Am 3. Mai 1842
[2.79.1] Nach dieser wohlgeordneten Erzählung Rudomins aber trat alsbald der Henoch, von innen aus angetrieben, hin zum Abedam und fragte ganz insgeheim denselben:
[2.79.2] „O Du lieber Vater Abedam, siehe, der Rudomin hat zwar mit einer überaus starken Stimme die in sich geschaute Größe des Menschen ausgesprochen, – aber hat er nicht etwa bei dieser Gelegenheit einige Steine über die Schnur gelegt?
[2.79.3] Nur um das handelt sich’s, dass er getreu geblieben ist; die Eigenschaft hatte er früher nie ganz vollkommen und übertrieb darum alles, was er nur immer erzählte.
[2.79.4] Aus einem Sandkörnchen machte er wie oft eine ganze Welt und aus der Mücke einen Elefanten oder gar ein Mamelhud, darum sich denn auch dessen Brüder und Schwestern kaum mit ihm vertrugen, da er sie allzeit durch sein riesenhaftes Geschrei zum sicheren Schweigen zwang, was dann auch mit der Zeit die Ursache ward, dass ich ihn als Vater bat, er möchte von mir sein Erbe nehmen und ziehen nach dem Mittag hin.
[2.79.5] Solches tat er denn auch alsbald, da er sah, dass mir daran gar sehr gelegen war wegen des Friedens und der ruhigen Hausordnung, nahm sich ein Weib zwar, aber was dessen Nachkommen betrifft, so hat er in achtzig Jahren nicht mehr denn drei Kinder gezeugt.
[2.79.6] Also ist er durchaus ein etwas sonderbarer Mensch, ungeachtet er aus mir gezeugt ist; darum also auch befremdete mich nun seine sehr hoch gehaltene Erzählung und nötigte mich, ungewöhnlichermaßen im Voraus zu Dir, o lieber Vater, zu kommen und Dich um Vergebung zu bitten, so nun etwa dieser mein Sohn vor Dir eine solche Unart begangen haben möchte.“
[2.79.7] Als der Abedam aber diese Worte Henochs vernommen hatte, da wandte Er Sich alsbald zu ihm und sagte darauf: „Mein geliebter Henoch, siehe, du hattest für die Welt keine Sorge mehr denn allein diese, und du sorgtest dich billig, da du dich allzeit aus Liebe zu Mir sorgtest; aber hier sage Ich dir, dass da deine Sorge eine gar lange schon vergebliche war, da du dich sorgtest der manchmaligen Untreue deines Sohnes wegen.
[2.79.8] Denn siehe, Ich war ja sein Erzieher vom Mutterleibe aus schon und habe ihn gerade zu dem vollkommen herangebildet, als was er jetzt dasteht vor uns!
[2.79.9] Freilich wohl hast du ihm auch eine Erziehung für Mich gegeben, aber Ich sage dir, Mein überaus lieber Henoch: sie war denn doch nicht so gut wie die Meinige, die er ganz im Geheimen von Mir erhielt, ohne dass da du und er etwas davon ahntet.
[2.79.10] Vermöge dieser Erziehung ist er denn jetzt auch hier und hat nun vor euch allen die sehr getreue Probe abgelegt, dass er durchaus nicht leer aus dieser Meiner Schule gegangen ist.
[2.79.11] Daher sei nur vollends unbesorgt; denn siehe, Lügner mache Ich nie, sie rufend mit Meiner ewigen Liebe- und Weisheitsstimme, zu Wahrheitspredigern vor dem Volk, sondern nur diejenigen, welche da sind dir gleich, Mein geliebter Henoch, reinsten Herzens!
[2.79.12] Da ich aber deinen Sohn berufen habe, so kannst du schon ganz unbesorgt sein wegen seiner allfälligen Unart; denn das alles war ja nur Mein Werk! Verstehst du Mich, Mein geliebter Henoch?
[2.79.13] Siehe du, und seht es ihr alle! Ich ließ den Rudomin groß werden sogar am Leibe; aus dieser Meiner Schule hatte er euch schon allzeit gesagt und gelehrt, dass der Mensch mehr ist denn ein Wurm im Staub der Erde.
[2.79.14] Seine starke Stimme, aus derselben Schule ihm gegeben, zeigte euch, dass fürs Erste in der Brust mehr Kraft und Stärke waltet denn im Kopf; und fürs Zweite gab sie euch das genaue Maß kund, um wie vieles die Liebe mächtiger ist oder doch wenigstens sein soll als der Verstand; und fürs Dritte zeigte er euch aus dieser Meiner Schule durch die Macht seiner Stimme, da derselben seine Brüder und Schwestern schweigend gehorchen mussten, dass da der Kopf mit allen seinen Sinnen und Berechnungen nachgeben soll, wenn das Herz als offenbar besserer Lehrer auftritt! Verstehst du solches, Mein geliebter Henoch?
[2.79.15] Ferner machte er zufolge Meiner Schule aus einem Sandkörnchen eine ganze Welt, wie jetzt in seinem Gesicht die ganze Schöpfung aus einem allerwinzigsten Stäubchen. Siehe, dadurch lehrte er, wessen Geistes Kinder die Menschen sind, und dass die Gottähnlichkeit des Menschen im Herzen rastet, vermöge welcher der Mensch Größeres zu leisten fähig ist, als nur die Dinge anzugaffen und, wenn er sich dann sattsam an denselben angegafft hatte, endlich herauszubringen und zu sagen: ‚Aber das ist doch schön und wunderlich!‘ – und damit aber dann auch schon zu Ende zu sein mit der Größe seiner Empfindung.
[2.79.16] Ja wahrlich, sage Ich hier euch allen, ihr sollt alle aus der Mücke Elefanten und Mamelhude machen in euren Herzen, – ja, eure nicht selten kaum mückengroßen Seelenherzen sollt ihr in lauter Elefanten und Mamelhude umgestalten, den wie Berge oft großen Verstand aber dafür in lauter Mücken verwandeln, so würde es euch ein Leichtes sein, Dinge aus Meiner Schule im Rudomin getreulich zu erfassen!
[2.79.17] Da aber bei euch vielen noch der ganz umgekehrte Fall ist, so ist euch auch noch das meiste dunkel, wozu und warum Ich den Rudomin berufen habe.
[2.79.18] Ihr aber fragt nun: ‚Was ist diese innere Schule denn schon wieder? Wie sollen wir dieses fassen?‘
[2.79.19] Ich sage euch aber, so ihr Erscheinungen seht am Himmel, da steckt ihr eure Köpfe zusammen und brütet jahrelang darüber, und sagt endlich: ‚Das hat das Ding nach sich gezogen, folglich muss es solches angedeutet haben!‘
[2.79.20] Ihr habt das Flimmern der Sterne beobachtet, den Zug der Winde, das Geschrei der Vögel und anderer Tiere, das Murren und Sausen des Meeres, und habt überall groß zu erwartende Dinge herausgetüpfelt.
[2.79.21] Sagt Mir, warum habt ihr denn nicht auch die unsterblichen Zeichen am Menschen selbst eurer Astrologie unterzogen, warum nicht die Gestirne dieses lebendigen Himmels eurer näheren Prüfung?!
[2.79.22] Das Gezirpe einer Grille war euch wunderbarer denn die Sprache des unsterblichen Bruders, des Menschen, des erhabenen Ebenbildes Meiner ewigen Vaterliebe!
[2.79.23] O ihr noch stark Blinden, was ist denn mehr: die Tat und Gebärde eines Kindes, oder der Sturz eines Berges, durch eine Million Blitze bewirkt?
[2.79.24] Seht, das ist die Schule des ewigen Lebens; das ist mehr denn das Weltenstäubchen an der Zehe Rudomins, – endlos mehr als alle Raumgröße der unendlichen Sichtbarkeit der Schöpfungen!
[2.79.25] Im Menschen lernt den Menschen erkennen und an dessen Zeichen; diese deutet im Geiste der Liebe und aller Wahrheit aus ihr, so werdet ihr erst weise erfahren, was das Größte ist, und was da in Meiner Schule gelehrt wird, und wie diese zu erkennen ist am Menschen aus seinen lebendigen Zeichen!
[2.79.26] Wahrlich sage Ich euch, Größeres denn eine Zentralsonne für sich, birgt schon die Träne eines erst kaum geborenen Kindes!
[2.79.27] In dem aber auch liegt der ganze Sinn des Gesichtes Rudomins. Solches versteht und tuet, so werdet ihr alle leicht das ewige Leben finden! Amen.“
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