Hier ist Dein Kapitel

10. Gedanken über das Leben Jesu. Ähnlichkeit mit Roberts Schicksal. Er beginnt, an die Unsterblichkeit und an Gott zu glauben.

[1.10.1] Robert: „Dieser weiseste Lehrer der Völker ward, gleich mir, aus dem Schoß dürftiger Eltern zur Welt geboren und musste sich höchstwahrscheinlich nur sehr mühsam und unter allen möglichen Entbehrungen auf den Standpunkt der höchsten moralischen Weisheitshöhe gehoben haben, wobei er auch noch neben der überverschrobenen jüdischen Priesterschaft gar manche Verfolgungen durch sein ganzes Leben sich hat müssen gefallen lassen! O es musste für ihn ganz enorm schwer gewesen sein, sich unter den hartnäckigsten Mosaisten und Aaroniten, in deren Köpfen und Herzen eine überstygische Nacht zu Hause sein musste, zu solcher Weisheit emporzuschwingen!

[1.10.2] Wahrscheinlich ist er einmal als ein armer Teufel entweder mit seinen ebenso armen Eltern, die im Vaterland kein Eigentum und sicher auch wenig Arbeit und Verdienst hatten, oder mit einer andern Karawane nach Ägypten gekommen und hat dort durch seine großen angeborenen Talente die Aufmerksamkeit irgendeines großen Weisen auf sich gezogen, der ihn dann in seine Schule nahm und ihn in alle Geheimnisse der tiefsten Weisheit einweihte und aus deren Besitz und aus deren weiser Anwendung er dann bei seinen allerdümmsten Landsleuten die größte Sensation erregen musste. Oder er kam in die Schule der Essäer, die damals die Quintessenz aller Weisheit besaßen, die nur irgendwo auf der damals bekannten Erde zu Hause war! Wodurch er dann aber natürlich auch vor den blinden Juden nahe als ein Gott dastehen musste, der armen Menschheit zum größten Trost, wennschon der überreichen und hochmütigsten Priesterschaft zum größten Ärger!

[1.10.3] Oh, es lacht mir noch jetzt das Herz, wenn ich daran denke, wie er bei den verschiedensten Anlässen die gesamte hohe Priesterschaft doch manchmal auf eine Art hergestellt [zurechtgewiesen] hat, dass sie darob nicht selten vor Ärger hätte zerbersten mögen! Leider ward er am Ende ein Opfer seines zu großen Mutes und der zu tückischen Niederträchtigkeit der mit Silber, Gold und Edelsteinen verbrämten Tempelbestien.

[1.10.4] Aber erging es mir etwa besser?! O nein! Auch ich bin ein Märtyrer für meine edelsten Bestrebungen geworden. Ich wollte die Menschheit von den alten Sklavenketten befreien, und mein Lohn dafür war – der schnödeste Tod in der schönen Brigittenau! Es ist wahrlich rein des Teufels um die gesamte Menschheit! Ihre größten Freunde tötet sie, und ihren niedrigsten, abgefeimtesten Feinden bringt sie Vivats und Triumphzüge unter Musik- und Fackelglanz!

[1.10.5] Aber es sei nun, wie es ist, ich bin nun von allem erlöst, und zwar mit dem aus aller Weltgeschichte überzeugenden Bewusstsein, dass es allen großen Völkerwohltätern nicht um ein Haar besser gegangen ist als mir, der ich trotz meines guten Willens doch noch lange kein Jesus bin!“

[1.10.6] Bei der Nennung dieses Namens fährt schon wieder ein mächtigster Blitz, und zwar diesmal sehr nahe an Robert vorüber und hinterlässt diesmal schon eine Art Abenddämmerung, sodass unser Mann nun seine ganze Form recht gut ausnehmen kann, wie auch, gegen Abend hin, etwas von einer dunstigen Gegend, ohne dabei seinen freiesten Zustand in der Luft, als freischwebend, zu verlassen.

[1.10.7] Obschon ihn aber der Blitz auch diesmal sehr überrascht, so erschreckt er sich davor aber nicht mehr, sondern fängt sogleich mit bedeutender Ruhe darüber nachzudenken an und spricht sogleich bei sich selbst: „Wahrlich, im höchsten Grad merkwürdig! Nun fuhr der Blitz mir ja sozusagen durch den Leib, und ich empfand dabei nichts als zum ersten Mal ein ganz überaus wohltuendes Lüfterl und fühle mich nun darauf ganz außergewöhnlich gestärkt! Und da dieser Blitz einen noch stärkeren Lichtschimmer zurückließ als der frühere, so tut das meinem Herzen und meinen Augen umso mehr wohl, wie auch, dass ich darf, sicher gegen Abend, wie es mir vorkommt, eine Art sehr dunstiger Gegend erschauen, was mich umso mehr überzeugt, dass ich vollernstlich in der freiesten Luft schwebe! Auch kann ich nun meine Füße, Hände, und siehe da, auch meine Kleidung, wie ich sie am Richtplatz anhatte, vollkommen gut ausnehmen!

[1.10.8] Oh – wer auf der Erde würde nicht über Hals und Kopf zu lachen anfangen, so man ihm sagte, dass nach dem Abfall des Leibes nicht nur die Seele unter der früheren irdischen Menschengestalt, sondern auch im vollsten Ernst des Leibes Kleidung unsterblich ist!?

[1.10.9] Der große Shakespeare hatte wahrlich recht, da er sagte: ‚Zwischen dem Mond und der Sonne geschehen Dinge, von denen sich die menschliche Weisheit noch nie hatte etwas träumen lassen.‘ Und, o Shakespeare, zu diesen Dingen gehört die Unsterblichkeit irdischer Leibesbekleidungen! Und – da scheint eine ganz sonderbare Fügung dabei zu obwalten – gerade mein Siegeskleid, das Kleid der höchsten Schande in den Augen meiner Feinde, ist mit mir erhöht zur höchsten Freiheit! Ja, das kann nur ein liebevollster und gerechtester Gott also fügen! Nun glaube ich aber auch, zur Beschämung Hegels und Strauß‘, dass es einen wahrhaftigsten Gott gibt, der es ewig nicht nötig hat, erst bei Hegel und Strauß anzufragen, ob Er da sein darf und kann, auch ohne Hegel und Strauß!

[1.10.10] Etwas sonderbar aber kommt es mir doch vor, dass es, sooft ich den Namen des großen Morgenländers nannte, auch ebenso oft geblitzt hat! Sollte etwa auch an seiner mehr als menschlichen Gottessohnschaft doch im Ernst etwas dran sein?

[1.10.11] Wenn Röcke sogar unsterblich sind – da kann es mit Jesus – aha, aha, hat richtig wieder geblitzt, und das stärker nun als die früheren Male! Sonderbar! Sonderbar!“

TAGS

Kein Kommentar bisher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Letzte Kommentare