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256. Gurat wirbt um Agla als seine Königin. Agla willigt ein und Waltar sieht sich von seiner Schwester betrogen

Am 30. März 1844

[3.256.1] Als die Schwester in die Burg zum König gebracht und von ihm vom Fuß bis zum Scheitel des Kopfes betrachtet wurde, da erstaunte der König über die Maßen über ihre Schönheit und ließ sogleich den Waltar holen und ihm die Schwester vorstellen, auf dass er ihr das Zeugnis gebe, dass sie seine Schwester ist.

[3.256.2] Als der Waltar aber die Agla erblickte, da standen ihm sogleich die Tränen im Auge vor Freude, und er fiel ihr um den Hals und küsste und grüßte sie als seine geliebteste Schwester.

[3.256.3] Als der König aber nun daraus wohl erkannte, dass diese die rechte Schwester Waltars war, da trat er hin zu ihm und sprach:

[3.256.4] „Höre, du mein lieber Waltar, mich an! Deine Schwester ist ein Weltwunder; ihre Schönheit überbietet alle meine bisherigen Begriffe, und wenn ich bedenke, dass dieses Mädchen einundsiebzig Jahre zählt, so steht es nicht wie ein menschliches Wesen, sondern wie eine reinste Himmelsgöttin vor mir, die nimmer altert, sondern gleich ist der ewigen Jugend!

[3.256.5] Weißt du was, ich habe mir bis jetzt noch kein festes Weib genommen und habe noch keiner Maid die königliche Krone aufs Haupt gesetzt; diese deine Schwester aber will ich sofort zu meinem festen Weib nehmen und will ihr königliche Kleider geben und eine schönste Krone auf ihr Haupt setzen!

[3.256.6] Sage mir, Waltar, bist du zufrieden mit diesem Antrag, und ersiehst du die großen Vorteile, die daraus für dich erwachsen, so deine Schwester Königin des unermesslichen Reiches Hanoch wird?“

[3.256.7] Hier stutzte Waltar und dachte bei sich eine Zeit lang hin und her und wusste nicht, was er darauf so ganz eigentlich sagen sollte.

[3.256.8] Die Agla aber, der dieser Antrag auf der Stelle besser gefiel als ihrem Bruder, sagte sogleich zu ihm: „Was willst du hier machen im Hause dessen, dem Millionen zu Gebot stehen? Segne mich für den König, und trete deine Vorteile nicht mit den Füßen!“

[3.256.9] Da aber Waltar solche Rede von seiner vielgeliebten Schwester vernommen hatte, da sprach er ganz erregt: „Nicht segnen, sondern fluchen will ich dir in meiner Brust, indem deine Liebe zu mir, der ich für dich in den Tod gegangen wäre, so leicht zu erlöschen war!

[3.256.10] O König, nehme sie hin, die Treulose! Ich segne sie für dich und trete sie dir aus jeder Fiber und Faser meines Lebens ab, denn für mich ist sie nun nicht mehr des Staubes meiner Füße wert.

[3.256.11] Wahrlich, hätte sie an mir gehalten und wäre für meine Liebe noch glühend gewesen, so hätte ich sie aber dennoch dir nicht vorenthalten und hätte eine große Freude darin gefunden, dass ich dir ein schweres und großes Opfer gebracht hätte! So aber hat Agla mich betrogen um alles, und ich kann, o König, dir nun nichts mehr geben, indem sich die Treulose dir selbst gegeben hat!

[3.256.12] Ich segne sie daher für dich, aber in meiner Brust sei sie verflucht! Lasse mich nun aber wieder auf die Höhe ziehen und dort meinen Gram ausweinen!“

[3.256.13] Der König aber sprach: „Nicht also, mein Waltar, soll es sein! Ich werde dir auch königliche Kleider anlegen lassen und werde dich dann selbst führen in den Tempel meiner Göttinnen. Wirst du an einer ein Wohlgefallen finden als ein förmlicher Vizekönig, so bleibst du hier; und findest du kein Wohlgefallen, so kannst du dann wieder heimziehen auf deine schaurigen Berge!“

[3.256.14] Hier ging dem Waltar ein neues Licht auf. Er willigte in den Vorschlag des Königs, wobei aber freilich wohl die Agla ein wenig zu stutzen anfing; denn ihre Liebe war noch mächtig zu Waltar, und ihre vorschnelle Zustimmung war mehr ein weiblicher Liebeerforschungskniff, als so ganz eigentlich eine bestimmte Zusage.

[3.256.15] Waltar aber kam das umso willkommener, weil er dadurch sich gewisserart an der Agla rächen konnte.

[3.256.16] Gurat aber ließ sogleich für beide königliche Kleider holen und ließ sie ihnen absonderlich anziehen.

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