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122. Der wahre Himmel, und über Geistererscheinungen – 25. Mai 1841 [Kleinere Naturzeugnisse 1906]

Gesicht des Knechtes als Hinzugabe zum Kulm

  1. Nachdem die Sonne untergegangen war, und zwar in der Zeit, als ihr bei der Rückfahrt den ersten Stern des Himmels erblicktet und auch zugleich des Friedhofes ansichtig wurdet, auf dessen oberster Stelle eine unausgebaute Kapelle sich befindet – in derselben Zeit wurde dem Knecht auf einige Minuten das Auge der Seele geöffnet, damit er einen Blick machen sollte dahin, da die Verstorbenen verwesen und die Unsterblichen nach und nach auferstehen.
  2. Damit ihr euch von dem Gesicht einen anschaulichen Begriff machen könnt, so stellt euch ein Glas mit Wasser gefüllt vor, in welchem einige Bröckchen Zuckers liegen, wie allda aus dem Zucker immerwährend Bläschen aufsteigen und kleine Klümpchen Zuckers sich auflösen und dadurch einen sternschnuppenartigen Schweif hinter sich lassen, der unaufgelöste Teil aber dann, sobald das Bläschen die Oberfläche des Wassers erreicht hat, sich wieder vom Bläschen trennt und in die Tiefe sinkt und dort sich entweder viel langsamer auflöst oder sich aber auch öfters an ein neues Bläschen anklebt und mit demselben eine neue „Auferstehung“ beginnt.
  3. Ebenso auch müsst ihr euch vorstellen die Seelen, deren Herz sehr stark an der Welt gehangen ist. Diese hängen noch gar lange nach dem Hinscheiden an der materiellen Erde und namentlich vorzugsweise gerne an dem Ort, wo ihr Leib verwest. Und manche verweilen so lange auf den Friedhöfen über den Gräbern ihrer Leiber, bis nicht ein Atom mehr von ihrem Leib durch den Akt der Verwesung überbleibt.
  4. Da die Seele nach dem Tode immerwährend mit ihrem freien Geist vereint bleibt, dessen vollkommenen Leib sie eigentlich selbst ausmacht, so wird auch in Hinsicht der ewig zu respektierenden Freiheit des Willens diesen Wesen durchaus kein Zwang angetan. Sondern sie werden von Zeit zu Zeit belehrt, können aber übrigens tun, was sie wollen, gerade so, als wenn sie noch leiblich auf der Welt lebten.
  5. Die meiste Ursache, dass sich die Seelen also auf den Friedhöfen aufhalten, ist wohl die falsche Lehre von der Auferstehung des Fleisches; sie werden zwar allezeit belehrt, dass der verstorbene Körperleib sie gar nichts mehr angeht, und dass aus demselben für sie in alle Ewigkeit nichts mehr herauswachsen wird und er daher für sie nicht mehr zu beachten ist als ein gänzlich zerrissener, zugrunde gerichteter Leibrock, aus welchem auch in alle Ewigkeit kein neuer Rock mehr auferstehen wird.
  6. Allein solche Lehre nützt bei diesen Wesen geradeso viel, als so ihr mit dem allerbesten Willen einem Erzmönch beweisen wolltet, dass Ich auch ohne ein sichtbares kirchliches Oberhaupt Meine Kirche lenken und regieren möchte, oder wenn ihr ihm beweisen wolltet, dass seine Kutte um kein Haar besser ist als die Jacke des geringsten Knechtes; oder wenn ihr ihm beweisen wolltet, dass eine sogenannte „Reliquie“ keinen anderen Wert hat, als ein in einem Dunghaufen halb verwester Strohhalm, oder wenn ihr ihm beweisen wolltet, dass ein kurzes Gebet im Geiste und in der Wahrheit aus dem Herzen eines Mich liebenden Bruders, und wenn es nur 10 Worte lang ist, einen unendlich höheren Wert hat als 10.000 Hochämter in einer fürs Volk unverständlichen Sprache, wenn sie noch so gut bezahlt wären von Gläubigen und gelesen bei den privilegierten Gnaden-Altären.
  7. Seht, geradeso viel ihr bei einem solchen Erzmönch ausrichten würdet, der euch bei eurer Erklärung nicht viel besser traktieren würde, wie Mich die Juden vor dem Hohenpriester Kaiphas traktiert haben, da sie Mich für den größten Ketzer hielten und für einen, der mit allen Teufeln Gemeinschaft hat – ebenso ergeht es auch den vom Himmel gesandten Lehrern, wenn sie solche Seelen von dem Irrwahn abbringen und ihnen beweisen wollen, dass das Fleisch des Leibes in allen Ewigkeiten nicht wieder auferstehen wird.
  8. Wenn die erst vor kurzem Verstorbenen solche Lehren vernehmen, da entsetzen sie sich und werden überaus traurig darüber, dass es ihnen fürder nicht mehr gegönnt sein sollte, in ihre vermeintlichen verklärten Leiber zurückzukehren, aus welchem Grunde denn auch in der Geisterwelt der Hauptunterricht auf dem Wege eigener Erfahrung bewerkstelligt wird.
  9. Wenn diese Wesen nach und nach ersehen, dass aus allen ihren Erwartungen, aus falscher Lehre und falschem Glauben, nichts wird, so verlangen sie da von den höheren Lehrern weggeführt zu werden, und zwar nirgendwo anders hin als schnurgerade in den Himmel.
  10. Solches wird ihnen alsogleich auch gewährt. Allein, wenn sie da in die Wahrheit des Himmels gelangen, so glauben sie durchaus nicht, dass dies „der Himmel“ sei, weil er nicht so aussieht, wie sie sich ihn fälschlich vorgestellt haben.
  11. Denn wenn sie da Menschen antreffen mit allerlei Arbeiten beschäftigt, wie auf der Erde, und zwar aus dem Grunde, weil die Freude des Himmels in nichts anderem besteht, als in einer Liebetätigkeit um die andere und in einem ersprießlichen Wirken nach dem anderen, da fangen sie oft gewaltig über den Himmel loszuziehen an und sagen:
  12. „Das wäre mir ein schöner Himmel, wo ich wieder arbeiten müsste! Solches habe ich auf der Erde zu meinem größten Überdruss tun müssen, und hab es nur getan des Himmels wegen! Jetzt aber, da ich in den Himmel gekommen bin, sollte ich arbeiten wie zuvor auf der Erde, und das dazu noch ewig! Da ist es ja doch viel gescheiter, ich kehre alsogleich zur Erde zurück und warte auf meinem Grab bis zum Jüngsten Gericht, allwann mein Leib gewiss auferstehen wird, weil es also geschrieben steht und mich auch die heilige römische Kirche also zu glauben gelehrt hat!“
  13. Und sobald kehren solche Wesen in allem Ernst zurück. Wenn sie aber an ihrem gewünschten Ort wieder alsobald angelangt sind, so werden sie von den Harrenden kreuz und quer ausgefragt, was der heilige Petrus zu ihnen gesagt habe, ob er sie geschwind hineingelassen habe, oder ob sie auf der gewissen Wartebank lange harren mussten, bis es dem Petrus einmal gefällig war, sie hineinzulassen.
  14. Und so lassen sich oft diese Geister über langes und breites fragen, bis sie erst mit einer lächerlichen Antwort zum Vorschein kommen, welche allerlei höhnende Formen ausbeutet, als z. B., dass sie sagen: „Der Himmel ist nichts als ein Bauerngrund“. Oder: „Er ist nichts als eine Dienstboten-Wirtschaft“. Oder: „Die himmlischen Freuden bestehen darinnen, dass man nun von neuem über einen Hausknecht arbeiten soll“ – und dergleichen Erklärungen des Himmels eine Menge.
  15. Solche Erklärungen aber finden allezeit – wie leicht zu glauben und einzusehen – keinen großen Glauben bei den noch nicht im Himmel Gewesenen. Und dessen ungeachtet wünschen doch viele in den „Bauernhimmel“ zu kommen.
  16. Welche dann solches wünschen, diese werden von den Lehrern hinweggeführt und über das Wesen des Himmels unterrichtet, allwo ihnen gezeigt wird, dass der wahre, eigentliche Himmel aus ihnen selbst hervorgehen muss, und dass sie durchaus nicht in den Himmel kommen können, sondern nur der Himmel in sie durch das lebendig ernstliche Wollen, stets mehr Gutes zu tun und darum auch stets geringer zu werden, um desto mehrfältig in die Gelegenheit zu kommen, jedermann dienen zu können.
  17. Wenn denn solche Lehre in ihnen Wurzel gefasst hat und sie eine große Lust bekommen, anderen in allerlei zu dienen und wohlzutun, alsdann werden sie von den Lehrern neuerdings enthüllt, auf dass sie sich fürs Erste ganz durchschauen können und hinreichend prüfen können ihren himmlischen Entschluss.
  18. Haben sie sich dadurch bewährt gefunden, dass sich ihre wahre Himmelsbegierde offenbar hervorgetan hat, gänzlich verzehrend alles noch irdisch Anklebende, so geht dann diese himmlische Begierde wunderbar gewisserart nach allen Seiten auseinander und bildet fürs Erste den wunderherrlichen Weg und, so sich immer mehr und mehr ausbreitend, endlich auch den Himmel selbst.
  19. Und dieser Himmel vereinigt sich dann mit dem gleichen Himmel der schon seligen Geister, wie sich gleichsam Liebe mit Liebe vereinigt und wie sich vereinigt das Liebe-Gute mit dem rein Glaubens-Wahren und, umgekehrt, wie das rein Glaubens-Wahre mit dem Liebe-Guten.
  20. Seht, also sah der Knecht durch einige Minuten diese Seelen sich erheben raschen Fluges nach oben und bald wieder zurücksinken. Und es war das Schauspiel nicht unähnlich dem Feuerspiel der sogenannten „römischen Lichter“, welche sich auch leuchtend erheben, aber in der Höhe, halb oder oft ganz verlöschend, umkehren und wieder zur Erde fallen – nur dass diese aufsteigenden Lichter nicht so feurig aussehen wie jene aus den römischen Kerzen, sondern ihr Licht gleicht vielmehr dem eines vom Mond erleuchteten kleinen Wölkchens.
  21. Doch müsst ihr euch nicht denken, als habe der Knecht menschliche Formen gesehen, denn solches vermag nur das Auge des Geistes – sondern nur ein solches Steig-und-Fall-Gaukelspiel von luftig-matt-schimmernden Wölkchenbüscheln. Und dieses hättet auch ihr gesehen, wenn ihr so lange auf dem Berg verweilt hättet.

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