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Achtes Beispiel. Ein hochgeborener Minister

Am 12. August 1847

[8.1] Da denn auch die großen Herren der Welt sterben müssen, gegen welche für sie höchst fatale Lebenseigentümlichkeit sie noch immer keinen Assekuranz-Verein haben aufstellen können, da sie es mit all ihrer Politik und Diplomatie noch nicht so weit gebracht haben, so musste denn auch unser Minister sich endlich einmal anschicken, das Zeitliche mit dem Ewigen zu vertauschen.

[8.2] Das Sterben ist für solche Menschen freilich wohl die unangenehmste Erscheinung von der Welt, aber das kümmert den Würgengel wenig. Bei denen er das wohlzimentierte Maß voll findet, die nimmt er ohne Gnade und Pardon!

[8.3] Unser Minister, ein Mann, dem alle Welt huldigte ob seiner Weltklugheit, wurde in seinem bedeutenden Alter von einem gichtischen Katarrhfieber aufs Krankenlager geworfen, das ihn einen halben Monat folterte, und das desto ärger ward, je mehr Arzneien er zur Hebung dieses Übels eingenommen hatte. Gegen das Ende hin ward er voll Unwillen und drohte den Ärzten mit dem Arrest, so sie ihn nicht bald wiederherstellen möchten oder könnten.

[8.4] Aber statt seine Drohung auszuführen, versank er am sechzehnten Tag seiner Krankheit in eine Betäubung, aus der er in dieser Welt nicht mehr kam, außer auf eine Stunde knapp vor seinem Ende, in welcher er noch ein kurzes Vermächtnis machte mit seiner mächtigen Habe, wobei aber der Armen, wie meistens bei solchen Menschen, nur sehr spärlich Bedacht genommen ward; denn was sind wohl ein paar tausend Gulden gegen mehrere hinterlassene Millionen?!

[8.5] Also ward der Kirche pro forma auch mit einer Stiftung gedacht, aber nicht aus irgendeinem blinden Glauben (denn Glauben hat so ein Mensch entweder nur selten oder gar keinen, und alles, das er tut, ist pure Politik nur), sondern geschieht nur, wie gesagt, weil so etwas der politische Gebrauch erfordert.

[8.6] Nach dieser letzten Willenskundgabe sank er auf sein Lager zurück und war tot, ohne zuvor gebeichtet und kommuniziert zu haben, auf welchen Akt er – bei sich zwar – ohnehin nichts hielt. Damit war’s mit ihm für diese Welt für ewig abgeschlossen; darum aber wollen auch wir nicht bei seiner Leiche verharren, sondern uns gleich nach „drüben“ begeben und sehen, was unser überstolzer Mann dort für ein Gesicht macht.

[8.7] Seht, da sind wir schon, und unser Mann steht dort in seinem kompletten Staatskleid vor uns und vier verhüllten Engelsgeistern, wovon er aber nur die letzteren sieht. Der Ort stellt genau sein Staatskabinett vor, in welchem er noch Wichtiges zu besorgen und zurechtzubringen sich vorgenommen hatte.

[8.8] Er sieht nun genau die vier in seinem Geheimkabinett und kann sich vor Ärger kaum fassen über die entsetzliche Keckheit dieser vier Gauner nach seiner Ansicht. Er springt auf und ergreift die Klingel und will läuten, aber die Klingel gibt keinen Ton.

[8.9] „Verrat! Hochverrat!“ schreit er aus vollem Halse. „Wie kommt ihr elenden Wichte in dieses nur mir allein zugängliche Gemach, in welchem des Staates Geheimnisse und heiligsten Mysterien bearbeitet und aufbewahrt liegen? Wisst ihr, dass auf solch einen Hochverrat der Tod gesetzt ist? Wer aus euch hat diese Klingel entschwengelt, dass sie nun in diesem entscheidendsten Moment keinen Schall von sich geben kann? Bekennt es, ihr Verruchten, wer aus euch war der Rädelsführer?“

[8.10] Der erste Engel spricht: „Höre in Geduld tiefst aufmerksam, was ich dir nun künden werde! Wohl weiß ich die gute Ordnung, der zufolge auf der Welt kein Mensch, außer dem König nur, in dies Gemach treten darf. Wärst du noch auf der Welt, da hättest du uns auch nicht an dieser Stelle erblickt. Aber siehe, du bist nun dem Leibe nach gestorben und bist nun in der Geisterwelt, wo es nur einen Herrn gibt, während alle anderen Geister Brüder sind, gut oder schlecht, je nachdem sie auf der Erde gewandelt haben entweder gut oder böse. Also haben wir vom Herrn das liebepflichtige Recht, jedermann zu besuchen und ihm unsere Dienste anzubieten, wenn er, wie du, für uns noch zugänglich ist.

[8.11] Darin aber besteht eben auch des einigen Herrn Auftrag an dich durch uns, dass wir dir eben solches künden sollen und dir auch eröffnen, dass hier in dieser ewigen Welt für dich alle weltliche Ehre und Stellung aufgehört hat samt aller Politik; und dies Gemach, dein Kleid und alle diese deine vermeintlichen wichtigen Staatspapiere sind pur Trug und Ausgeburt deiner noch stark an der Welt hängenden Phantasie und werden verschwinden, sobald du uns folgen wirst. Wirst du uns folgen, so wirst du einen leichten Weg in das wahre, ewige Lebensreich haben, alldort es Seligkeiten gibt ohne Maß und Zahl; wirst du uns aber nicht folgen, so wirst du einen überharten Stand haben, zu Gottes Lebensreich zu gelangen! Denn siehe, du warst auf der Welt wohl mit Gottes Zulassung ein großer Mann und hattest eine große Macht; durch diese Macht ist aber bei dir gar mächtigst auch die Herrschliebe erwacht, die dich zu manchem geführt hat, das da nicht begründet war in der göttlichen Ordnung. Auch hat dir diese Weltgewalt als Herrschlust auch den Glauben an den Herrn und vielfach die Liebe zum Nächsten benommen und hat dich fürs Reich Gottes völlig untauglich gemacht.

[8.12] Aber siehe, der Herr weiß es, welche schwere Bürde du zu tragen hattest, und hat große Erbarmung mit dir. Darum sandte Er uns zu dir, auf dass du gerettet werden solltest und erhoben und nicht untergehen durch deine noch mit herübergebrachte große Weltbürde. Denke hier nicht an dein Gericht; denn im Reich der Freiheit des Geistes gibt es kein Gericht und keinen Richter, außer den eigenen freien Willen jedes Menschen! Denke auch nicht an die Hölle. Diese ist nirgends, außer in jedem Menschen selbst, so er diese in sich durch sein Böses eben erst erschafft. Also denke aber auch an keinen Himmel als verheißenen Lohn für gute Werke; sondern des Herrn Jesu Wort sei dein Wille, durch dieses suche Ihn allein! Hast du Ihn, dann hast du alle Himmel und eine ganz andere Macht aus der Liebe, als du sie gehabt auf der Welt aus deiner Weltklugheit und hohen Stellung. Nun weißt du alles; tue, was dir dein freier Wille zulässt im Namen des Herrn Jesus. Amen.“

[8.13] Der Minister spricht: „Wahrlich, eure Rede ist weise und bürgt mir, dass da alles so ist, wie ihr es mir nun gekündet habt. Auch bin ich nun völlig klar, dass ich leiblich gestorben bin. Aber dass da der gewisse Jude Jesus der alleinige Gott und Herr sein soll, das fasse ich nicht! Was ist dann der „Vater“ und der „Heilige Geist“? Seht, das stimmt mit der eigenen Lehre Jesu nicht zusammen, der doch der Erste war, der eine göttliche Dreiheit allenthalben lehrte! Darum verzeiht mir, dass ich euch darum schon nicht so schnell folgen kann, wie ihr es wünscht, – außer ihr überzeugt mich dessen schnell.“

[8.14] Der Engel spricht: „Bruder, das geht so geschwind nicht, wie du es meinst. Lege vorerst dein Staatskleid ab und ziehe ein anderes der Demut und völligen Selbstverleugnung an, dann wirst du alsbald davon die vollste Überzeugung dessen bekommen, das dir jetzt noch als unfasslich erscheint.“

[8.15] Der Minister spricht: „Wohl denn, so übernehmt mich und bringt mich zurecht, und schabt sorglich alles Weltliche von meiner Seele, dann wird es sich zeigen, wie es mit eurer Aussage aussieht.“

[8.16] Nun treten die drei anderen Engel hinzu, ziehen dem Mann die Staatskleider aus und ziehen ihm dafür aschgraue, sehr zerlumpte und ziemlich schmutzige an. Und der zweite Engel spricht nun zu ihm: „Nun bist du mit dem Kleid der Demut angetan. Aber das allein genügt noch nicht, sondern du musst auch in der Tat demütig sein. Darum folge uns!“

[8.17] Der Mann folgt, und seht, sie kommen bei einem Bauernhof an und sagen zu ihm: „Siehe, hier wohnt ein schroffer Mann und hat große Schweineherden. Bei diesem sollst du dienen und mit allem zufrieden sein, was er dir zum Lohn geben dürfte; und wird er hart und ungerecht sein gegen dich, so sollst du alles mit Geduld ertragen und dir bloß in des Herrn Gnade und Erbarmung Recht schaffen.

[8.18] Wird er dich schlagen, da schlage nicht zurück; sondern wie ein Sklave halte ihm den Rücken also dar, wie du auf der Erde zufolge der militärischen Subordination es oft gesehen hast, wie sich ein armer Soldat ganz willenlos auf die Bank legen musste und aushalten die harte, oft ungerechteste Strafe! Wirst du das alles in rechter Geduld ertragen, dann soll dir ein besseres Los zuteilwerden!“

[8.19] Darauf spricht der Mann: „Ich bedanke mich gehorsamst für diese Führung! Gebt mir nur mein Staatskleid wieder, ihr Betrüger; ich werde schon selbst mir die Wege bahnen! Da schaut’s die Lumpen an; aus unsereinem, der wenigstens zwanzig Ahnen zählt, wollen sie so mir und dir nichts einen Sauhalter machen! O wäre ich noch auf der Welt, ich wollte euch dafür zahlen, dass ihr es euch merken solltet! Diese Vagabunden geben sich noch für Gottes Boten aus! Nein wartet, diese Gottesbotenschaft soll euch noch teuer zu stehen kommen!“

[8.20] Seht, die Engel geben ihm sein Staatskleid wieder und sagen: „Wie du willst. Da ist dein irdisch Kleid! Willst du die Wege des Lebens nicht wandeln, so wandle deine eigenen; aber unser Dienst bei dir ist zu Ende.“

[8.21] Nun seht, in welch ein Wasser unser Mann sich begibt; da wird er lange zu schwimmen haben, bis er auf des verlorenen Sohnes Rückweg zum Vater gelangen wird.

[8.22] Hüte sich darum ein jeder vor der Herrschsucht; denn diese hat stets gleich schlimme Folgen. Nächstens ein anderes Exempel.

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