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137. Erläuterung vom Herrn (Fortsetzung). Zum Backenstreich und Mantel – 21. März 1864 [Supplemente 1883]

  1. Was das 5. Kapitel und den 39. Vers (Matthäus) betrifft, worin es heißt, dass sie nicht widerstreben sollen dem Übel, sondern so jemand jemandem einen Backenstreich gäbe, so solle er ihn nicht vergelten mit einem Gegenbackenstreich, und Vers 40: „So jemand rechten will mit dir um deinen Rock, da gebe ihm lieber auch noch den Mantel dazu“, ist folgendes zu bemerken:
  2. So jemand nur ein wenig helleren Denkens ist, so wird er das wohl auf den ersten Blick einsehen, dass dieses von Mir Gesagte nicht von fernhin dem materiellen Sinne nach seine Anwendung finden soll und finden kann; denn Ich habe dieses zwar gesagt bei einer Gelegenheit, als man Mich fragte, ob des Moses Anordnungen durch Meine pure Liebespredigt aufgehoben seien. Ich aber sagte: „Ich hebe kein Jota vom Gesetz Mosis auf und erfülle es insoweit, als es die Liebe in sich enthält. Es ist wohl wahr, dass zu den Alten durch Moses ist gesagt worden: ‚Aug’ um Aug’ und Zahn um Zahn! Und wer einen totschlägt, der solle auch wieder durch den Tod bestraft werden‘; aber unter euch, Meinen Jüngern, soll es anders sein!“
  3. Und eben da habe Ich das Beispiel von dem Backenstreich und von dem Streit über den rechtmäßigen Besitz eines Rockes gegeben, das freilich wohl nicht ganz richtig niedergeschrieben wurde. Und dazu kamen noch die nachweiligen Übersetzungen von der hebräischen Sprache in die griechische, von der in die römische und lange darauf von den drei erstgenannten Sprachen erst in die deutsche, die in der Übersetzungszeit noch sehr wortarm war und für manchen Ausdruck in den drei Sprachen nicht ein Wort hatte, um ihn richtig zu geben.
  4. Und es sollen demnach diese Verse genauer also lauten: „So du mit einem Bruder oder Nachbarn einer kleinen Sache wegen in einen Streit geraten bist und er schlagheftig dir entgegentrat, so werde du nicht noch heftiger, sondern reiche ihm freundlich die Hand und vergleiche dich im Frieden mit ihm, auf dass die alte Freundschaft unter euch wieder belebt werde!“
  5. Darin ist also von einer Ohrfeige keine Rede. Eben dadurch hätte Ich dem Stärkeren ein Recht eingeräumt, seinem schwächeren Bruder oder Nachbarn, sooft es ihm beliebt hätte, nicht nur mit einem, sondern mit zwei Backenstreichen aufzuwarten. Und ebenso verhält sich die Sache auch mit dem Rechten um einen Rock. Um aber dieses Rechten eines Rockes wegen richtiger zu verstehen, muss man in den jüdischen Haussitten und Gebräuchen eine wenigstens halbwegs genügende Kenntnis haben.
  6. Es war unter ihnen von alters her Sitte und Gebrauchsform: So jemand zu einer Zeit, da er gewöhnlich kein Geld hatte, auch keine verkaufbaren Haustiere, bedurfte aber dennoch eines Rockes oder Mantels oder beider Kleidungsstücke zugleich, so ging er zu einem oder dem anderen Kleidermacher seiner Gemeinde oder des Ortes hin, stellte ihm seine Lage vor und bestimmte ihm den Zahlungstermin.
  7. Nun geschah es aber sehr häufig, dass so mancher seinen Zahlungstermin entweder nicht einhalten konnte oder gar oft auch nicht wollte. Und der Rock- und Mantelsteller war zwar verpflichtet, ihm noch bis zu einem nächsten – zweiten, ja sogar bis zum dritten und letzten [Termin] — aber gegen ein kleines Interesse, zu warten, bis endlich der dritte und letzte Termin verflossen. Nach dem dritten Termin hatte der Rock- und Mantelsteller das Recht, das Bedungene von dem zu verlangen, dem er den Mantel und Rock gestellt hatte; und da ging es vor einem Richter oft nicht selten sehr hitzig her. Der Rocksteller wollte sein Bedungenes; der Besitzer des Rockes und des Mantels aber brachte allerlei Gründe vor, nach denen er auch nach dem abgelaufenen dritten Termin seinen Gläubiger nicht befriedigen könne.
  8. Für diesen Fall bestand bei den Juden ein Gesetz, dass im Falle einer wirklichen Zahlungsunfähigkeit die Gemeinde verpflichtet war, den Kleidungssteller zu entschädigen und ihn dadurch erwerbsfähig zu erhalten. Sie hatte dafür aber das Recht, mit der Zeit sich an dem zahlungsunfähigen Gemeinde-Insassen zu entschädigen, so sie gewahr würde, dass dieser zahlungsfähig geworden ist, was aber unter zehn solcher Schuldner oft kaum einer werden wollte und für seine permanente Zahlungsunfähigkeit allerlei Gründe vor die Gemeinde zu bringen verstand.
  9. Dadurch kam es oft zu jahrelangen Streitigkeiten in einer solchen Gemeinde, und Ich wurde einmal darüber befragt, was da Rechtens wäre, um solchen Übeln zu begegnen. Und da eben sagte Ich: Das beste und wirksamste Mittel bestehe darinnen, erstens nach dem Gesetz Mosis vollkommen redlich und ehrlich sein, nach dem niemand etwas begehren oder verlangen solle, was seines Nächsten ist. Da es sich aber um das Rechten eines Rockes handelt, so möge das für den Schuldner und den Gläubiger gelten: zum wenigsten ein- bis zweimal lieber den Rock – und am Ende auch noch den Mantel hin sein zu lassen, als die ganze Gemeinde in viele unnütze Streitigkeiten und Zwistigkeiten zu verleiten.
  10. Nun, wer das weiß, wird Mir unmöglich Unrecht geben können, dass Ich solchen Rat erteilt habe, damit für die Folge Friede und Einigkeit unter ihnen erhalten werde. Der Evangelist hat aber schon an und für sich solches, da ihm das Schreiben etwas lästig geworden ist, mit so wenig Worten als möglich wiedergeben wollen, um Zeit und Mühe zu ersparen; denn das Schreiben ging in jener Zeit nicht so hurtig vor sich, sondern nur sehr mühsam und langsam. Und zu einer solchen Schreibseite, die gegenwärtig ein nur mäßig fertiger Schreiber in der Zeit von 20 bis 30 Minuten niedergeschrieben hat, brauchte ein l’Rabbas in Sidon, ein Lukas in Jerusalem und ein Theophilus zu Athen, Korinth oder Syrakus, wo er sich oft zeitweilig aufhielt, bei allem Fleiß etwa acht Tage; denn entweder musste er seine Buchstaben mit stählernem Griffel in dazu eigens verfertigte harte Steinplatten eingraben, oder er musste sie mit einem feinen Malerpinsel auf Pergament förmlich hinmalen.
  11. Für den geübten Maler oder Schreiber mit einem Pinsel ging es mit dem Aufzeichnen der Buchstaben freilich um etwas geschwinder, aber auch nicht um ein sehr Bedeutendes als mit dem alten Griffel. Und das war denn auch der Grund, warum sich die Schreiber zu Meiner Zeit so kurz fassten. Und ein l’Rabbas, bis er sein letztes, d. i. fünfzehntes Evangelium auf dem Pergament vor sich hatte, benötigte zu solch einer Arbeit nahe an fünfundzwanzig Jahre, und er war dabei noch sehr fleißig und eifrig. Dass dann dergleichen Schreiber so kurz als möglich sich fassten, nur die Hauptworte gewisserart berührten und die Nebensachen zur Erklärung der Hauptbegriffe hinweg ließen, wird euch nun begreiflich sein.
  12. Aber, fragt da schon leicht noch jemand: Moses und auch andere Propheten aus der Vorzeit haben doch ausgedehnte Bücher geschrieben; wie lange hat denn hernach Moses gebraucht, um nur die bekannten fünf Bücher zu schreiben mit Hinweglassung des 6. und 7. Buches nebst einem bedeutenden prophetischen Anhang?
  13. Da sage Ich euch darauf, dass nach seiner damaligen Schrift alle die von ihm geschriebenen Bücher dem ganzen Volumen nach nahe nicht mehr ausmachten, als ein Evangelium des Johannes; denn Moses schrieb noch in der ihm wohlbekannten ägyptischen Hieroglyphenschrift. Und erst in der Zeit der Richter, die in dieser Schrift noch wohlbewandert waren sowie in deren Entsprechungen, wurden die Bücher Mosis mit den althebräischen Lettern aufs Pergament gebracht, das man in der alten Stadt Pergamus wohl zu bereiten verstand.
  14. Aber selbst diese Schrift war den meisten zu Meiner Zeit lebenden Juden unverständlich, weil die Vokale zwischen den Konsonanten nicht vorkamen; und man fand sich genötigt, eine neue Abschrift zu machen, an der sich die sogenannten alten Schriftgelehrten über zweihundert Jahre lang beteiligten. Und der Name Schriftgelehrter rührte denn auch daher, nicht als ob er den rechten Sinn der Schrift verstände, in welchem Stück die meisten Schriftgelehrten samt den Pharisäern die pursten Schafsköpfe waren, sondern weil sie die alte vokallose Schrift aus den Zeiten der Richter lesen konnten. Daher es euch auch nicht Wunder nehmen soll, dass es zwischen Mir und solchen Schriftgelehrten stets zu einem Wortkampf kam, an dem sie ihrer erwiesenen Blindheit halber kein Wohlgefallen hatten. Mit diesem werden die beiden oben fraglichen Texte begreiflich dargetan.

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