Am 8. Februar 1841
[1.59.1] Und als der Asmahael ausgeredet hatte, da erhob sich abermals Adam ganz gerührt und sprach: „Henoch, siehe, nun kommt die Reihe wieder an dich! Nach allem dem ist es füglich, Worte aus der Höhe zu vernehmen, um danach alles Fernere vollkommen dem Willen des Herrn gemäß handeln zu können. Denn siehe, ich habe das Meinige bereits getan nach meinem Liebedünken; allein unsere Liebe ist nicht allzeit rein und daher auch nicht allzeit sicher und dadurch der Erfolg ihrer Handlung nicht heilig. Daher ist es jetzt ganz besonders an der Zeit, dass du, lieber Henoch, die lebendige Stimme aus dir uns alle wohl vernehmen lässt.
[1.59.2] Also rede, und zeige uns die gerechten Wege deines Schützlings! Amen.“
[1.59.3] Als aber Adam solches geredet hatte, siehe, da erhoben sich alle und verneigten sich gen Adam und dankten ihm, dass er solches anbefohlen hatte. Besonders aber hüpfte Seth beinahe vor Freuden; denn er war Henochs größter Anhänger und Verehrer dessen Wortes, und so konnte er nicht umhin, bevor noch Henoch zu reden anfing, selbem ein paar ermunternde Worte zuzurufen, sagend:
[1.59.4] „O lieber Henoch, siehe, danach mein Herz lange schon sich gewaltig sehnte, das hat die gute und gerechte Ordnung durch meinen Vater und durch euren Vater nun bewerkstelligt! Oh, ich freue mich über die Maßen, nun in dieser Sache den heiligen Willen zu vernehmen! Denn es ist wahr, wir mögen oft etwas tun, das uns gut dünkt; allein, ob es darum auch schon gut und recht ist, weil es uns also vorkommt, das ist eine ganz andere Frage!
[1.59.5] Und das ist eben auch, was du uns zeigen solltest! Und so fange du an, zu reden aus deinem Leben aus Gott in dir! Amen.“
[1.59.6] Und sonach erhob sich Henoch und begann folgende Rede an alle zu richten, nachdem er sich zuvor im Herzen an Mich gewendet hatte, sagend nämlich zuvor in sich:
[1.59.7] „O Du überheiliger, liebevollster, großer Vater, Herr und Gott, gebe mir Allerschwächstem Deine Gnade, auf dass ich in aller Liebe und Demut vermöchte, getreu zu offenbaren Deinen Willen den Vätern und ihnen aus Dir zu geben in der Fülle, danach ihr Herz dürstet.
[1.59.8] O überheiliger Vater, doch nur Dein heiligster Wille geschehe ewig! Amen.“
[1.59.9] Und siehe, darauf erweckte Ich den Henoch vollends, und er begann zu reden, wie da folgt, sagend: „O liebe Väter, dass ihr solches wünscht, ist ja recht und vollkommen billig – denn Gottes Liebe geht über alles, und Seinem Willen sind alle Dinge untertan –; allein, dass ihr mich zu dem beruft, euch zu offenbaren in meiner Schwäche das, was alle Ewigkeiten ewig nicht umfassen und begreifen werden, sehet, liebe Väter, das ist für eure Vaterwürde nicht gerecht und billig!
[1.59.10] Glaubt ihr denn, dass der Herr ein Zimpferling sei, dass Er einen Menschen minder achte als den anderen, so einer wie der andere tun möchte nach Seinem Willen?! O Väter, da irrt ihr euch gewaltig, und es ist nicht also!
[1.59.11] Blickt auf zu den lichten Räumen der Unendlichkeit! Wer unter uns kann sagen, dass er nicht vermöchte, zu erschauen die weiten Ströme des Lichtes und all die Dinge, die vom selben umflossen sind?! Wessen Ohr vernimmt nicht selbst ein leises Lüftchen wehen über ein dürres Laub?! Oder ist wohl einer unter uns, dem da nicht gegeben wären alle Sinne im brauchbarsten Zustand und ein lebendig fühlendes Herz?!
[1.59.12] So uns aber das alles ohne Unterschied eigen ist, was alles vom Herrn ist, wie sollte denn jemand mehr oder weniger des Herrn sein, so er von Ihm ausgegangen ist und wieder eingehen möchte zu Ihm?! O Väter, sehet, welches Kind möge da wohl zu euch kommen, sich heiligen Rates zu erholen, dass ihr es nicht anhören möchtet, um ihm zu geben, das ihm fromme?!
[1.59.13] Da ihr aber als gefallene Menschen schon barmherzig seid sogar gegen Fremde, um wie viel mehr wird der allerbeste, heiligste Vater euch tun, das euch frommt, und gerne geben, dafür Er jeden wohl befähigt hat!
[1.59.14] Daher glaubt nicht, dass ich ein auserwähltes Organ der lebendigen Stimme Gottes bin; o nein, das bin ich nicht, sondern ihr seid es vielmehr! Wendet euch nur zu Ihm, und es wird euch sicher werden, was des Herrn Wille ist! Amen.“
[1.59.15] Nach dem aber schwieg Henoch, in sich und dadurch auch zu Mir gekehrt. Und von Adam bis Jared und dem Asmahael wusste niemand, was er aus dieser kurzen Rede Henochs machen solle; und so fragte einer den anderen:
[1.59.16] „Was soll das heißen? Was wollte Henoch damit sagen? Wir vermöchten, gleich ihm, zu sprechen ein Wort des Lebens aus der Höhe Gottes?! Nein, das verstehe, wer es mag; wir verstehen es einmal nicht!“
[1.59.17] Und also auf diese Art ging das von Munde zu Munde, und es ergriff sie alle hohen Wunders über Henochs für diesmal trockene, gebundene Kürze; sogar dem Seth fiel es gewaltig auf, dass diesmal Henoch sie samt und sämtlich so kurz abgefertigt hatte.
[1.59.18] „Denn“, sagte der Seth, „was nützt es uns, so wir auf uns selbst angewiesen sind, indem wir ja ohne Henoch es wissen, was wir vermögen, und wissen es auch, inwieweit uns allen der Herr in Seiner Liebe zugänglich ist, und wie viel wir von jeher von Seiner Stimme vernommen haben! Denn diese ist ein Angehör der Liebe, wie die Weisheit ein Angehör der Gnade ist.
[1.59.19] Wie kann aber jemand den Herrn zuvor lieben und reden aus Ihm, bis er notwendig erst die Liebe und das Wort vom Herrn empfangen hat? Welcher von uns aber kann sich damit rühmen außer Henoch? Dass ich nicht wüsste, was mir eigen ist!
[1.59.20] Die Gnade haben wir alle zwar, Gottes Kinder zu sein, wie unleugbar auch unter allen Geschöpfen die ausgezeichnetste Fähigkeit, als Menschen Menschen zu sein, und haben als solche alle dieselben Sinne und gebrauchen dieselben auf eine und dieselbe Weise; aber es frage sich nur ein jeder selbst, ob bei aller dieser Sinn- und Gnadengemeinschaft wohl auch einen jeden eines und dasselbe gleich, oder auf eine und dieselbe Art vergnügt!
[1.59.21] Daraus aber wird es ja klar, dass nicht einmal einem jeden gleichviel Gnade, geschweige erst gleichviel Liebe zuteil wird; und das wird noch um so ersichtlicher, so man aus so langer Erfahrung weiß, wie unbeständig die Liebe mit jedem Gegenstand, den sie ergreift, zu Werke geht, und was dazu für Abgezogenheit und große Aufopferung erfordert wird, in was immer für einer Hinsicht liebefest zu werden!
[1.59.22] Obschon ich dadurch nicht sagen will und kann, dass wir darob durchaus in der Liebe gegen den Herrn nicht fester und fester zu werden vermöchten, – aber das ist einmal gewiss, dass uns nur die Gnade gegeben wird, statt der Liebe aber durch die Gnade allein die Fähigkeit nur, die Liebe uns zu erwerben und sie dann erst in uns aufzunehmen; aber auf ein bloßes Verlangen wird sie uns nimmer zuteil, und möchte dieses Verlangen noch so sehnsüchtig sein. Kurz und gut, so es dem Herrn gefällt, jemandem die Liebe zu geben in der Fülle wie dem Henoch, so ist das eine Barmsache des Herrn, und Er wird niemanden um Rat fragen, wenn Er jemanden damit erfüllen will. Aber hört alle, Regel ist es durchaus keine, und wir können mögen, was wir nur immer mögen, und der Herr ist aber dabei doch nur der alleinige Herr und tut und handelt nach Seiner unerforschlichen Weisheit, das Ihm wohlgefällt, – wir aber sind nur Zeugen dessen, das Er macht vor uns und für uns.
[1.59.23] Und du, mein lieber Henoch, fasse wohl diese meine Worte, und danach rede! Denn deine große Bescheidenheit ist mir wohlbekannt, und deine Demut hat dich mir so teuer gemacht; daher brauchst du künftig nicht mehr allzu bescheiden zu werden und uns stets zu zeigen deine große Demut, wenn es sich um einen Dienst handelt, den du Gott und uns, deinen Vätern, schuldig bist. Denn dass du solches alles bist, siehe, das wissen wir schon lange alle, der Herr aber noch unendlichmal besser denn wir, darum Er dir auch die Liebe dauerhaft verlieh; und du brauchst uns darob keine neuen Beweise mehr zu liefern, sondern dass wir dich zu einem Lehrer und Sprecher Gottes beriefen, ist ja nur geschehen zufolge solcher deiner Tugenden. Und so kannst du vor uns reden ohne alle Furcht, wie du schon gar oft in unser aller Angesicht getan hast.
[1.59.24] Außer, so solches, dass du früher redetest, dir vom Herzen zu reden geboten war, so konntest du wohl nicht anders reden und tatest wohl, dass du also geredet hast!
[1.59.25] Aber wenn ich bedenke, dass du gesprochen hast, uns ermahnend zur Eigenwende nach der Stimme des Lebens aus Gott, siehe, vermöchte da Gott nicht so viel denn du und könnte unsere Herzen gar wohl auf das anweisen, das du getan hast!
[1.59.26] Allein da du auf diese Art schon zu reden angefangen hast aus Gott, siehe, so genügt es nicht, uns bloß nur trocken anzuweisen an Den, von dem einem jeden von uns wohlwissend alle Dinge sind, – sondern, da einer zugunsten aller vom Herrn ganz besonders beteiligt wurde in diesem Überfluss, soll er auch nach Recht und Billigkeit den in dieser oder jener Hinsicht weniger Beteiligten beispringen; dadurch erst werden wir wahrhaft vor dem Herrn an den Tag legen, dass wir wahrhaft Seine Kinder sind!
[1.59.27] Siehe, daher haben und müssen auch die Bescheidenheit und die Demut ihre wohlweisen und nützlichen Grenzen haben!
[1.59.28] Nehme es nur einmal so recht natürlich; siehe, als uns der Vater kundgab die Schwäche seines Leibes, wir aber aus lauter übertriebener Demut uns gescheut hätten, ihm zu gewähren, danach ihn verlangte in seiner Natur, oh, was würde ihm da wohl unsere übertriebene Demut genützt haben, so sich keiner gewagt hätte, ihm Speise und Trank zu reichen?!
[1.59.29] O siehe, die wahre Demut muss daher nie aus dem Bereich der Liebtätigkeit treten, wenn sie dem Herrn wahrhaft wohlgefällig sein soll, und wir sind verpflichtet, darum einander so lange behilflich beizuspringen, solange wir einander nur immer kundgeben, dass wir in diesem oder jenem einander benötigen; was aber die Anweisung an den Herrn betrifft, so ist es ja recht und billig, dass der Stärkere den Schwächeren ermahnt, aber ihn so lange nicht auslässt, als bis der andere spricht: ‚Siehe, nun hat der Herr auch mich geweckt!‘
[1.59.30] Henoch, siehe, noch kann dir das keiner von uns sagen, denn wir alle sind nichts vor Gott; daher verbanne dein Unnötiges, und denke an das in der Fülle deiner Liebe, was uns vorderhand allen nottut in dieser Lage, damit wir vollends vermöchten, liebegerecht zu erscheinen vor Gott!
[1.59.31] O zaudere nicht, und tue Genüge unserer Liebe in Gott! Amen.“
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