Am 7. Januar 1843
[2.227.1] Als aber die hohen Gäste in den Speisesaal traten, da kamen ihnen alsbald der Thubalkain, der Mura und der Cural entgegen, welche beiden letzten schon nach der gänzlichen Beendigung ihrer Arbeit noch am späteren Abend vorher den Schlüssel vom Ringmauertor dem Lamech überbracht hatten.
[2.227.2] Der Mura übergab alsbald dem Lamech den Schlüssel und versicherte ihm, dass bereits alles im größten Glanze dastehe.
[2.227.3] Der Lamech aber lud beide dafür zum Morgenmahl, und sagte zum Mura ganz flüchtig:
[2.227.4] „Freund und Bruder Mura, entlasse deine Arbeiter noch nicht; denn du wirst noch ein Werk zur Ausführung von mir überkommen!
[2.227.5] Nun aber verbleibe hier, das heißt bei dieser Gesellschaft!“
[2.227.6] Der Mura aber bemerkte den jungen Mann an der Seite Henochs und fragte darob ganz heimlich den Lamech: „Lichter und weiser König Lamech, möchtest du mir denn nicht sagen, wer da ist dieser herrliche junge Mann an der Seite Henochs?
[2.227.7] Er sieht gar so liebernstweise aus! Ist er denn auch aus der Höhe?“
[2.227.8] Und der Lamech erwiderte dem Mura: „Mein lieber, schätzbarster Bruder! In dieser Hinsicht hast du dich schlecht beraten, darum du dich an mich gewendet hattest; denn bisher weiß ich über ihn selbst kaum mehr als du!
[2.227.9] So viel weiß ich aus meiner Beobachtung und dann aus den sehr auf die Waage gestellten Worten Kisehels, dass dieser junge Mann überaus weise und wahrhaft erschrecklich wort- und willensmächtig ist, und dass er eben nach der klaren Aussage Kisehels auch der allerhöchste Herr auf der Höhe ist, dem selbst der hohe Priester Henoch untertan ist, also ganz sicher ein König auch!
[2.227.10] Siehe, das aber ist auch alles, was ich von ihm weiß; begnüge dich einstweilen mit dem, bis vielleicht etwas Helleres nachkommen wird, und setze dich mit dem Cural zu einem Tisch, und esse und trinke! Wende aber dein Auge nicht ab von dem Mann, vielleicht wirst du an ihm mehr entdecken als ich!“
[2.227.11] Hier nahm der Lamech den Schlüssel und trug ihn zum Henoch hin, zu ihm auch bei dieser Gelegenheit sagend:
[2.227.12] „Mächtiger Freund und alleiniger Hohepriester des alleinigen, wahren, allmächtigen, ewigen Gottes! Siehe, hier sind beide Schlüssel beisammen! Ich übergebe sie dir; denn nur dir gebührt es, damit zu öffnen das, was Gottes ist, das heißt, was da ist zu Seiner Ehre und Seiner Liebe errichtet von uns nach Seinem allerheiligsten Willen!“
[2.227.13] Der Henoch aber sagte zum Lamech: „Bruder Lamech, es will aber der Herr, dass auch du deinem Volk nicht so sehr ein König, sondern auch ein Priester sein sollst, indem der Herr allein ein Herr ist in aller Macht, Kraft und Gewalt von Ewigkeit!
[2.227.14] Daher behalte du nur auch die Schlüssel deines Priestertums, und öffne uns den Tempel und den Vorhof, wenn es an der Zeit sein wird!
[2.227.15] Solches aber lasse dir noch hinzugesagt sein: Ein Priester ist ein wahrer Bruder der Brüder nach der Liebeordnung Gottes; aber ein König ist dem Volk schon ein Gericht!
[2.227.16] Wann je Völker sich unter Königen befinden werden, so werden sie – die Völker nämlich – auch gerichtet sein! Das Erdreich wird ihnen genommen werden, und sie werden müssen dem König große Steuern entrichten; sogar ihr Leben wird sein Eigentum sein.
[2.227.17] Und wer darüber murren und schmollen wird, den wird der König nicht selten züchtigen bis auf den letzten Blutstropfen!
[2.227.18] Dann wird viel Wehe und große Trübsal sein auf der ganzen Erde!
[2.227.19] Also sei du von nun an auch lieber ein Priester denn ein König deinem Volk!“
[2.227.20] Und der Lamech, ganz außer sich vor Freuden über diese neue Ernennung zum Priestertum des Herrn, sagte zum Henoch:
[2.227.21] „Mächtiger Freund und Hohepriester Gottes! Höre, wenn ich ein wahrer Tausendkönig wäre, so legte ich alle tausend Könige nieder, damit ich würdiger könnte darum ein Priester sein in deiner Ordnung!“
[2.227.22] Und der Henoch erwiderte ihm: „Bruder, setze dich nun zum Tisch; denn was du sein möchtest, das bist du schon! Lasse uns aber nun das Mahl einnehmen und stärken uns zum Dienst des Herrn!“
[2.227.23] Der Lamech behielt danach die Schlüssel und setzte sich überfröhlich zum Tisch und aß und trank all den anderen gleich.
[2.227.24] Als er aber sich’s recht wohl schmecken ließ, da fiel ihm plötzlich ein, dass zuvor niemand die Speisen nach der Art Kisehels gesegnet hatte und auch niemand Gott gelobt, gepriesen und gedankt.
[2.227.25] Eiligst stand er auf und sagte: „O meine geliebten Freunde und Brüder! Es ist entsetzlich! Gerade am heutigen Tag, an dem wir schon so viele unaussprechliche Wohltaten von Gott empfangen hatten und dazu noch die große, große Gnade unter uns soll ausgegossen werden, dass der Herr, der große, allmächtige Gott in Seinem allereiligsten Namen in dem errichteten Tempel unter uns Wohnung nehmen soll, haben wir alle vergessen, Ihm, dem heiligen Geber aller guten Gaben, zuvor ein allergebührendstes Lob darzubringen, bevor wir uns hätten getrauen sollen, auch nur den kleinsten Bissen in den Mund zu stecken!
[2.227.26] Nein, nein, was haben wir getan?! Ich für mich will eher sterben, als darum vor drei Tagen mehr etwas zu essen!“
[2.227.27] Der Herr aber lächelte den Lamech an, hieß ihn zu Sich kommen, und sagte dann zu ihm: „Lamech, wenn du ein Kind hättest, das da gegen dich einen völlig nichtigen Fehler begangen hätte; so es aber den Fehler an sich gewahrte, möchte es alsbald voll Verzweiflung zu dir ausrufen: ‚Vater, es ist entsetzlich, – siehe, ich habe mich gegen dich versündigt! Wehe mir, ich will darum drei Tage keinen Bissen zu mir nehmen, und sollte ich darob auch schon am zweiten Tag vor Hunger sterben!‘
[2.227.28] So du aber dann möchtest zum Kind sagen: ‚Höre, mein geliebtes Kind! Dein Fehler war ja nur ein gar kleines, unwillkürliches Versehen, darum mache dir nichts daraus! Komme aber her, und liebe mich darum; denn ich habe ja nicht geachtet deines vermeintlichen Fehlers!‘
[2.227.29] Was möchte dir da wohl lieber sein, ob das Kind zu dir hingeht und umfasst dich liebend mit seinen zarten Händen, oder ob es beharrt bei seinem strengen Vorsatz?
[2.227.30] Du sagst: ‚So das arme Kind zu mir geht und mich liebend umfasst, solches wäre mir ums Unaussprechliche lieber!‘
[2.227.31] Gut, sage Ich dir, – also tue auch du gegen den himmlischen Vater, was du als besser erkennst, denn du bist ja auch ein Kind zu Ihm, und es wird Ihm solches wohlgefälliger sein ums Vielfache denn all dein Fasten!“
[2.227.32] Und der Lamech fragte: „Wo aber ist der Vater, dass ich zu Ihm ginge und täte gleich dem Kind?“
[2.227.33] Und der Herr sprach: „Lamech! Siehe her, hier steht Er sichtbar vor dir! Ich bin der Vater, der Gott Himmels und der Erde!“
[2.227.34] Hier fiel alles nieder, und der Lamech stammelte: „O Du heiliger Vater! Sei mir armem Sünder gnädig und barmherzig! Dein heiliger Wille geschehe ewig! Amen.“
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