Am 19. Juni 1843
[3.60.1] Nach solcher törichten Schwärmerei ging der Lamech hin in den Tempel, saß neben dem Altar nieder, lehnte sich mit dem Rücken an den Altar, sein Gesicht gegen den Aufgang kehrend. Denn nun hatte er auch am Altar kein Behagen mehr, da das strahlende Herz auf demselben zufolge des Ärgernisses Lamechs entschwunden war und somit der Altar leer dastand.
[3.60.2] In dieser Stellung gedachte der Lamech so lange zu verweilen, bis er endete; aber der nahe Aufgang einer ganz anderen Sonne, als sie Lamech erwartete, brachte den Lamech wieder zu sich.
[3.60.3] Der Aufgang aber hatte solch eine Gestalt: Anstatt der erwarteten Sonne erhob eine ungeheure Riesenschlange den Kopf über den Horizont; und da der Kopf stieg, zog er auch einen so riesenhaften Schlangenleib nach sich. Diese Schlange aber leuchtete so stark wie die Sonne.
[3.60.4] Als dies riesige Ungeheuer sich schon so ziemlich hoch über dem Horizont befand, da folgten demselben eine zahllose Menge kleinerer Schlangen, welche samt und sämtlich gleich der Hauptschlange sehr stark leuchtende Strahlenkronen auf den Köpfen trugen.
[3.60.5] Bald ward der ganze Himmel mit solchen Schlangen überfüllt, welche sich in allerlei Windungen um die Hauptschlange bewegten.
[3.60.6] Diese Bewegungen wurden aber stets heftiger und heftiger. Es entstand ein förmlicher Kampf. Die Hauptschlange biss die kleineren, und die Gebissenen fielen alsbald zur Erde nieder, und da irgendeine niederfiel, steckte sie die Erde auch alsbald in einen entsetzlichen Brand.
[3.60.7] Der Boden der Erde aber fing laut zu wehklagen an über solch ein Ungemach, und die Berge bogen sich grimmentbrannt in die Täler und verlegten die Ströme und trieben aus ihren Klüften und Riffen Massen und Massen von Wolken, verdunkelten mit denselben dichter und dichter den ganzen Himmel, und gar bald entstürzten denselben ganz unerhört gewaltige Ströme und setzten alle Lande unter Wasser.
[3.60.8] Und das Wasser stieg und stieg, verschlang gar bald die Stadt Hanoch und erreichte auch schon mit furchtbarem Wogenschlag nahe den Scheitel des Berges, da sich Lamech mit seinem noch immer schlafenden Volk befand.
[3.60.9] Da aber der Berg zu wanken anfing und der Tempel mit dem baldigen Einsturz drohte und dazu noch ein mächtiger Blitz kam, dessen gar gewaltiges Gekrache die Erde beben machte, da auch fing es den sich zwar zugrunde richten wollenden Lamech an zu bangen.
[3.60.10] Er stand auf, griff alsbald nach seinen Augen, rieb dieselben und fing an, um sich zu blicken, ersah alsbald den Tempel vor sich und im selben den Herrn und den Henoch, und das Volk saß munter um den Tempel herum und lobte und pries die Herrlichkeit Gottes; er aber befand sich ganz wohlbehalten unter den Seinen.
[3.60.11] Als er sich nun also erblickte und alles in der alten, guten Ordnung, da fragte er alsbald den neben ihm stehenden Thubalkain:
[3.60.12] „Sohn, mein Sohn, sage mir, was ist denn um des Herrn allmächtigen Willen nun mit mir vorgegangen? Wo war ich denn, und wo wart denn ihr und der weise Mann und der Henoch, welche beiden nun noch dort im Tempel sicher auf mich warten?“
[3.60.13] Und der Thubalkain erwiderte dem Lamech: „O Vater Lamech, was fragst du mich? Bist du denn von Sinnen, dass du solches nicht weißt, wie du nach der Beheißung des Mannes hierher kamst, um allem Volk zu verkünden, dass es sich erheben solle vom Boden!?
[3.60.14] Siehe, da umarmtest du meine und der Naëme Mutter und schliefst in solcher Umarmung Süßigkeit alsobald und eher noch ganz fest ein, und schliefst also nun eine geraume Zeit hindurch, die ich aber nun nicht bestimmen kann, wie lange sie war.
[3.60.15] Siehe, das ist das Ganze! Magst du mir nicht glauben, so sind da ja noch mehrere Zeugen, die dir dasselbe notwendig werden kundgeben müssen, weil es sich unleugbar also verhält.“
[3.60.16] Als der Lamech solches vernommen hatte, da schrie er laut auf und sagte: „Gott! Dir, Du allein Heiliger, sei ewig alles Lob, aller Preis, aller Dank und alle meine Liebe, dass dies alles nur ein eitler Traum war!
[3.60.17] Aber wie möglich konnte es denn nur geschehen, dass ich des Herrn Wort sobald verschlafen konnte, und habe nicht getan nach Seinem Ruf!?“
[3.60.18] Der ihm zur Seite stehende Lamech aus der Höhe aber erwiderte ihm: „Siehe, Bruder, weil du nicht eher erfülltest des Herrn Willen, und hattest heimlich in dir den Gedanken genährt, mitten auf diesem Berg unter deinen Weibern die Nacht hindurch zu ruhen!
[3.60.19] Und so denn ließ es der Herr auch zu, dass du ganz unbewusst zu deinen Weibern gelangtest in der Zeit, als du in deiner nächtlichen Phantasie meintest, das Volk zu wecken, aber niemand sich kehren mochte nach deinem Ruf, den du nicht tatest, indem du, schon in deinen Weibern wonneschlafend, aus dem Tempel gingst.
[3.60.20] Also hat dich vor Gott das Fleisch berückt, und Gott ließ es dann zu, dass du hast schmecken müssen die Früchte der Liebe im Fleische.
[3.60.21] Lasse dich aber von mir wieder führen hin in den Tempel, und der Herr wird dir enthüllen noch so manche Torheit in dir; und so denn folge mir! Amen.“
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