht und stelle es mit dem größten Vergnügen Dem wieder zurück, Der es mir gegeben hat, aber mit der Bitte, dass ich, als der elende Robert, für alle Ewigkeit vollends zu sein aufhöre! Denn ich ersehe nun auch sogar aus Deinen, wenn schon sehr weisen Reden, dass dem Leben überhaupt, und ganz besonders dem meinen, für ewig keine glückliche Seite abzugewinnen sein dürfte. Und so ist es ja endlos besser, ewig nicht mehr zu sein, als zu sein so elend, wie ich es noch stets zu sein die große Ehre hatte!
[1.26.14] Es ginge nun zur Vollendung meines diesgeistigen Glücks nur noch das ab, dass Du, lieber Freund, also zu mir sprächest: ‚Weiche von Mir, du Verfluchter, in das ewige Zornfeuer Gottes und brenne dort ewig unter den grässlichsten Qualen und Schmerzen‘, so wäre dadurch dem Leben und seiner Herrlichkeit wahrlich die Krone aller Kronen der urgöttlichen Liebe aufgesetzt! Freund, wenn solch eine unbegreiflich härteste und aller Liebe ledigste Sentenz [Spruch, Urteil] auch Dein liebevollster Vater Dir eingegeben hat – wahrlich, da wäre von Seiner endlosen Liebe nicht viel Gutes zu erwarten! Aber ich meine, solch eine scheußlichst grausamste Sentenz dürfte wohl kaum je über Deine Lippen gekommen sein, sondern wurde höchstwahrscheinlich in der späteren Zeit von den liebevollsten Römlingen eingeschoben? Das Warum dürfte nicht schwer zu erraten sein! Rede nun wieder Du, denn ich bin mit meiner Antwort zu Ende.“
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