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246. Der Wassertempel

Am 16. März 1844

[3.246.1] In einer ebenfalls gebirgigen Gegend, die bei zwei Tagereisen von Hanoch nordöstlich entfernt lag, ward dem Wassergott ein Tempel erbaut. Wie aber, – das wird sogleich folgende kurzgefasste Skizze zeigen!

[3.246.2] In der besagten Gegend, die von steilen Bergen ringsum eingeschlossen war, befand sich ein sehr großer See, der einen Umfang von dreißig Meilen oder sechzig Stunden Weges hatte.

[3.246.3] In der Mitte dieses Sees war aber eine Insel, die einen Flächenraum von wenigstens vier Quadratmeilen hatte und war voll Klippen und sonstiger kleiner, aber recht steiler Berge, die da recht quellenreich waren, durch welche Quellen der mehr flache Teil dieser Insel recht gut bewässert und somit fruchtbar gemacht wurde.

[3.246.4] Diese Insel hatten sich die Wassergötter ausgesucht und erbauten in der Mitte derselben eine sehr ansehnliche Burg, um die ein breiter Wassergraben gezogen war, der von hundert künstlichen Springquellen sein Wasser erhielt.

[3.246.5] In der Mitte dieser gerade viereckigen Burg war erst ein majestätischer offener Tempel erbaut, in dem sich ein in einer großen Muschel, die aus Stein gemeißelt war, stehender kolossaler Wasserdrache befand, der aber nicht aus Stein, sondern aus mit Gold legiertem Kupferblech kunstvoll gearbeitet war.

[3.246.6] Auf des Drachen Rücken ritt eine aus gleichem Material angefertigte, ebenfalls kolossale Mannsfigur, die, durch einen inneren, ganz einfachen Mechanismus getrieben, fortwährend den Kopf hin und her drehte und die rechte Hand von Zeit zu Zeit in die Höhe hob.

[3.246.7] Sooft aber diese Figur die Hand in die Höhe hob, so oft auch schoss durch eine Röhre zuoberst des Runddaches über den Tempel ein mächtiger Wasserstrahl über zwölf Klafter hoch empor, was da natürlich ein fürs dumme Volk höchst wunderbar überraschendes Schauspektakel war.

[3.246.8] Es waren hier noch eine Menge anderer Wasserkunstwerke errichtet, und die ganze Insel ward mit der Zeit mit allerlei Springquellen übersät; allein dieses alles näher zu beschreiben, würde ein eigenes Buch vonnöten sein. Daher gehen wir zur Hauptsache über.

[3.246.9] Dem Wassergott wurden im Jahr zwölf Feste geweiht. Und wer da irgendwo im Reiche Hanoch einen Brunnen grub, musste zuvor dem Wassergott opfern. Sooft sich einer wusch, musste er des Wassergottes gedenken und alle sieben Tage ein kleines Opfer auf die Seite legen. Wer sich irgend badete, der musste schon ein bedeutendes Opfer darbringen und musste es dem allenfalls irgend vom Wassergott aufgestellten Wasserwächter überreichen, sonst durfte er auf kein Glück im Wasser rechnen.

[3.246.10] Also mussten auch die Wäscher, die Schiffer und die Fischer und noch allerlei sich mit dem Wasser beschäftigende Leute dem Wassergott opfern, sonst erwartete sie ein unvorhergesehenes Ungemach, in das sie gewöhnlich von den Wassermeistern, die allenthalben bei den Gewässern aufgestellt waren, gebracht wurden.

[3.246.11] Damit sich aber alles Volk vom Hanochreich zu solchen Opferungen willigst bekannte, so wurden – wie schon bemerkt – zwölf Feste auf dieser Insel abgehalten. Bei diesen Festen wimmelte es von allerlei Wasserfahrzeugen auf dem See; die Wallfahrer fuhren hin und her.

[3.246.12] Auf der Insel gab es auch eine Menge Gasthäuser, in denen die Gäste möglichst geprellt und geschnürt wurden; und für die priesterlichen Fischer und Schiffer dieses Sees gab es auch eine Menge Verdienste. Hin auf die Insel wurde zwar jedermann gratis geführt, aber desto mehr musste er für die Rückfahrt bezahlen.

[3.246.13] Ich meine, mehr braucht man von dieser Scheußlichkeit nicht zu erfahren! Daher wollen wir nächstens wieder zu einer noch löblicheren übergehen.

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