Am 1. März 1843
[2.263.1] Nach den Worten, welche unser Hauptredner als eine gute Antwort auf seine Frage von seinem Freund zu hören bekam, fing er an, ganz gewaltig und ganz besonders aber darüber nachzudenken, wie die unmündigen Kindlein ganz richtig auf dem Wege der Liebe, wenn sie auch noch gewisserart instinktmäßig ist, am allerersten zur untrüglichen Erkenntnis ihrer Eltern gelangen.
[2.263.2] Ja, er dehnte seine Gedanken sogar ins Tier- und Pflanzenreich aus und fand diesen Satz auf eine ihn zum ersten Mal überraschende Weise bestätigt.
[2.263.3] Er gewahrte es aus seinen vielen Erfahrungen, dass alle Tiere, die er kenne, sich als Tierkinder an ihre Zeuger kleben und dieselben nicht eher verlassen, als bis sie mit der erforderlichen tierischen Kraft völlig ausgerüstet worden sind; und bei dem Pflanzenreich entdeckte er jetzt auch, dass – wie man zu sagen pflegt – der Apfel nie gar zu weit seinem Baum entfällt.
[2.263.4] Nach derlei guten Gedanken wandte er sich wieder zu seinem Freund und sagte zu ihm: „Höre du, mein geliebtester Freund und Bruder, je mehr ich nun deinen Worten nachdenke, desto mehr Licht finde ich in ihnen. Anfangs schienen sie mir so ganz bedeutungslos zu sein; aber siehe, sie gewinnen nun bei mir stets einen größeren Bedeutungskreis! Darum denn kommt es mir auch vor, als wären sie nicht so ganz eigentlich auf deinem Grund und Boden gewachsen.
[2.263.5] Ich will damit aber durchaus nicht sagen, als hielte ich dich etwa solcher Weisheit für unfähig; denn ich weiß es ja von früher her, dass du ein sehr kluger Mann warst und warst von irgendeiner gründlich gefassten Idee durch nichts abzubringen, selbst durch Lamechs Gefängnisse nicht.
[2.263.6] Aber nur, weißt du, lieber Bruder, mache ich da einen kleinen Unterschied, da es doch zweierlei ist: weise reden – und vernünftig und dem Verstand gemäß reden und handeln.
[2.263.7] Du hast zu mir aber offenbar weise gesprochen, und ich kam daher auch auf den Gedanken, dass solche Weisheit nicht auf deinem Grund und Boden gewachsen ist. Denn sie ist zu umfassend, zu allgemein; wir Menschen können aber unsere beschränkten Begriffe nicht so weit ausdehnen, da uns dazu die allgemeine Anschauung noch allzeit gemangelt hatte, und besonders hat es damit im Kerker seine geweisten Wege gehabt!
[2.263.8] Wenn du mir aber solche Sätze auftischst, in denen eine ganze Schöpfung vom Anfang bis zum Ende zugrunde liegt, da bin ich der Meinung, dir dadurch keine Beleidigung anzutun, so ich solches von deiner Aussage behaupte.
[2.263.9] Ich sage dir nun aber auch, dass mich diese deine Worte dem Ziel näher geführt haben, als du es vielleicht meinen möchtest! Ja, du kannst es mir glauben, es wird mir auch die gottmenschliche Idee heller und heller, und es sträubt sich mein Gemüt nicht mehr so sehr dagegen; nur die Verkleidung des armen Mannes geht mir noch nicht so recht ein.
[2.263.10] Hättest du vielleicht auch da ein Wort, das da für mein Verständnis passender wäre als jenes Mannes zu hochweise Rede, so wäre ich nicht abgeneigt, [den armen Mann völlig als das anzuerkennen,] als was ich ihn anerkennen sollte und nun auch im Ernst selbst möchte! Wenn du sonach noch irgendein Wörtlein hast, da spreche es aus zu meiner völligen Beruhigung!“
[2.263.11] Und der andere nahm das Wort und sagte zu unserem Hauptredner: „Bruder, wahrlich, wenn du nicht blinder bist als der Mittelpunkt der Erde, so will ich keinen Namen haben!
[2.263.12] Was nennst du denn reich, und was arm?
[2.263.13] Ist denn das reich bei dir, so jemand sich über und über den Leib bedeckt hatte mit Erzeugnissen entweder seiner oder seiner Brüder Hände, welche Erzeugnisse den Naturdingen sind entlockt worden, oder so jemand aus Lehm und müßigen Steinen sich erbaut hatte eine Wohnung?
[2.263.14] Und nennst du das arm, so jemand alles dessen entweder notgedrungen durch Härte seiner Brüder oder aber auch freiwillig ledig ist mehr oder weniger?
[2.263.15] O siehe, das ist grundfalsch! Gott hat den Menschen geschaffen nach Seinem Maße und stellte ihn völlig nackt auf die Erde, und also werden noch heutzutage alle Menschenkinder nackt zur Welt geboren. Ist aber der nackte Mensch das armseligste Geschöpf Gottes? Oder ist er nicht vielmehr überschwänglich reich durch das ihm gegebene Ebenmaß seines Schöpfers?
[2.263.16] Wie, wenn nun der Schöpfer in seinem urgrundmenschlichen Maße zu uns kam in aller Fülle Seiner ewigen Liebe und Weisheit, kannst du da noch in deinem Herzen solche Seine Urgrundwesenheit bemängeln?!
[2.263.17] Ich sage dir daher, erkenne deine große und grobe Blindheit, eile hin zu Ihm, falle nieder zu Seinen Füßen, auf dass dir Licht werde in deines Lebens größtem Irrsal!
[2.263.18] Erkenne die endlose Gnade, Gott, den allmächtigen Schöpfer, als einen allermildesten Bruder und liebevollsten Vater unter uns zu haben!
[2.263.19] Wahrlich, der Gedanke ist zu groß und heilig für den Menschen; und siehe, hier ist mehr als der höchste Gedanke! Hier ist Er, der allmächtige Vater Selbst!
[2.263.20] Kannst du da noch zaudern in deinem Geist, da alle Unendlichkeit vor zu großer Ehrfurcht bebt?!
[2.263.21] Siehe, Er, Er, der allmächtige, ewige Gott, der Schöpfer der Unendlichkeit, harrt dort deiner!
[2.263.22] Daher eile, eile hin zu Ihm, ehe es zu spät wird, und bete Ihn an in aller Tiefe deines Herzens!
[2.263.23] Eile, eile hin zu Ihm, dem heiligen Vater! Amen.“
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