Am 8. März 1844
[161.1] Bei dieser Gelegenheit erwachte auch die Maria, rieb sich den Schlaf aus den Augen, stand sogleich auf und wusch sich und wechselte im Nebenkabinett das Schlafkleid mit dem Tageskleid.
[161.2] In kurzer Zeit kam sie ganz gereinigt wieder zurück, gleichend einem Engel des Himmels, so schön, so gut, so fromm und so sorglich ergeben in den Willen des Herrn.
[161.3] Sie begrüßte den Joseph und küsste ihn, umarmte dann die Eudokia und küsste sie.
[161.4] Nach dieser gar freundlichen Begrüßung, die dem alten Joseph allzeit einige Tränen der Freude kostete, kniete – sich im Herzen überaus demütigend – die Maria voll Liebe zur Wiege nieder und gab betend dem Kindlein die Brust.
[161.5] Nachdem das Kindlein gesogen hatte, ließ die Maria sogleich ein frisches Bad bereiten und badete das Kindlein wie gewöhnlich.
[161.6] Und das Kindlein strampelte munter im Badebecken herum und ließ fleißig Seine unartikulierte Stimme hören.
[161.7] Als das Kindlein gebadet war und getrocknet und wieder in frische Kleidchen und Fußwindeln gesteckt,
[161.8] da fragte die Maria das Kindlein, wie Es Sich befinde, ob Ihm wohltäten die frischen Kleiderchen.
[161.9] Denn sie wusste ja, dass das Kindlein reden kann, und das göttlich weise; aber niemand außer dem Jakob wusste, dass das Kindlein Sich die Zunge wieder gebunden hatte.
[161.10] Daher befremdete sie alle, dass das Kindlein auf die Fragen der Maria keine Antwort erteilte.
[161.11] Maria bat darauf das Kindlein inständigst, dass Es doch nur ein wenig reden möchte; aber das Kindlein trieb Seine Kinderstimme, und von einem Wort war keine Rede mehr.
[161.12] Das beunruhigte die Maria wie den Joseph, und sie gedachten, ob etwa die Engel das Gottkind nicht bei der Nacht in den Himmel brachten und ließen dafür ein ganz gewöhnliches Kind in der Wiege.
[161.13] Denn der Glaube an die Auswechslung der Kinder war bei den Juden sehr gang und gäbe.
[161.14] Maria wie der Joseph betrachteten das Kindlein gar ängstlich, ob Es wohl noch Dasselbe wäre,
[161.15] konnten aber nicht die allerleiseste Unähnlichkeit entdecken, weder am Kopf noch irgendwo anders.
[161.16] Da sprach die Maria: „Hebt das Badewasser auf, und sucht einen Kranken, und bringt ihn hierher;
[161.17] denn bis jetzt hat dies Wasser stets eine wunderheilsame Kraft gehabt!
[161.18] Wird der Kranke gesund, so haben wir noch unser Kindlein, und wird er nicht gesund, so hat es Gott dem Herrn wohlgefallen, uns ein anderes Kind an die Stelle des Seinen zu geben!“
[161.19] Hier wollte Jakob reden; aber das Kindlein verbot es ihm wohlvernehmlich in seinem Herzen, und er schwieg.
[161.20] Joseph aber sandte sogleich den ältesten Sohn in die Stadt, dass er brächte einen Kranken.
[161.21] In anderthalb Stunden kam er mit einem Blinden, und Maria wusch ihm die Augen mit dem Badewasser; aber der Blinde bekam nicht das Licht seiner Augen.
[161.22] Diese Erscheinung machte die Maria, den Joseph, die vier Söhne und die Eudokia traurig; nur Jakob blieb heiter und nahm das Kindlein und lockte Es.
[161.23] Der Blinde aber murrte, weil er meinte, dass er nur gefoppt worden sei.
[161.24] Joseph aber vertröstete ihn und versprach ihm die Verpflegung lebenslänglich als Entschädigung für diese vermeintliche Fopperei. Damit ward der Blinde wieder beruhigt.
[161.25] Joseph aber bemerkte des Jakobs Heiterkeit und stellte sie ihm als eine Sünde gegen ihn als Vater dar.
[161.26] Jakob aber sprach: „Ich bin heiter, weil ich weiß, woran ich bin; ihr aber trauert, weil ihr das nicht wisst! Wisst ihr denn nicht, dass man Gott nicht versuchen solle?“
[161.27] Hier hauchte Jakob den Blinden an, und dieser ward sehend im Augenblick; alle aber staunten nun den Jakob an und wussten nicht, wie sie daran waren.
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