Hier ist Dein Kapitel

45. Die Frage der Kritiker über die Kraft des Wortes. Das innere lebendige Wort

Am 23. Mai 1843

[3.45.1] Es waren aber einige beim anderen Tisch, allda sich der Redner befand, die da etwas hartverständig waren. Diese wandten sich mit folgender etwas dummen Frage an den Redner und sagten:

[3.45.2] „Guter, weiser Freund und Bruder, du hast viel Licht in dir und redest weise Worte! Das können wir dir durchaus nicht in Abrede stellen, denn auch wir sind ziemlich mit Weisheit ausgerüstet und können daher gar wohl beurteilen, ob das, was da jemand spricht, weise ist oder dumm!

[3.45.3] Aber auch bei dir können wir nicht sagen, als hättest du nicht weise geredet, sondern wir erkennen deine Weisheit als vollkommen an.

[3.45.4] Aber ein Punkt kommt darinnen vor, der uns zur Sättigung des Geistes nicht recht munden will, wenigstens in der Art nicht, wie du ihn uns aufgetischt hast!

[3.45.5] Siehe, du sagtest: Das Wort löst die feste Materie auf in ihre inneren Grundformen, in deren Beschauung sich die Seele sättige; und wenn dann die Formen erst bis in den innersten Grund aufgelöst werden, dass wir dann dadurch in ihnen den Sinn des Geistigen erschauen, so nähren wir dadurch den Geist.

[3.45.6] Das wollen wir dir allerdings zugeben; aber dass der Mensch mit seinem ohnmächtigen Wort die feste Materie lösen kann, wie allenfalls das glühende Erz einen Wassertropfen, – Bruder, denke nur selbst ein wenig nach, und du wirst deinen Hieb ins Blaue sicher auf der Stelle merken!

[3.45.7] Rede zu einem Stein tausend Jahre und darüber, wenn du überhaupt so lange leben kannst, und der Stein wird ein Stein bleiben also, wie er geschaffen ward – freilich wohl durch ein mächtigeres Wort, als da ist das unsrige!

[3.45.8] Daher aber möchten wir, weil uns auch an deiner Ehre sehr viel liegt, wenn wir auch nicht wissen, aus welchem Stadtteil du zu uns kamst, wohl sehr gerne haben, dass du möglicherweise diese Scharte auswetzen sollst, wenigstens jetzt, da dort am anderen Tisch sogar die hohen Gäste auf unser Geplauder zu achten scheinen, und sogar die zwei Mächtigen aus der Höhe!“

[3.45.9] Der Redner aber erhob sich und sprach zu den gutmeinenden Kritikern: „Richtet sich die wahre Weisheit nach der ewigen Wahrheit, oder nach der Schwäche der Welt?! Welche Antwort wollt ihr mir denn auf diese Frage geben? Wer aus euch die Weisheit besitzt, der rede!

[3.45.10] Ihr schweigt und sucht eine Antwort; ich aber behaupte, dass ihr diesmal keine finden sollt, die mir genügte! Habe ich denn von einer materiellen oder mechanischen Löse der Materie geredet?

[3.45.11] Ihr seid ganz gutmütig verlegen um meine Ehre vor den hohen Gästen des anderen Tisches; was soll denn nun ich tun, um eure Ehre zu retten, indem ihr durch diese eure Frage und durch diese eure kritische Beurteilung meiner Rede an euch zu eurem Wohle eine mehr als recht altweiberhafte Dummheit ans hellste Tageslicht gebracht habt?

[3.45.12] Hatte ich denn nicht geredet von einem inneren lebendigen Wort der Liebe aus dem Herzen, welches sich zuerst in klaren Gedanken oder seelischen Formen ausspricht und geht dann über in die Sprache des Gesichtes und dann erst, wenn es nottut, ob der Schwäche der Menschen von bloß groben Sinnen in die Mundsprache, damit die groben Sinne solch schwacher Menschen aus der öfteren Sättigung des Geistes in ihnen möchten verfeinert werden und sie dann mit solchen verfeinerten, also lebendigeren Sinnen möchten beschauen die Dinge in ihrer Wahrheit und dadurch stets mehr und mehr sättigen ihren Geist, damit er als das eigentliche Leben im Menschen erstehe und ein vollkommener Herr sei in seinem Haus, – während er also gestaltet, wie es sich in euch nun bekundet hatte, ein barster, nichtssagender Knecht der Materie, des Gerichtes und somit auch des Todes ist?!

[3.45.13] Wenn ich also nur von einem solchen Wort geredet habe, sagt mir dann, wie ist vor Gott und aller Welt da euer Verständnis bestellt, dass ihr solches nicht habt fassen können und wollt lieber mit eurer groben Dummheit euch auszeichnen als etwa mit einer freundlich-demütig-bescheidenen Frage über irgendeinen Punkt meiner Rede, der euch etwas dunkel vorkam?“

[3.45.14] Hier sahen einander die früheren Kritiker ganz verdutzt an, und keiner war imstande, auch nur eine allergeringste Rechtfertigung hervorzubringen.

[3.45.15] Der Lamech aber sagte zum Henoch: „O Bruder Henoch, wenn es noch mehr solche Weise in dieser meiner Stadt gibt, da werde ich mich an ihrer Seite ganz sonderbar ausnehmen! Denn dieser redet ja, als wäre er schnurgerade aus den Himmeln hierher gekommen!“

[3.45.16] Der Henoch aber sagte zum Lamech: „Bruder, gedulde dich nur! Der Redner ist noch nicht fertig; wenn er aber wird fertig werden, dann werde ich dir schon sagen, was du zu tun hast! Es wird aber schon noch besser kommen; des kannst du vollends versichert sein. Daher nur Geduld! Amen.“

TAGS

Kein Kommentar bisher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Letzte Kommentare