Am 9. August 1843
[8.1] Der Freund Josephs aber war ein Sachkundiger; denn er war ein Arzt, der da die Kräuter kannte und bei gefährlichen Geburten nicht selten den Wehmüttern beistand.
[8.2] Dieser ging mit Joseph und besah insgeheim Mariam, – und als er sie beschaut hatte, sprach er zu Joseph:
[8.3] „Höre mich an, Bruder aus Abraham, Isaak und Jakob, deinem Haus ist ein großes Unheil widerfahren, – denn siehe, die Magd ist hochschwanger!
[8.4] Du bist aber auch selbst schuld daran; denn siehe, es ist nun der sechste Mond, da du aus warst auf deinem Hausbau! Sage, wer hätte denn da wohl achthaben sollen auf die Magd?“
[8.5] Joseph aber antwortete: „Siehe, Maria war unter der Zeit kaum drei Wochen in einem fort zu Hause, und das im Anfang, da sie in mein Haus kam; dann brachte sie volle drei Monde bei ihrer Muhme Elisabeth zu!
[8.6] Nun aber sind bereits auch zwei Monde, da sie unter meiner beständigen Aufsicht sich befindet, verflossen, und ich habe nie jemanden gesehen, der da zu ihr offen oder heimlich gekommen wäre!
[8.7] Und in der Zeit meiner Abwesenheit aber war sie ja ohnehin in den besten Händen; mein Sohn, der sie geleitet hat zur Elisabeth, gab mir den teuersten Eid zuvor, dass er, außer im Notfall, auch nicht einmal ihr Kleid anrühren wolle auf dem ganzen Weg!
[8.8] Und so weiß ich mit großer Bestimmtheit, dass da Maria von meinem Haus aus völlig rein sein müsse; ob aber solches auch der Fall ist mit dem Haus des Zacharias, das unterliegt freilich wohl einer anderen Frage!
[8.9] Soll ihr das etwa im Tempel begegnet sein von einem Diener desselben? Davor wolle mich der Herr bewahren, so ich da möchte einer solchen Meinung sein; denn so was hätte der Herr längst ruchbar gemacht durch die allzeitige Weisheit des Hohepriesters!
[8.10] Ich aber weiß nun, was ich tun werde, um der Wahrheit der Sache auf die rechte Spur zu kommen. Du, Freund, magst nun wieder im Frieden ziehen, und ich werde mein Haus einer starken Prüfung unterziehen!“
[8.11] Josephs Freund verzog nicht und ging sobald aus dem Haus Josephs; Joseph aber wandte sich sobald an Maria und sprach zu ihr:
[8.12] „Kind! mit welcher Stirn soll ich nun aufschauen zu meinem Gott? Was soll ich nun sagen über dich?
[8.13] Habe ich dich nicht als eine reine Jungfrau aus dem Tempel empfangen, und habe ich dich nicht treulich gehütet durch mein tägliches Gebet und durch die Getreuen, die da sind in meinem Haus?
[8.14] Ich beschwöre dich darum, dass du mir sagst, wer es ist, der es gewagt hatte, mich zu betrügen und sich also schändlichst zu vergreifen an mir, einem Sohn Davids, und an dir, die du auch demselben Haus entsprossen bist!
[8.15] Wer hat dich, eine Jungfrau des Herrn, verführt und geschändet?! Wer hat es vermocht, deinen reinsten Sinn also zu trüben? – und wer, zu machen aus dir eine zweite Eva?!
[8.16] Denn also wiederholt sich an mir ja leibhaftig die alte Geschichte Adams, denn dich hat ja augenscheinlich gleich der Eva eine Schlange betört!
[8.17] Also antworte mir auf meine Frage! Gehe aber, und fasse dich; denn dir soll es nicht gelingen, mich zu täuschen!“ – Hier warf sich Joseph vor Gram auf einen mit Asche gefüllten Sack auf sein Angesicht und weinte.
[8.18] Maria aber zitterte vor großer Furcht, fing an zu weinen und zu schluchzen und konnte nicht reden vor zu großer Furcht und Traurigkeit.
[8.19] Joseph aber erhob sich wieder vom Sack und sprach mit einer etwas gemäßigteren Stimme zur Maria:
[8.20] „Maria, Kind Gottes, das Er Selbst in Seine Obhut genommen, warum hast du mir das getan? Warum hast du deine Seele so sehr erniedrigt und vergessen deines Gottes?!
[8.21] Wie konntest du solches tun, die du auferzogen warst im Allerheiligsten und hast deine Speise empfangen aus der Hand der Engel und hast diese glänzenden Diener Gottes allzeit gehabt zu deinen Mitgespielen?! O rede, und schweige nicht vor mir!“
[8.22] Hier ermannte sich Maria und sprach: „Vater Joseph, du gerecht harter Mann! Ich sage dir: So wahr ein Gott lebt, so wahr auch bin ich rein und unschuldig und weiß bis zur Stunde von keinem Mann etwas!“
[8.23] Joseph aber fragte: „Woher ist denn hernach das, was du unter deinem Herzen trägst?“
[8.24] Und Maria erwiderte: „Siehe, ich bin ja noch ein Kind und verstehe nicht die Geheimnisse Gottes! Höre mich aber an, und ich will es dir ja sagen, was mir begegnet ist! Solches aber ist auch so wahr, als wie da lebt ein gerechter Gott über uns!“
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