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102. Die Schiffspredigt des Herrn am See Genezareth (Lukas, 5. Kapitel) – 16. Mai 1843 [Schiffspredigt 1893]

  1. Diese Predigt, aus 64 Versen bestehend, bei der ersten großen Kirchenversammlung verloren ging; hier aber von Wort zu Wort wieder gegeben wird zum Frommen der gläubigen Liebhaber des Herrn. Die Predigt aber lautete mit den 3 vorhergehenden Versen also:
  2. Es begab sich aber, dass sich das Volk zu Ihm drang, zu hören das Wort Gottes aus Seinem Munde, da Er am See Genezareth stand und vor dem großen Andrang des Volkes nicht Platz hatte, zu stehen am Ufer.
  3. Er sah aber zwei Schiffe am See stehen, aus denen die Fischer ausgestiegen waren, zu waschen ihre Netze.
  4. Da trat Er sobald in eines der beiden Schiffe, welches da des Simon war, und bat ihn, dass er es ein wenig vom Land führe. Als solches der Simon voll Ehrfurcht und geheimer Liebe tat, da setzte Sich der Herr alsbald und begann aus dem Schiff das Volk zu lehren. Und Er tat Seinen Mund auf und sprach laut zum Volk:
  5. „Der Geist des Herrn ist über Mir, darum hat Mich der Herr gesalbt. Er hat Mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Eröffnung und den Gebundenen eine Erledigung, wie es der Prophet Jesajas (61, 1) gesagt hat.
  6. So hört denn ihr Elenden und jauchzt! Denn euer Licht geht auf wie die Sonne aus dem Meer, und eure Herzen werden hell leuchten wie die Wogen des Meeres im Licht der aufgegangenen Sonne.
  7. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und ein großes Dunkel all die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und Seine Herrlichkeit erscheint über dir.
  8. Und die Heiden werden in deinem Licht wandeln und die Könige im hellen Glanz, der nun über dir aufgeht.
  9. Freue dich, Zion, deinen Kindern ist ein Erlöser gekommen und allen denen, die sich bekehren werden von der Sünde. Höre, also spricht nun der Herr:
  10. Wie lange ist es wohl, dass ihr gebunden seid? Und wer aus euch mag die Jahre zählen, die ihr schon von Uranbeginn hier schmachtet?
  11. Eure Väter weinten, als sie Knechte wurden zu Babel; und die Mütter herzten ihre Kinder und wehklagten.
  12. Aber hier ist mehr als Babylon! Ich habe die Kinder auferzogen; aber sie haben ihre Heimat vergessen; ihren Vater kennen sie nicht mehr.
  13. Wehe euch, die ihr euch frei zu sein dünkt! Denn ihr seid des Tempels Knechte geworden. Das ganze Haupt ist krank, und das Herz ist matt geworden.
  14. Was soll Mir die große Menge eurer blinden Opfer? Solches spricht nun der Herr: ‚Ich bin satt geworden der Brandopfer von Widdern und des Fetten vom Gemästeten. Ich habe keine Lust zum Blut der Farren, der Lämmer und Böcke.
  15. Wenn ihr aber hereinkommt, zu erscheinen vor Mir, sagt, wer fordert solches von euren Händen, so ihr in Meinen Vorhof tretet? – Ich sage euch: Nicht Ich, nicht Der, der Mich gesalbt hat von Ewigkeit, sondern die Habsucht der Diener des Tempels und des Vorhofes.
  16. Bringt daher nicht mehr Speisopfer so vergeblich! Das Rauchwerk ist Mir ein Gräuel und der Neumond und der Sabbat, da ihr zusammenkommt und habt nichts davon denn leere Mühe und tote Angst.
  17. Meine Seele ist feind geworden allen euren Neumonden, Jahreszeiten, Festen und Jubeljahren! Ich bin ihrer Leerheit überdrüssig und bin müde geworden, noch länger zu schauen eure Torheit. Denn so ihr Gott nicht liebt, was sollen da eure toten Opfer Mir, dem Lebendigen?“ (Jes. 1, 11-14)
  18. Also spricht nun der Herr! So ihr aber den Vater von Herzen lieb habt, wozu dann des Tierblutes und des Rauchwerkes?
  19. Und Er sagte ihnen darauf dieses Gleichnis:
  20. ‚Es war eine Witwe, die hatte zwei Söhne. Der eine hieß Levi und der andere Josua.
  21. Die Witwe aber war krank und ächzte und stöhnte auf ihrem Lager, und ihr Angesicht ward blass, und ihre Augen fingen an sich zu verdunkeln.
  22. Da rief sie ihre Söhne zu sich und sprach zu ihnen: ‚Meine geliebten Söhne, hört mich, eure hinscheidende Mutter! Meine letzte Stunde ist gekommen. Geht aber hin und betet, ob der Herr Sich etwa meiner erbarmen möchte oder möchte zu Sich nehmen meine Seele im Frieden.‘
  23. Da gingen die Söhne hinaus und weinten. Und der Levi sprach: ‚Wer wird sich unser erbarmen und uns versorgen, wenn die Mutter von uns genommen wird?‘
  24. Aber Josua sagte: ‚Möchte ich doch lieber nichts haben als Brot und Wasser, wenn ich nur das Grab meiner Mutter nicht sehen dürfte. Lieber Bruder, lass uns hingehen und beten, ob der Herr Sich unser erbarme und sende Seinen Engel, dass Er die Mutter stärke und ihr Rettung bringe von oben!‘
  25. Und Levi, der Erstgeborene, ging hierauf in den Tempel und sprach bei sich selbst:
  26. Ich will dem Herrn ein Brandopfer tun zum süßen Geruch, zwei junge Farren, einen Widder, sieben jährige Lämmer. Dazu ihr Speiseopfer, drei Zehnten Semmelmehl mit Öl gemengt zu einem Farren, zwei Zehnten zu dem Widder und je einen Zehnten zu einem Lamm der sieben Lämmer.
  27. Aber Josua ging hinaus unter die Palmen, kniete dort nieder, faltete seine Hände und betete also:
  28. ‚Ach! Der Du hörst das Seufzen der Betrübten und das Wehklagen des zerbrochenen Herzens, siehe an meine Tränen und mein verfallenes Angesicht und hilf mir, Du lieber, heiliger Vater im Himmel!
  29. Auf Dich allein hofft meine Seele! Erbarme Dich, du Trost der Elenden, erbarme Dich unser, o du lieber, guter, heiliger Vater!
  30. Ich kann Dir ja nichts geben als nur dieses mein armes, zerbrochenes Herz, aber ich will Dich lieben mit unendlicher Liebe und auf dem Wege der Gerechtigkeit wandeln mein Leben lang.‘
  31. Und seht, ein heller Glanz verbreitete sich unter den Palmen und eine Stimme sprach aus der strahlenden Wolke:
  32. ‚Sie lebt! Dein Bruder hat Mir Brandopfer gelobt; aber keine Träne hat seine Augen befeuchtet.
  33. Du aber hast vor Mir gebetet und geweint und hast Mir dein Herz gegeben. Darum gehe aber auch hin im Frieden.‘
  34. Und als er hinkam, da trat schon seine Mutter aus der Hütte ihm entgegen, schloss ihn in ihre Arme und segnete ihn.
  35. Was meint ihr wohl, welcher Sohn da ein ernstes Opfer dem Herrn gebracht hat? – Ihr sprecht: ‚Josua!‘
  36. Ich aber sage zu euch: Eben darum hängt auch ihr euer Herz nicht an den leeren Tempel und pocht nicht darauf! Denn er ist von Menschenhänden gemacht und wird bald verwittern, da seine Zeit kommen wird, und seine Priester werden sterben.
  37. Was dünkt euch? Der Tempel ist groß in Jerusalem und das Herz ist klein in der Brust. Aber dieses kleine Herz kann den großen, lebendigen Gott lieben. Ist es darum nicht ein schöneres und herrlicheres Werk als das, welches Salomo baute?
  38. Habt ihr gelesen, was der Prophet Jesajas spricht? Das ist sein Wort: ‚Ich will Gold anstatt des Erzes und Silber anstatt des Eisens bringen und Erz anstatt des Holzes und Eisen anstatt der Steine und will machen, dass deine Vorsteher den Frieden lehren sollen und deine Pfleger Gerechtigkeit predigen.‘ (Jes. 60,17)
  39. Aber wo ist der Friede auf Erden? Und wo haust die Ruhe unter den Menschen?
  40. Seht, das Leben gleicht dem Schifflein im Meer, das stets hin und her wankt und immerdar geschlagen wird von den zornigen Wellen. Sie fahren stolz einher und bäumen sich hoch auf. Aber bald fallen sie zurück ins Meer und werden da zu nichtigem Schaum.
  41. Ich bin von Gott gesandt, um Frieden zu bringen den Menschenkindern vom Aufgang bis zum Untergang; aber dem ungeachtet ruht der Arge nicht, und der Teufel hat seine Apostel bis zu seiner Zeit.
  42. Ich bin der Stein des Anstoßes und ein Feld der Ärgernis dem Hause Israel, zum Strick und Falle all den Heuchlern auf Erden, dass ihrer viele sich daran stoßen, fallen, zerbrechen, verstricken und gefangen werden.
  43. Wehe euch Pharisäern und Sadduzäern, das Licht ist schon vormals Moses erschienen, als der Busch brannte im Feuer; aber ihr verbindet euch selber die Augen.
  44. Das Gesetz des Herrn ist ewig und steht in eines jeden Menschen Herzen geschrieben; aber ihr, die ihr den Frieden predigen sollt, entzweit die Menschen und verdammt da, wo ihr mit aller Liebe suchen sollt.
  45. Ihr seid verkehrte Leiter und Führer des Volkes, und eure Kinder und Kindeskinder werden es noch ärger machen!
  46. Ihr schlagt den Fels; aber er bleibt verschlossen. Ihr küsst noch die Rute Arons; aber sie grünt nicht mehr.
  47. Hört, die ihr pflanzt die Zeder unter dem Felsen und bindet die Rebe an einen morschen Pfahl! Die Zeder wird dennoch grünen, und die Rebe wird sich an dem Felsen hinaufranken.
  48. Hebt eure Augen auf und schaut ins Meer! Meint ihr nicht: Die bergehohen Wogen wollen die Sonne verschlingen?
  49. Ich aber sage euch: Es ist nur der Sonne Bild, das sie brechen; aber die Sonne waltet ganz unbekümmert um dieses Meeres Wogen am hohen Himmel und freut sich ihres vorigen Tages.
  50. Darum sollt ihr die Herzen nicht binden und plagen mit vergeblichen Worten und nicht schreien: Hier ist eine Schlange und dort ist eine! – da ihr doch selbst keine seht und je gesehen habt.
  51. Hört daher auf zu lehren das Volk, ihr Heuchler, Hurer und Ehebrecher, sondern lernt selbst von denen, die den Weg des Herrn suchen in der Liebe und Einfalt ihres Herzens.“
  52. [Und Er sagte ihnen abermals ein Gleichnis:]
  53. „Nathan, der Alte, war gestorben, hatte zwei Söhne hinterlassen und Malkah, seine Tochter.
  54. Diese Kinder befragten sich untereinander und sprachen: ‚Was meinte doch unser Vater, als er starb und vor seinem Hinscheiden sagte, wir sollen sein Gedächtnis im Segen erhalten?‘
  55. Und die Söhne stritten und zankten darüber miteinander von der Früh bis zum Untergang der Sonne.
  56. Sie wollten ein Denkmal setzen – der eine von Holz, der andere von Marmor. Der eine wollte, dass die Überschrift lang, der andere aber, dass sie kurz sein sollte. Der eine wollte dieses Denkmal in den Garten, der andere aber an der Wegscheide setzen.
  57. Am nächsten Tag kamen sie wieder zusammen und fingen von neuem an, miteinander zu hadern.
  58. Um die elfte Stunde aber, als es Abend ward und die Sonne sich neigte, ging Malkah allein zum Grab und kniete da nieder, pflanzte einen Rosenstock auf das Grab des Vaters und benetzte denselben mit den Tränen ihrer Liebe.
  59. Wahrlich, Ich sage euch: Sie hat das beste Denkmal gesetzt dem Vater und hat allein seinen Willen vollkommen erfüllt.
  60. Ihr seid gleich den beiden Söhnen! Mit Holz und Steinen, mit Blut und Rauchwerk wollt ihr auch den Vater im Himmel ehren; aber eure Herzen sind ferne von Ihm!
  61. Ihr könnt lange Gebete auswendig und noch längere tragt ihr auf langen Streifen bei euch, damit die Menschen von euch glauben sollen, als wärt ihr groß, mächtig und angenehm vor Gott.
  62. Aber das lebendige kurze Gebet im Herzen ist euch fremd, da ihr den Vater nicht kennt und Ihn noch nie erkannt habt.
  63. Ihr sagt gleichwohl: ‚Wenn ein ungereinigter Sünder vor Gott betet, so sündigt er noch ärger!‘ – O ihr habsüchtigen, mörderischen Betrüger des Volkes! Was sollen demnach eure Gebete sein, da ihr doch stets vom Anbeginn schon voll Gräueltaten, voll Hurerei und Ehebruches wart! Propheten habt ihr gemordet und getötet alle, die euch nicht opferten in großen Massen, und ihr sagt noch: ‚Wir sind Kinder Abrahams, Isaaks und Jakobs!‘
  64. Abraham, Isaak und Jakob erkannten aber den Vater, als Er zu ihnen kam. Was ist’s denn, dass ihr Ihn nicht erkennt, da Er zu euch gekommen ist? – Weil ihr Kinder des Teufels, aber nicht Kinder Abrahams seid.
  65. Ich aber sage euch: Diesmal wird es der Vater mit euern Sündern halten und wohnen in ihren Häusern und wird Kost nehmen bei den Zöllnern. Euch aber wird Er schlagen mit der äußersten Finsternis, damit an euch erfüllt werde, was der Prophet Jesajas spricht, indem er sagt:
  66. ‚Wer hat den Gerechten vom Aufgang erweckt, wer rief Ihn, dass Er ging? Wer gab die Heiden und Könige vor Ihm hin, dass Er ihrer mächtig ward, und gab sie Seinem Schwert wie Staub und Seinem Bogen wie zerstreute Stoppeln?‘“ (Jes. 41, 2)
  67. Viele bekehrten sich durch diese Rede.
  68. Als aber darunter mehrere Pharisäer und Sadduzäer gewaltig zu schmähen anfingen und Er darum auch aufgehört hatte zu reden, da sprach Er zu Simon:
  69. „Fahrt auf die Höhe und werft eure Netze aus, auf dass ihr einen guten Zug tut!“
  70. Das Fernere siehe das 5. Kapitel im Evangelium des Lukas.
  71. Diese Rede aber haben auch bekommen von Mir: Geiring, Tauler, Tersteegen, Lavater, Stilling und einige andere euch weniger Bekannte; darunter euch nur der Witschel bekannt ist. Rom und andere Höfe haben sie wohl auch; aber sehr entstellt.

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