Am 12. Mai 1841
[1.83.1] Seth aber verstand nun gar wohl die Rede Henochs über die Stummheit der Kinder des Abends und die entschuldigende des Adams und sagte endlich:
[1.83.2] „O Vater, o Henoch, nun ist mir alles klar! Ihr beide, du, geliebter Vater, und du, geliebter Sohn, werdet mir wohl vergeben meinen ängstlichen Irrtum; aber wird mir solches wohl auch der Herr tun, gegen dessen allerheiligstes Wort ich im eigentlichsten Sinne des Wortes geeifert habe? Wie werde ich da Vergebung erlangen?
[1.83.3] Es war schon licht geworden in meiner Seele, und ich gewahrte schon gar deutlich ein neues, wahres Leben erstehen in meinem Herzen; allein nun gewahre ich nur zu gewiss wieder Nacht und Tod in meinen Eingeweiden!
[1.83.4] Wahrlich, es werden die Kinder des Abends und der Mitternacht zu reden anfangen, als wären sie aus der Sonnenmitte hervorgegangen; ich aber werde stummer sein denn ein Stein in der Meerestiefe, da ich meine Zunge verwendete zum Widerspruch, wo ich sie hätte zum ewigen Dank verwenden sollen! Nicht einmal der liebe Henoch sollte an mich Worte des Lebens aus der Höhe richten, sondern alles nur der Asmahael! O großer Gott, wie ungeheuer groß muss meine Sünde vor Dir sein, da Du sogar um meiner Hartnäckigkeit willen als der Herr alles Lebens dem Henoch vor mir nichts zu reden gebotest, sondern allein dem Asmahael, dass dieser mich belehre über alle meine Irrtümer!
[1.83.5] O wehe mir, so mich der Herr nicht mehr ansehen möchte in Seiner Erbarmung! Wer wird mich dann erretten aus der Nacht des Todes?
[1.83.6] O Herr, lasse immerhin Deinen Asmahael Worte voll jugendlicher Kraft in aller Fülle des Lebens an uns, die wir voll Stumpfheit und toten Sinnes sind, richten, und das vorzugsweise an mich; aber nur lasse darob die so hoch gesegnete Zunge Henochs nicht verstummen vor uns, und ganz besonders vor mir, damit niemand meinetwegen etwas verlieren möchte.
[1.83.7] O Herr, Gott und Vater, sei mir armem Toren voll Blindheit barmherzig und gnädig! Amen.“
[1.83.8] Nach dem aber erhob sich auf Mein Geheiß alsobald der Henoch und fing an, aus Mir folgende Kraftworte an den Seth und auch an alle zu richten, sagend:
[1.83.9] „O lieber Vater Seth, siehe, wo ist der Mensch, so ihn ein Irrtum gefangen hat, dass er sich möchte helfen in der Mitte des Irrtums?! Da er spricht, spricht er wie im Traum; da er handelt, handelt er wie ein Blinder; da er geht, geht er, als hätte er keine Knochen in den Füßen; da er stehen möchte, da fällt er wie einer im Wirbelschwindel; will er wieder erstehen, da mag er seine Füße nicht zurechtbringen; und will er sehen und hören, da sieht und hört er den Schatten statt der Sache und den leeren Schall statt des lebendigen Wortes.
[1.83.10] Siehe, also war und ist es auch bei dir! Du hast des Lebens und der wahren Liebe Schatten nur in dir im Mittag wahrgenommen; damit zufrieden, mochtest du wohl entgegentreten der ewigen Liebe, da du in dir heimlich dachtest, nun müsse schon jedes deiner Worte aus der Höhe kommen. Allein darum aber ließ es der Herr zu, dass du fielst, auf dass du nun wohl begreifen sollst, dass es ein Schwereres ist, sich des allerhöchsten Gutes der ewigen Liebe Jehovas zu bemächtigen, als in dreimal sieben Tagen all die Erdfrüchte ins Trockene zu bringen!
[1.83.11] Siehe, du irrtest dich, da du mir das Wort des Herrn verwiesen hattest! Warum irrtest du aber? Darum, weil du meintest, auch die Anforderung deines Herzens sei schon ganz rein von oben und gebe dir das Recht unbestreitbar, dich zurechtweisend über die Weisheit Gottes Selbst herzumachen, weil sie deinem lebenbeschatteten Herzen nicht einleuchten wollte und daher unrechtlich und tötend vorkam.
[1.83.12] Nun fehltest du aber wieder, da du fürs Erste dem Adam und mir mehr Versöhnlichkeit zutrautest denn der ewigen Liebe Jehovas Selbst, dessen allereigentlichste Kinder wir doch alle ohne Ausnahme sind, ob gut oder voll Ungehorsams, und fürs Zweite dir nur an meinem Wort hauptsächlich zu liegen scheint, ohne zu bedenken, dass das Wort des Herrn, auch aus einem Stein gesprochen, dasselbe heilige, lebendige Wort ist.
[1.83.13] Daher bitte nicht um meine Zunge, sondern um das lebendige Wort; achte nicht des Werkzeuges, sondern der Gnade, die da kommt durch was immer für ein Werkzeug vom Herrn, ob vom Henoch oder Asmahael; dann wirst du wandeln vollkommen gerechtfertigt vor der ewigen Liebe Jehovas, der allzeit am allerbesten weiß und sieht, welches Werkzeug für diesen oder jenen am allertauglichsten ist. So es aber dem Herrn wohlgefällig ist, auch durch Asmahael zu reden, sagt, werden darum die Worte des Herrn weniger Worte des Herrn sein?!
[1.83.14] O Vater Seth, siehe, das aber ist des Herrn Wille, dass jeder sollte trachten nach dem ewigen Leben der Seele und des Geistes im eigenen Herzen unablässig; aber dabei soll sich ja niemand verleiten lassen und der Meinung sein, dass man von einer Schattenwende zur anderen auch schon alles erreicht habe!
[1.83.15] Hat aber jemand etwas erreicht schon vom Herrn, der tue damit den Kindern gleich, so sie einen verborgenen Schatz finden und denselben dann verbergen vor den Augen ihrer Alten sogar in der Furcht, er möchte ihnen wieder abgenommen werden.
[1.83.16] Es habe niemand eine zu große begierliche Freude daran, ein Werkzeug des Herrn zu werden, sondern jeder verharre in aller heiligen Stille und großen Demut und heimlichen Liebe! Denn es liegt keine Dankbarkeit und durchaus kein Verdienst darinnen, so jemand berufen wird vom Herrn, als ein Werkzeug zu dienen, denn der Herr vermag auch ohne Werkzeuge Seine großen Werke zu verrichten. Aber es liegt alles darinnen, dass wir nicht einen Herrn suchen, um ihm unsere eitlen Dinge aufzudrängen, um dadurch zu zeigen, als wenn wir auch etwas wären und vermöchten, sondern dass wir alle einen und denselben heiligen Vater suchen, auf dass Er uns gnädigst zu Kindern des ewigen Lebens aufnehmen möchte durch die gnädigste und liebevollste Erweckung unseres schlafenden Geistes und durch die Erleuchtung unserer weltfinsteren Seele.
[1.83.17] Wen der Herr aber berufen hat, vor den Brüdern von Seiner unendlichen Liebe zu zeugen, der zeuge immerhin, aber stets in der allerhöchsten Demut seines eigenen Herzens, stets eingedenk, dass man nur ein allernutzlosester Diener sei, den der Herr nur gar zu leicht rathalten kann!
[1.83.18] Wehe aber dem, der darob glauben würde, er sei mehr denn seine Brüder, oder der Herr habe seiner nötig; wahrlich, ein solcher Frevler wird seinem eigenen Gericht nicht entrinnen!
[1.83.19] Wenn wir aber dienen, so dienen wir in aller Liebe uns gegenseitig als Brüder und Kinder eines und desselben Vaters, und unsere allerhöchste Weisheit sei, den heiligen Vater über alles zu lieben. Keiner dränge dem anderen eine Lehre auf, als wäre er dazu berufen wie ein Hund zum Bellen und ein Hahn zum Krähen! Wenn aber jemanden der Vater dazu berufen hat, der tue es, – aber in der allergrößten Liebe und Demut; denn erst dadurch wird er zeugen, dass seine Lehre wahrhaft aus Gott als dem ewigen Urborne aller Liebe und alles Lebens ist.
[1.83.20] Wer da predigt, der sei geringer denn alle seine Brüder, so wird er zeugen, dass er wahrhaft ein Diener der Liebe sei!
[1.83.21] Wer das Wort des Herrn aus dem Munde eines Bruders vernimmt, der danke dem Herrn für die unaussprechliche Gnade; der Prediger aber bedenke bei sich, dass er der Allerunwürdigste ist, und halte jeden seiner Brüder für besser denn sich, so wird er sein Herz bewahren vor dem Hochmut, welcher ist des Todes Vater, und wird sein dem Herrn ein stilles Haus, das Ihm allein nur wohlgefällt!
[1.83.22] O Vater Seth, siehe, das ist es, was der Vater von uns will und verlangt! Daher trachten wir in aller Liebe und Demut, Ihm wohlzugefallen, so werden wir leben und uns nimmer von dem Schatten des Lebens trügen lassen! Amen.“
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