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103. Pontius Pilatus und dessen Weibes Traumgesicht – 28. Juni 1847 [Supplemente 1883]

  1. Das ist eine gute Frage, die einer guten Antwort wert ist, und also soll auch die Antwort folgen.
  2. Pontius Pilatus, ein vollkommener Römer, ward unter Tiberius Landpfleger vom Judenland und residierte in Jerusalem.
  3. Dieser Römer, ein Feind der überaus hochmütigen jüdischen Priesterschaft, sah daher alle jene Menschen mit einem wennschon geheimen, aber dennoch ganz besonderen Wohlgefallen an, die solcher ihm über die Maßen verhassten jüdischen Priesterkaste bei Gelegenheiten so recht derb die Wahrheit ins Angesicht zu schleudern verstanden. Und so die Priesterschaft dann darob bei ihm ihr Recht suchte, da richtete sie gewöhnlich wenig oder gar nichts aus, sondern musste meist unverrichteter Sache mit Schanden abziehen, was auch ein tüchtiges Stück des Grundes war, warum Pilatus und Herodes fast in beständiger feindlicher Spannung miteinander lebten; denn die hohe Priesterschaft stand mit Herodes stets auf bestem Fuße und sparte es daher auch nie, Pilatus beim Herodes zu verdächtigen.
  4. Aus eben dem Grunde aber hielt diese hohe Priesterschaft gar oft Rat, wie sie Mich aufgreifen und effektvoll dem römischen Gericht überliefern solle; aber sie konnte nie zu einem triftigen Grund kommen.
  5. Nur als Ich den bekannten Einzug hielt, bald darauf die Krämer aus dem Tempel trieb und den Lazarus erweckte, und alles Volk Mir Hosianna zuzurufen anfing, da war es der hohen Priesterschaft zu viel! Da beschloss sie, Mich ernstlich zu greifen und dem Pilatus als einen Staatsrebellen vorzuführen. Wird er Mich richten, dann solle er ungerochen bleiben; richte er Mich aber nicht, so wollen sie (die Priesterschaft) ihn beim Kaiser selbst als einen verdächtigen Menschen bezeichnen, bei welchem Geschäft ihnen Herodes mit Freuden an die Hand gegangen wäre.
  6. Dem Pilatus blieb dieser Plan zwar nicht geheim, nur wusste er nicht, wie er ihm vorbauen solle; daher beschloss er bei sich, diese Sache näher abzuwarten. Aber während er noch mit sich selbst kalkulierte, was er tun werde, so die hohe Priesterschaft ihm mit dem berüchtigten Jesu im Ernst den Streich spielen solle, siehe, da kam sie schon mit dem Gefangenen und verlangte unverzügliches Gericht! Pilatus, ganz wie aus den Wolken gefallen, fragte freilich mit einer Donnerstimme: „Was hat dieser Gerechte, an dem ich keine Schuld finde, verbrochen?“ – Aber die Priesterschaft und ihr bezahlter Anhang schrie noch zehnmal ärger: „Dieser ist ein Volksverführer, ein Aufwiegler, ein Sabbatschänder, ein Gotteslästerer und gibt sich für den Sohn des lebendigen Gottes aus! Das alles ist nach unseren Gesetzen, die Rom respektiert, und auch nach des Kaisers Gesetzen des Todes im höchsten Grade wert; daher richte ihn, lasse ihn kreuzigen, oder du bist des Kaisers Feind!“
  7. Dieser Ausruf machte Pilatus allerdings stutzen, und er wusste im Ernst nicht, was er da tun solle. Hier, dachte er in der Eile bei sich, ist nichts anderes zu tun, als zu solch zu wenig vorgesehenem bösen Spiel eine gute Miene zu machen und im Namen des unergründlichen Fatums dem zu willfahren, was diese ihm nun über alles verhasste Priesterrasse von ihm verlangt!
  8. Aber eben da ließ ihn sein Weib Tullia Innocentia rufen und vermeldete ihm insgeheim, wie sie gesehen mit klaren Augen, dass dieser Jesus auf den Wolken der Himmel daherschwebte, begleitet von zahllosen Myriaden von den herrlichsten Genien (Engeln), – alle schrien mit Donnerstimme: „Heil unserem großen Gott! Heil dem ewigen allmächtigen Überwinder des Todes und der Hölle! Wehe aber Jerusalem; wehe euch, die ihr darinnen wohnt, euer Los wird sein der ewige Tod, die ewige Vernichtung, darum ihr Jesus nicht erkennt und Ihn richtet und Ihn kreuzigt! Dem allein Gerechten aller Gerechtigkeit sei ewig Ehre, Ruhm und alles Heil! Darauf blickte dieser Jesus nach der Erde herab, und siehe, da erbrannte der ganze Erdkreis, und es war alles ein Feuer, und alles, was da atmet, wurde von diesem Feuer verzehrt! Daher, lieber Pilatus, habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten!“
  9. Diese Erzählung machte den Pilatus, der als Römer große Stücke auf derlei Erscheinungen hielt, gar mächtig stutzen, so dass er bei sich selbst beschloss, mit Jesu nichts weiteres mehr vorzunehmen, als Ihn dem Gericht des Herodes anheimzustellen, der in solch fraglichen Dingen wohl auch ein Ius gladii [Schwertrecht, d. h. die Vollmacht, die Todesstrafe auszusprechen] hatte, laut dem er auch Johannes konnte enthaupten lassen. Herodes aber roch hier den Braten und wusste gar wohl, dass ihm alles Volk wegen Johannes aufsässig ist; würde er nun auch Christus töten, so würde ihn das Volk zerreißen. Daher sandte er Jesus, den viele für Christus hielten, fein wieder zu Pilatus zurück.
  10. Pilatus versuchte nun alle Mittel, Jesus frei zu machen; aber es war alles vergebliche Mühe, bis er endlich in höchster Entrüstung sich öffentlich die Hände wusch und sprach: „Ich will keine Schuld haben am Blut dieses Gerechten! Ihr aber habt selbst ein Gesetz; nehmt ihn und richtet ihr ihn!“ – Da schrien dann die hohen Priester: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! Wir aber dürfen unsere Hände nicht mit Blut besudeln; daher gebe uns römische Soldaten!“
  11. Als Pilatus das vernahm, da gedachte er der alten Sitte, laut der er dem jüdischen Volk zu seinem Paschafest einen Verbrecher freigeben musste. Er wandte sich daher nochmals zu der Menge der Jesusfeinde und bekannte, wie er an Jesu zufolge so kurzer Untersuchung durchaus keine Schuld finden könne, dass es daher nötig sei, um ein richtiges und vollgerechtes Urteil zu schöpfen, diesen Menschen länger zu verhören und in allen Stücken zu untersuchen. Zugleich aber sei es ohnehin Sitte, am Fest einen Verbrecher dem Volk freizugeben; nun stelle er ihnen Jesus, dessen Schuld noch nicht erwiesen ist, und Barabbas, den berüchtigten Raubmörder, zur freien Wahl, welchen aus beiden sie wollten. Sie alle aber schrien: „Barabbas!“
  12. Das aber war es eben, was eigentlich Pilatus wünschte und wohl wusste, dass diese aufgereizte Priestermenge nicht Jesus freirufen werde; denn nur dadurch glaubte er Ihn frei zu machen, dass, so sie Barabbas frei haben werden, sodann Jesus an seiner Stelle ins Gefängnis kommen werde, und so könnte dann allem mit der Zeit geholfen sein. Denn fürs Erste wäre dadurch den Priestern das Maul gestopft, und er könnte fürs Zweite dadurch den Priestern beim römischen Hof bedeutende Schanzen legen, die sie schwerlich durchbrechen würden.
  13. Der Gedanke und der Wille des Landpflegers waren gut; aber als der ganze Haufe nach Freilassung des Barabbas nur umso hartnäckiger auf der Kreuzigung bestand und von der Einkerkerung Jesu nichts hören wollte und ihn, Pilatus, einen Feigling nannte, da ward er im höchsten Grad entrüstet und sprach: „Da – ihr Elenden! Nehmt euren Verbrecher, der gerechter ist, als ihr es seid, und da sind die Schergen! Zieht ab, macht mit Ihm, was ihr wollt; mein Zeugnis über Ihn und über euch wird von mir eigenhändig folgen!“
  14. Mit diesen Worten entfernte er sich und überließ ihnen Jesus, den die Hohepriesterschaft dann durch die Schergen ergreifen und kreuzigen ließ, wie bekannt.
  15. Was Pilatus weiter tat, ist auch bekannt, und dass er den Freunden Jesu willfahrte, was sie von ihm verlangten. Aber dass Pilatus und sein Weib später heimlich selbst Christen wurden, und dass eben Pilatus sehr viel dazu beitrug durch seine genaue Beschreibung des sehr verdächtigen jüdischen Priestertums, dass in einem Zeitraum von etlichen 30 Jahren darnach Jerusalem von den Römern gänzlich zerstört wurde und die Juden in alle Welt zerstreut, das dürfte nun wohl nur sehr wenigen auf Erden bekannt sein.
  16. Das aber sei euch darum bekanntgegeben, auf dass ihr nicht gleich Tausenden und Millionen in einem fort den armen Pilatus verdammt, obschon ihr nun auch das ganz überaus wohl wissen sollt, was da alles hatte geschehen müssen nach Meinem ewigen Ratschluss, wie Ich es auch den zwei nach Emmaus wandelnden Jüngern ganz offen heraus gesagt habe, um ihnen zu zeigen, was Gott wollte, und sie darum ihren unbegrenzten Hass gegen die Priester mäßigen sollten.
  17. Ihr hasst zwar Pilatus nicht, aber er kommt euch dessen ungeachtet dennoch als ein etwas verdammter Kerl vor, der Mich leicht hätte retten können, so er es nur gewollt hätte, so recht ernstlich – und bedenkt aber dabei nicht, dass Sich Gott durchaus nicht von dem armseligsten schwachen Menschen aus irgendeiner Gefahr retten zu lassen braucht! Oder glaubt ihr wohl im Ernst, dass Pilatus so etwas hätte zuwege bringen können, Den zu retten, der dem Meer und Winden gebot, und Der der alleinige ewige Retter aller Menschen und Geister ist?
  18. O seht, das und noch so manches ist bei euch wohl noch sehr schwach und noch ziemlich stark babylonisch! Die Schrift musste ja erfüllt werden, und so ward am Kreuz allen, die da nicht wussten, was sie taten, vergeben. Wenn das, so lasst in Zukunft den armen Pilatus doch auch ein wenig mehr leben, als es bei euch bis jetzt der Fall war. Amen! Das sage Ich euch, auf dass ihr fürder auch Pilatus nicht richtet. Amen, Amen, Amen!

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