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100. Cyrenius wirbt um die Hand der geheilten Blinden. Das Eherecht im alten Rom

Am 22. Dezember 1843

[100.1] Cyrenius aber sprach zum Joseph: „O Freund und Bruder! Kümmere dich nicht der Leichen; denn in dieser Nacht sind bei zweihundert zum Leben gebracht worden, und ich habe für ihr Unterkommen heute den ganzen Vormittag gesorgt!

[100.2] Und sollten im Verlaufe der Schuttwegräumung noch mehrere unversehrte Leichen vorgefunden werden, so wird für sie gesorgt sein wie für die bisherigen.

[100.3] Siehe, das ist in kurzem das Ganze und ist bei weitem von keinem so großen Interesse nun für mich als eben diese Maid, die nach deiner mir höchst glaubwürdigen Aussage die Tochter eines römischen verunglückten Patriziers sein soll!

[100.4] Lasse mich daher vorher genau in Erfahrung bringen, wie es mit diesem Kind steht, auf dass ich dann ja alles aufbieten kann, was zum Wohle dieser Waise erforderlich ist.

[100.5] Siehe, wie ich dir schon ehedem gesagt habe, ich bin ledig und habe keine Kinder; kann sie wohl besser versorgt werden, als so ich sie als ein Bruder des Kaisers zum festen Weib nehme?!

[100.6] Daher also liegt mir die Geschichte dieses Mädchens nun vor allem stets mehr und mehr – und mehr am Herzen!

[100.7] Verschaffe mir daher nur sogleich die Gelegenheit, dass ich mich mit diesem herrlichen Kind bespreche und wohl berate!“

[100.8] Und der Joseph sprach zum Cyrenius: „Hoher Freund und Bruder! Du sprichst da zu mir, dass du ledig seist, und hast doch in Tyrus selbst zu mir geredet, dass du vermählt bist mit einem Weib, – nur hast du keine Kinder mit ihr!?

[100.9] Sage mir, wie soll ich das nehmen? Du kannst dir wohl ein zweites Weib nehmen, so das erste unfruchtbar ist; aber wie du als ein vermählter Gatte noch ledig seist, fürwahr, das verstehe ich nicht! Darüber erkläre dich deutlicher!“

[100.10] Und der Cyrenius lächelte bei dieser Gelegenheit und sprach: „Lieber Freund! Ich sehe, dass du mit den Gesetzen Roms nicht vertraut bist; daher muss ich dir schon einen näheren Aufschluss erteilen, – und so höre mich denn!

[100.11] Siehe, wir Römer haben ein dreifaches Eherecht; zwei darunter sind nicht bindend, nur eines ist bindend.

[100.12] Laut den zwei nicht bindenden Gesetzen kann ich mich vermählen wohl mit einer Sklavin sogar; ich habe aber darum dennoch kein festes Weib, sondern nur eine gesetzlich erlaubte Beischläferin, und ich bin dabei ledig noch und kann mir allzeit ein standesmäßiges rechtes Weib nehmen.

[100.13] Der Unterschied der ersten zwei nicht bindenden Gesetze besteht bloß darin, dass ich im ersten Falle mir bloß eine Konkubine nehmen kann, ohne die geringste Verbindlichkeit, sie je zum rechtmäßigen Weib zu nehmen.

[100.14] Im zweiten Falle aber kann ich auch die Tochter von einem standesmäßigen Haus mir bloß von ihren Eltern anbinden lassen unter der Bedingung, sie zum rechtmäßigen Weib zu nehmen, so ich mit ihr ein bis drei lebende Kinder erzeuge, darunter wenigstens eines ein Knabe ist.

[100.15] Im dritten Falle tritt dann erst das festbindende Gesetz ein, laut dem ich erst vor dem Altar Hymens von einem dazu bestimmten Priester mit einem rechtmäßigen Weib fest verbunden werde und dann nicht mehr ledig, sondern verheiratet bin.

[100.16] Also hebt bei uns weder die Vermählung (nuptias capere), noch die examinative Ehe (patrimonium), sondern allein die wirkliche Verheiratung (uxorem ducere) den ledigen Stand auf nach den Gesetzen, wie sie jetzt bestehen.

[100.17] Also können wir nuptias capere, patrimonium facere und uxorem ducere, und nur das Letzte hebt das Ledigsein auf.

[100.18] Siehe, darum auch bin ich umso mehr ledig, da ich mit der Konkubine keine Kinder erzeugen kann, und wäre sogar dann noch ledig, so ich mit ihr Kinder hätte, weil die Konkubinat-Kinder bei uns kein Recht auf den Vater haben, außer der Vater adoptiert sie mit des Kaisers Einwilligung!

[100.19] Nun weißt du alles, daher ersuche ich dich, mich nun mit der Geschichte dieses Mädchens näher vertraut zu machen; denn ich bin nun vollkommen entschlossen, mich mit ihr sogleich vollkommen zu verheiraten!“

[100.20] Als der Joseph das vom Cyrenius vernommen hatte, da sprach er: „Wenn also, dann will ich selbst zuvor das Mädchen unterrichten und vorbereiten, auf dass sie ein solcher Antrag nicht schwäche oder gar töte!“

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