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206. Nur drei Tränen hat der Herr in das Auge des Menschen gelegt: die Freudenträne, die Mitleidsträne und die Träne, die der Schmerz erpresst

Am 13. Mai 1844

[206.1] Je länger aber nun die Tullia das Kleine auf den Armen hatte, desto mehr erkannte sie ihre Lebensfehler in sich und weinte darob sehr von Zeit zu Zeit.

[206.2] Da richtete Sich das Kindlein auf und sprach zur Tullia: „Du Meine liebe Tullia! Das gefällt Mir schon wieder nicht von dir, dass du nun in einem fort weinst, da du Mich doch auf deinen Armen hast!

[206.3] Sei nun heiter und fröhlich; denn Ich habe kein Wohlgefallen an den Tränen der Menschen, wenn sie da fallen, wo sie nicht vonnöten sind!

[206.4] Meinst du etwa, deine Tränen werden reinigen dein Herz von aller Sünde vor Mir?

[206.5] O siehe, das ist töricht! Die Tränen gleiten wohl über deine Wangen und trüben deine Augen, was dir schädlich ist sogar,

[206.6] aber übers Herz gleiten die Tränen nicht und reinigen es auch nicht; wohl aber machen sie es oft verschlossen, dass dann weder etwas Gutes noch etwas Böses in selbes eingehen kann!

[206.7] Und siehe, das bringt dann auch den Tod dem Geist, der im Herzen wohnt!

[206.8] Denn ein trauriger Mensch ist stets ein beleidigtes Wesen, und dieses Wesen ist für nichts aufnahmefähig.

[206.9] Nur drei Tränen habe Ich in das Auge des Menschen gelegt, und diese sind: die Freudenträne, die Mitleidsträne und die Träne, die der Schmerz erpresst.

[206.10] Diese allein mag Ich sehen; aber die Trauerträne, die Reueträne und Zornträne, die aus dem Mitleid mit sich selbst entsteht, sind Früchte des eigenen Grund und Bodens und haben bei Mir einen geringen Wert.

[206.11] Denn die Trauerträne entstammt einem beleidigten Gemüt und verlangt Ersatz; kommt dieser nicht, so umwandelt sich ein solch Gemüt leicht in einen geheimen Zorn und endlich in ein Rachegefühl.

[206.12] Die Reueträne ist ähnlichen Ursprungs und kommt erst dann nach der Sünde zum Vorschein, so eben die Sünde eine wohltätige Züchtigung nach sich gezogen hat.

[206.13] Dann aber ist sie keine Träne über die Sünde, sondern nur eine Träne ob der Züchtigung und darum auch über die Sünde, weil diese die Züchtigung zur Folge hatte.

[206.14] Auch diese Träne bessert das Herz nicht; denn der Mensch flieht dann die Sünde nicht aus Liebe zu Mir, sondern nur aus Furcht vor der Strafe; und siehe, das ist ärger denn die Sünde selbst!

[206.15] Was aber die Zornträne betrifft, so ist sie nicht wert, dass Ich von ihr ein Wort spräche; denn diese ist ein Quellwasser aus dem Fundament der Hölle!

[206.16] Diese Träne aber befeuchtet wohl dein Auge nicht, sondern nur die Reueträne.

[206.17] Ich aber sage dir, trockne dir auch diese von deinen Augen; denn du siehst ja, dass Ich an ihr keine Freude habe!“

[206.18] Hier wischte sich die Tullia ihre Augen aus und sprach: „O Herr! Wie endlos weise und gut bist Du doch!

[206.19] O wie heiter und fröhlich könnte ich sein, wenn ich keine Sünderin wäre!

[206.20] Aber ich habe in Rom auf Geheiß des Kaisers einem Götzen des Volkes wegen geopfert, und diese Tat nagt wie ein böser Wurm an meinem Herzen!“

[206.21] Und das Kindlein sagte: „Diese Sünde habe Ich dir schon eher vergeben, als du sie begangen hast.

[206.22] Aber du warst Mir um die Liebe des Cyrenius neidisch; – siehe, das war eine grobe Sünde! Ich aber habe dir nun alles vergeben, und du hast keine Sünde mehr, weil du Mich wieder liebst; daher aber sei fröhlich und heiter!“

[206.23] Darauf ward die Tullia, wie alles im Hause Josephs, wieder voll Heiterkeit, und alle begaben sich darauf zum Nachtmahl.

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