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152. Die Weisheitsrede des Fremden soll durch das Urteil vieler bestätigt werden

Am 6. September 1842

[2.152.1] Als der Henoch aber solches vernommen hatte von dem Fremden, da fing es ihn an überaus hoch wunderzunehmen, und er fragte ihn darob:

[2.152.2] „Höre, lieber Freund, wenn deine große Weisheit eine menschliche ist, so bin ich mir ein unauflösliches Rätsel; denn wahrlich, deine Worte machen meinen Geist verstummen!

[2.152.3] Du willst, dass ich dir etwas einwenden soll, damit wir dadurch zu einem gemeinsamen Urteil gelangen möchten; wie aber kann oder soll ich das?

[2.152.4] Denn deine Worte haben mein ganzes Wesen ja also überzeugend klar durchdrungen, dass es mir platterdings eher möglich wäre, jemandem zu beweisen, dass ich nicht der Henoch bin, als dir in dieser deiner überaus weisen und bis auf den innersten Punkt wahren Rede eine allerleiseste Einwendung zu tun.

[2.152.5] Und so sage ich dir denn auch nichts anderes – und kann dir auch nichts anderes sagen – als nur: dass dein Urteil auch schon ganz und völlig das meinige ist!

[2.152.6] Sollte aber dennoch über meine Ansicht irgendeine Einwendung denkbar sein oder etwa irgendeine Frage, da müsstest du, liebster Bruder und Freund, solches schon selbst tun!

[2.152.7] Denn, wie gesagt, ich finde in gar keinem Punkt dieser deiner Rede irgendetwas, darüber mir entweder eine leichte Einwendung nur oder doch wenigstens eine Frage möglich wäre!

[2.152.8] Wenn es aber allein auf mich ankäme, da möchte ich sagen: Bruder, rede lieber von etwas anderem, denn diese Rede ist zu erhaben ganz und wahr, darum es ewig ein Schade wäre, wenn man sie durch was immer für Nebenbemerkungen gewisserart zerkratzen und zertragen würde! Bist du nicht auch dieser Meinung?“

[2.152.9] Und der Fremde erwiderte: „Henoch, du siehst es wohl ein, dass es also ist, darum dein Urteil mit dem meinigen übereinstimmt im Geiste und aller Wahrheit, aber zur vollen nutzwirkenden Gewissheit wird die Sache dennoch erst dann erhoben sein, wenn sie zu einem allgemeinen Urteil wird!

[2.152.10] Daher ist es nach meiner Ansicht nicht genug, wenn eine Wahrheit nur zu einem einstimmigen Urteil zwischen zweien wird, sondern sie muss durch ein vielseitig einstimmiges Urteil das werden, was sie eigentlich werden sollte.

[2.152.11] Denn nehmen wir an, in einer Gegend wären eine Menge Hungrige und wüssten sich nicht zu helfen, zwei aber wären unter ihnen und hätten Brot genug für den eigenen Bedarf und wären auch hinreichend gesättigt!

[2.152.12] Wenn aber dann die Hungernden zu ihnen träten und fragten sie: ‚Brüder, wie macht ihr es denn, dass ihr also vergnügt und gesättigt ausseht, während wir vor Hunger vergehen möchten?‘

[2.152.13] Und die zwei antworteten ihnen dann: ‚Hört, wir essen Brot, und also sind wir gesättigt!‘

[2.152.14] Sage mir, lieber Henoch, wird eine solche Antwort, wenn sie auch an und für sich die allerschönste Wahrheit ist, die Hungernden wohl sättigen?

[2.152.15] O nein, das muss doch ein jeder einsehen, dass durch die Alleinsättigung der zwei niemand anderer gesättigt wird!

[2.152.16] Es werden aber die Hungernden dann alsobald sagen zu den Gesättigten: ‚Was nützt uns das, so ihr euer Brot nicht zu einem Gemeingut macht?

[2.152.17] Lasst uns auch in euer Brot beißen, und wir werden dann erst erfahren, ob und wie es uns sättigen wird!‘

[2.152.18] Siehe also, lieber Henoch, ist das nicht ein sehr gültiger Einwurf? Wie aber kann er gelöst werden?

[2.152.19] Siehe, hier gibt es schon mehrere Hungrige; diese sollen auch in unser Brot beißen und sollen ihre Urteile von sich geben, ob es sie sättige oder nicht! Genügt es also für alle, so ist da kein Nachtrag mehr nötig; genügt es aber nicht, so bleibt uns nichts anderes übrig, als entweder mehr Brot nachzuschaffen, oder ihnen zu zeigen und zu enthüllen die große allgemeine Brotkammer! Was meinst du nun, ist solches nicht richtig?“

[2.152.20] Und der Henoch, ganz erstaunt über die hohe Weisheit des Abendländers, bejahte alles aus dem tiefsten Grunde seines Herzens und fragte darauf den Fremdweisen:

[2.152.21] „Aber lieber Bruder, ich bitte dich um alles im Geiste, sage mir doch zuvor, ehe wir noch die anderen wollen in unser Brot beißen lassen, woher du denn solche Weisheit empfangen hast, nachdem du mir doch wirklich ganz fremd bist und warst meines Wissens auch nie zugegen, als der Allerhöchste unter uns wandelte; und wann hast du sie empfangen?“

[2.152.22] Der Fremde aber entgegnete dem Henoch und sagte: „Liebster Henoch, siehe, hier tut nur eines not; daher lassen wir das Wie und Wann und lassen dafür lieber sogleich die Brüder ins Brot beißen!

[2.152.23] Es werden aber noch gar viele vom Aufgang und Niedergang kommen und werden viele Kinder des Lichtes der derbsten Finsternis zeihen, so dass diese darob ach und wehe schreien werden!

[2.152.24] Doch solches lassen wir jetzt gut sein, denn eure Weisheit wird sich erst bei euren Kindern rechtfertigen! Daher sehen wir jetzt auf die Väter, damit die Kinder nicht zugrunde gehen mögen!

[2.152.25] Henoch, fasst du auch das? Also reiche das Brot den Vätern und Brüdern!“

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