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63. Häusliche Verhältnisse und Musikinstrumente auf dem Miron

(Am 8. November 1842 von 4 1/4 bis 5 3/4 Uhr abends.)

[63.1] Was wird denn unter den kleinhäuslichen Verhältnissen verstanden? Nichts anderes als allein nur diejenigen Regeln, welche in bürgerlicher Hinsicht von jedem einzelnen Haus an und für sich allein zu beobachten sind. Zu solchen Regeln gehören demnach alle die Freundschaftsverhältnisse und von ihnen abgeleiteten gegenseitigen Tunlichkeiten, wodurch die Familie eines und desselben Hauses sich gegenseitig beliebtätigt und dadurch zu erkennen gibt, dass die Glieder in einem Haus sich allernächst verwandt sind.

[63.2] Die erste Regel heißt demnach: Achtung auf Achtung, Liebe auf Liebe und Freundschaft auf Freundschaft. – Dieser ersten Regel folgt eine zweite, und diese lautet: Auge auf Auge, Hand auf Hand und Herz auf Herz. – Eine dritte Regel lautet: Tritt für Tritt, Ohr für Ohr und Gang für Gang. – Nach diesen bereits angegebenen Regeln richtet sich dann alles in einem Haus.

[63.3] Das Elternpaar ist das Oberhaupt der Familie, der Vater für den männlichen und die Mutter für den weiblichen Teil. Da aber Vater und Mutter hier wahrhaft einen Leib ausmachen, so vereinigen sich diese beiden obersten Pole zu einem Wirkungspunkt. Was demnach der Vater will, das will auch die Mutter. Und so ist im ganzen Haus, sowohl männlicher- als weiblicherseits, eine und dieselbe Verfassung.

[63.4] Darum ist die Regel: „Achtung auf Achtung“ im ganzen Haus allgemein. Es achtet der Hausvater sein Weib und dieses den Hausvater, und sie werden dadurch eins, weil nur aus solcher Achtung die wahre, reine Liebe hervorgehen kann. Also achten demnach auch die Brüder ihre Schwestern und die Schwestern ihre Brüder, und also in aufsteigender Linie alle Kinder ihre Eltern, wie auch wieder umgekehrt die Eltern ihre Kinder. Und der jüngere Bruder achtet den älteren und der ältere den jüngeren. Und also ist es auch der Fall bei den Schwestern, und also auch gegenseitig von einer älteren Schwester zu einem jüngeren Bruder und von einem älteren Bruder zur jüngeren Schwester.

[63.5] Dadurch ist dann alles auf der Grundfeste der gegenseitigen Achtung durch das Band gegenseitiger Liebe verbunden, welche sich in der gegenseitigen, überaus süßen Freundlichkeit ausspricht. Dadurch aber sind ja auch alle anderen Regeln schon erfüllt. Denn Aug’ auf Aug’ heißt doch unter solchen liebefreundlichen Verhältnissen sicher: zusammensehen, sicher: einstimmigen Herzens sein, und sicher: mit Händen einander unterstützen, und ferner auch gerne einander die Füße leihen, gerne einander angehören und gerne dahin gehen, wohin einer oder der andere geht.

[63.6] Manchmal wohnen in einem Haus nicht nur eine, sondern oft drei, vier bis fünf Familien, so dass es gewisserart fünf Paare Eltern gibt, die alle mit mehr oder weniger Kindern bereichert sind. Aber alle diese Familien in einem Haus stehen also zusammen, dass da von irgendeinem Zank wohl nie die Rede ist; im Gegenteil, je mehr Familien oft in einem Haus beisammen wohnen, desto inniger und somit auch gesegneter, geht es da zu. Diese Menschen sind wahrhaft so verliebt ineinander, dass sie sich eher alles antun ließen, bis da einer imstande wäre, einem Glied der Familie über die Schranken der Achtung nur im Geringsten zu nahe zu treten; sondern ein jedes, selbst schon von den kleinsten Kindern angefangen, die da ihr Kinderhaus verlassen haben, wird solche gegenseitige Achtung mit der größtmöglichsten Delikatesse beobachten.

[63.7] Aus diesem Grunde lieben diese Menschen auch die Musik so sehr, weil sie ihren inneren Charakter, unter allen Künsten und Wissenschaften die sie besitzen, am meisten zuspricht; und die Musik gehört dann auch zu einer häuslichen Hauptbeschäftigung.

[63.8] Damit wir uns aber von diesen tonkünstlerischen Menschen einen näheren Begriff machen können, wollen wir zuerst ihre musikalischen Instrumente ein wenig durchmustern und sodann erst einer kleinen musikalischen Produktion unsere Ohren leihen.

[63.9] Was die musikalischen Instrumente betrifft, so haben sie durchaus keine Ähnlichkeit mit den euren; daher auch die Musik alldort ganz anders klingt als bei euch. Blasinstrumente wie auch Saiteninstrumente sind hier nirgends anzutreffen. Aber statt der Saiten- eine Art Glockeninstrumente, dann Scheibeninstrumente und auch Kugelinstrumente sind allhier zu Hause.

[63.10] Was das Glockeninstrument betrifft, so wird dieses aus einer Art sehr wohlklingenden Metalls also angefertigt: Es werden mehrere Glocken in der Art von Halbkugeln gegossen; diese Glocken werden dann von groß bis zu klein auf einer Spindel befestigt; nachdem sie zuvor gehörig poliert und nach eurer chromatischen Tonleiter reinst gestimmt worden sind. Auf einer Spindel stecken bei einem vollkommenen Instrument allzeit für drei Oktaven solche Glocken, nach der Stimmung ungefähr von eurem D in der Kontraoktave anfangend und von da drei Oktaven aufwärts steigend. Die Töne dieses Glockeninstrumentes werden auf doppelte Weise den einzelnen Glocken entlockt, entweder durch das Anschlagen mit einem etwas weichen Hammer oder durch das Reiben mittels der Finger, welche zuvor in ein wenig gesalzenes Wasser gehalten werden. Dieses Instrument wird gewöhnlich von den Männern gespielt und ist kein Soloinstrument, sondern ein harmonisches Begleitungsinstrument zum Gesang der Weiber.

[63.11] Nach diesem Instrument kommt das Scheibeninstrument. Das Scheibeninstrument ist aus dem schon einmal erwähnten Glas verfertigt. Die Scheiben stecken ebenfalls auf einer Spindel, welche so wie die frühere gedreht wird, und der Ton wird durch das Reiben mit beharzten Fingern hervorgebracht. Dieser Ton ist überaus durchdringend, und das Instrument ist gerade allenthalben um eine Oktave höher gestimmt als das frühere und wird somit nur zur Verstärkung der Harmonie des schon bekannten Glockeninstruments gebraucht.

[63.12] Das vorzüglichste und zugleich Soloinstrument ist dasjenige, was wir schon früher mit dem Namen Kugelinstrument bezeichnet haben. Da aber dieses Instrument einer ziemlichen Mechanik unterworfen ist, so wollen wir davon bei einer nächsten Gelegenheit ausführlich sprechen, wie auch über die Art und Weise, wie dieses Instrument allda auf eine sehr geschickte Welse von den Musikern gehandhabt wird. Und somit gut für heute.

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