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40. Noch eine Beleuchtung der Versuchung des Herrn in der Wüste (Luk. 11,1-13) – 20. Februar 1842 [Supplemente 1883]

  1. Sieh, da sind wieder sehr leichte Stellen der Schrift, und ihr versteht sie nicht. Warum aber versteht ihr sie nicht? Dieweil ihr noch immer mit dem großen Wörteraufschlagbuch des Lebens, welches allein die Liebe ist, nicht umzugehen wisst. Wenn ihr das Wesen der Liebe erfassen möchtet, wahrlich, bis in den Mittelpunkt der Erde gäbe es auch nicht ein sandkorngroßes Plätzchen, das sich euch nicht sobald als eine vollkommen enthüllte Welt darstellen möchte. Allein, es ist leichter zu zerstreuen als zu sammeln; ihr auch seid noch stark darinnen vertieft, wo die Strahlen zerstreut werden. Aber nur im Brennpunkt ist das Wesen vollkommen vorhanden, in der Zerstreuung aber nur atomenweise.
  2. Also ist auch das Wort durch den Buchstaben in der Zerstreuung der Welt gegeben, in welcher Zerstreuung da wohl niemand den Brennpunkt des Wortes ersehen kann. So aber jemand dieses zerstreute Wort in sich zu sammeln anfängt, so leitet er dadurch alle diese zerstreuten geistigen Strahlen auf einen gewissen Punkt in seinem Herzen. Und dieser Punkt ist ein Brennpunkt und entzündet das empfängliche Herz in der Liebe zu Mir und erleuchtet dann durch die Flamme der Liebe das große Geheimnis Gottes in ihm selbst. Was aber ist dieses Geheimnis Gottes? Nichts anderes als die ewige Liebe. Was aber ist diese Liebe? Sie ist der Geist Gottes im Menschen, durch welchen allein alles Leben kommt, und besonders das ewige Leben des Menschen. So ihr nun dieses wisst, dass der Geist Gottes nichts anderes ist und sein kann als die ewige Liebe in Gott, da habt ihr den wahren Brennpunkt schon in euch, mit welchem ihr die Tiefen der Gottheit erleuchtet beschauen könnt.
  3. Was sind denn die Tiefen der Gottheit? Das ist das zerstreute Wort Gottes in dem Buchstabensinn vor euch, in welchem niemand ohne den Geist Gottes den inneren Sinn oder die Tiefen der Gottheit erforschen kann. Sagt ihr aber ja doch selbst schon in weltlichen Dingen, dass die Liebe ein goldener Schlüssel ist, vor welcher kein Schloss sicher ist. Seht, dieses alte, in eurer Zeit schon freilich mehr verklungene Sprichwort ist ein wahres vox populi [Volkes Stimme] und vox Dei [Gottes Stimme]; denn die Liebe ist wahrhaft derjenige Schlüssel, mittelst welchem jedermann sogar bis in das Zentrum Meines Herzens dringen kann.
  4. Da wir nun dieses wissen, so lasst uns versuchen, ob dieser Hauptschlüssel auch nicht das vorliegende Geheimnis Meines Wortes durch den Mund Lukas erschließt.
  5. Vorerst aber muss eine Stelle vorausgehen, damit dadurch alles andere erleuchtet wird. Diese Stelle lautet also: „Und der Geist Gottes kam sichtbar über Ihn.“ Diese wenigen Worte sind der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnis der vorliegenden Stellen. Also ist aber solches zu verstehen:
  6. Bis zu dieser Zeit war Jesus ein Mensch, welchen der Vater ganz vollkommen für Sich erzog, und dieser Mensch Jesus war der Sohn Gottes darum, weil ihn Gott unmittelbar für Seine allerhöchste Aufnahme durch eine Jungfrau geboren werden ließ und ihm auch von Seiner allerhöchsten Seite Selbst die gehörige Erziehung gab. So war dieser Jesus bis auf diesen ersten Auftrittszeitpunkt weiter nichts als ein noch unbekanntes fleischgewordenes Wort Gottes und musste als Mensch sich freitätig gleich jedem anderen Menschen durch die alleräußersten Selbstverleugnungen auf das Allertüchtigste vorbereiten zum bevorstehenden Vollempfang des Geistes Gottes.
  7. Nun eben am Fluss Jordan, da Johannes die allerstrengsten Werke der Buße predigte, musste auch Er Sich hinbegeben, gleich also, als wäre Er einer unter den vielen Sündern. Und so hat Jesus als der ewige reinste Gottmensch gewisserart Sich Selbst also gedemütigt, dass Er daselbst unter die Scharen der Sünder trat und Sich ihnen gleich die Taufe der Buße geben ließ. Was geschieht aber nun bei dieser Seiner ersten größten Demütigung?
  8. Der Geist Gottes kommt sichtbar über Ihn, das heißt, die Liebe Gottes des ewigen Vaters nimmt nun volle Wohnung im Menschen Jesus und spricht Sich auch bei dieser Handlung jedermann vernehmlich aus, indem Sie von Oben die Worte zu jedermanns Ohren sendet: „Dieser Mensch Jesus ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich ein Wohlgefallen habe“ – das heißt, mit welchem Ich Mich jetzt auf ewig unzertrennlich in Eins verbinde. Diesem Menschen Jesus sollt ihr von nun an folgen und hören Sein Wort!
  9. Seht, hier ist Jesus Eins mit dem Vater, so zwar, dass da zwischen Ihm und dem Vater es keinen Unterschied mehr gibt. Und dieses vollkommene Eins ist nun ja doch unmöglich etwas anderes als die Liebe, nicht aber irgendeine Zerstreuung; denn die Liebe ist eine Vereinigung, welche hier doch für jedermann sichtbar geschieht, und kann nimmer eine Zerstreuung sein, in welcher ewig nimmer die Einung denkbar ist.
  10. Wenn es denn nun heißt: „Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt“, so wird das etwa doch so viel heißen als: Er wurde, von der allerhöchsten Liebe aus Sich Selbst getrieben, in die öde, wüste Welt der Menschen hinausgeführt. Wenn es da heißt: „Damit Er versucht würde vom Satan“, so ist das ja doch mit der Voraussetzung der Liebe überaus leicht zu verstehen und heißt mit anderen Worten nichts anderes, als dass diese ewige unendliche Liebe selbst das Allerverworfenste aus Sich nicht ausschließt, sondern sie stellt Sich ihm dar, damit auch dieses erkennen möchte, dass in Gott seiner grundirrigen Idee zufolge nicht die allerhöchste Hoffart, sondern nur die allerhöchste Demut wohnt.
  11. Wodurch aber konnte eben die ewige Liebe dem Satan zeigen, dass in Ihr die höchste Demut zu Hause ist? Diese Frage beantwortet sich von selbst, so ihr die dem Teufel zugelassenen drei Versuchungen nur einigermaßen mit dem geistig aufmerksamen Auge beleuchtet.
  12. Aus Liebe fastet der Gottmensch und lässt über Sich Selbst einen großen Hunger kommen und zeigt dann bei der ersten Versuchung, dass die wahre Liebe auch bei dem größten eigenen Bedürfnis sich noch gar wohl verleugnen kann – und ist ihr mehr jegliches Wort der Liebe für die Erhaltung aller geschaffenen Wesen denn die eigene Sättigung selbst. Darum auch in der Antwort gezeigt ist: Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern vielmehr von jeglichem Wort aus dem Mund der Liebe Gottes.
  13. Wer wird hier verkennen, was der Geist Gottes seinem Gegner und Abtrünnigen auf das Allerfasslichste vorstellt, da Er ihm den Weg zur Umkehr zeigt und ihm sagt im Geiste: Siehe, dahier ist auch der Platz für dich, nehme auf die Liebe aus Mir und lasse fahren das harte steinige Brot der Welt, so wirst auch du leben!
  14. Und wieder bei einer anderen Versuchung, da der Gegner noch einmal die Demut in dem Gottmenschen prüft, so wird es ihm entgegen bedeutet, dass auch er von der Liebe berufen ist, in ihr nicht die Demut zu prüfen, sondern dafür lieber selbst ihr zu dienen.
  15. Und wieder bei einer anderen Versuchung wird ihm sein Werk hart verwiesen und ihm abermals gezeigt, dass er umkehren soll und solle Gott dienen und Ihn nicht versuchen.
  16. Wer wird da wohl so blind sein und nicht sehen wollen, was der Geist Gottes hier ohne die geringste Beschränkung des freien Willens Seines Gegners bewirken wollte, nachdem Er ihm hier gezeigt hatte, dass Ihn nur die höchste Liebe zu ihm geführt hatte? Und dann aber auch ihm auf der Seite der höchsten Liebe zu zeigen, sprach ebenfalls dieselbe Liebe, dass es nicht in der Ordnung ist und unmöglich sein kann, dass sich Gott demütigen könnte vor einem Seiner Geschöpfe, sondern dass solches allezeit der umgekehrte Fall sein müsse.
  17. Wenn ihr nun dieses nur einigermaßen gehörig durchdenkt, so werdet ihr ja doch unmöglich wieder fragen können, was da verstanden wird unter dem Geiste Gottes, und wie und warum Dieser Jesus geführt hat in die Wüste.
  18. Wohl aber könnt ihr fragen, wie steht diese Begebenheit zu uns? Diese Frage ist ebenso leicht zu beantworten, so ihr die Wüste eures Lebens nur ein wenig betrachtet: wie Ich Mich von Meiner Vaterliebe in diese eure Wüste führen lasse und da oft gar lange fasten muss und werde von euch harten Gegnern wohl öfter als dreimal versucht und muss da lange in der größten Dürftigkeit und in der größten Armut warten und harren, bis die Geister eures Herzens zu Engeln werden, auf dass sie Mir dann zu dienen anfangen.
  19. Daher beachte auch ein jeder die Worte, die in diesen drei Versuchungen an den Satan gerichtet sind. Denn ein jeder Mensch ist zuvor ein Leibeigener des Satans, als er erst wird ein Eigentum Meiner Liebe. Damit er aber das werde, so komme Ich ja zu jedem in seine eigene Wüste durch den Geist der Liebe und lasse Mich lange von ihm in allerlei versuchen, damit er dadurch Meine endlose Liebe und allergrößte Demut erkennen solle. Wer da aber verharrt gleich dem, der Mich in der Wüste versucht hatte, was Wunders wird es sein, wenn er am Ende auch die Worte aus Meinem Mund vernehmen wird müssen: Weiche von Mir, Satan! – Solches beachtet wohl und überdenkt es in eurem Leben, so werdet ihr das Leben haben durch einen und denselben Geist Gottes ewig. Amen!

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