[1.38.1] Ihr könnt euch sehr leicht vorstellen, dass durch solche gewaltigen Auswanderungen in einem Jahr Hanoch sowohl als auch die zehn übrigen Städte sehr menschenleer geworden waren, dass dazu Lamech noch seinen getreuen Anhang eingebüßt hatte und daher seine Macht, auf die er sich so viel zugutetat, so viel wie null und nichtig wurde.
[1.38.2] Wenn ihr nun diesen Umstand euch vor die Augen stellt, so werdet ihr ohne viele Mühe leicht bald einsehen, dass Lamech wenigstens eine Zeit von dreißig Jahren in seiner Regierung notgedrungen mildere Saiten aufziehen musste, damit das Volk ihm wieder untertänig wurde und für ihn zu arbeiten anfing, damit er wenigstens sorglos mit den Seinen hat fressen können wie ein Schwein und wie ein fauler Ochse.
[1.38.3] Die Seinen bestanden aber aus zwei Weibern, nämlich der Ada und Zilla (das heißt: ‚die wohlberatene Tugend im Frohsinn‘, dann ‚die stille Ergebung und Duldung‘). Da hatte die Ada zwei Söhne, nämlich den Jabal (Vater der Hüttenbewohner um die Füße der Berge) und Jubal (Musiker, als Erfinder der Hirtenpfeife und der Geige, eines Instrumentes, welches nicht unähnlich war dem euren, nur dass es aus einem Holzstück bestand, welches er mittels steinerner Wetz- und Schleifwerkzeuge mühevoll verfertigt hatte).
[1.38.4] Und die Zilla aber hatte einen Sohn, nämlich den Thubalkain und dessen Schwester Naëme. Er wurde durch Meine gnädige Zulassung ein Meister in der Bearbeitung der Metalle, und Naëme aber bändigte die wilden Tiere und verschaffte dadurch ihrem Bruder und dessen Gehilfen den Eingang in die erzvollen Berge und war überaus schön am ganzen Leib und hatte eine überaus demütige, aber auch eine desto mutigere Seele, und es ward ihren Augen eine große Kraft gemein, so dass vor ihrem Anblick feste Steine zu Wachs wurden und die harten Zähne der Bestien weich wurden wie der Flaum einer Taube.
[1.38.5] Seht, das war Lamechs Familie nebst einigen wenigen Dienern, die ihm geblieben waren, und einigen Zofen und wertlosen Kebsweibern, also in allem zusammen bei dreißig Personen, die allesamt recht fleißig arbeiten mussten, um etwas zu essen zu bekommen und des Leibes Blöße zu decken, wie schon gesagt, bei dreißig Jahre hindurch, allwann dann wieder das Volk, mehr der guten Erfindungen halber als Lamechs wegen, nach Hanoch zu wandeln anfing, um dort nützliche Metallsachen zu kaufen, was da gleichsam tauschweise geschah. Auch reisten von den anderen zehn Städten Menschen herbei, um Jubals Musik zu hören, welche ihre Herzen erweichte und wieder für Lamech gestimmt machte; auch lockte die große Schönheit der Naëme alle Herzen, – und da wurde unglücklich genannt der, welcher Naëme nicht zu Gesicht bekam, und er weinte und heulte darum tagelang.
[1.38.6] Damit ihr aber doch seht, wie dieses möglich war, so will Ich euch eine kleine Beschreibung ihrer Gestalt hinzufügen. Es ist diese Naëme dieselbe Gestalt, welche sich in das graualte, schwarze Heidentum als die Gemahlin eines Schmiedes und Götzin der Schönheit unter dem besonderen Namen ‚Venus‘ verlor. Seit Sahra und Rachael hatte körperlich nie eine so schöne Gestalt die Erde betreten als die der Naëme. Ihre Größe betrug fünf Schuh nach eurem Maß. Ihr Haar war schwärzer denn eine Kohle. Ihre Stirne war weiß wie ein frischgefallener Schnee, gegen die Augen ganz sanft gerötet. Die Augen waren groß und vollkommen himmelblau, der Stern feurig schwarz, die Augenlider frisch und sanft, so auch die dunklen Brauen. Die Nase war gerade und verlor sich in sanfte, weiche Enden, unter denen die zwei Mündungen durch ihre sanft gerundete Form einen lieblichen Anblick gewährten. Der Mund war gerade von Größe eines Auges, dessen sanft erhobenen Lippen jede Rose zum Schweigen brachten. Ihre Wangen, in der schönsten, heiter lächelnden, gerechten Form, waren mit aller Rosen zartestem und sanftestem Rot leise angehaucht, und ihre Farbe glich einer mit Schnee bedeckten Rose, da der Schnee gleichsam den letzten Liebesstrahl dieser Königsblume bis zu seiner glanzweißen Oberfläche schimmern lässt. So auch war ihr Kinn, wie keines mehr in irdischer Form. Ihr Hals war weder zu lang noch zu kurz, sondern ganz gerecht, glatt und rund, ohne auch nur des allergeringsten Makels. Der Anfang der Brust unterschied sich vom Hals nur durch eine sanft üppige, rasche Erhebung, so die Schultern und so der Nacken, jedes gerecht nach dem besten Verhältnis. Der Busen sah mehr einer ätherischen, weißweichen Lebenserhöhung ähnlich als irgendetwas Fleischlichem, an deren erhabenster üppig sanfter Rundung zwei heitere, junge Rosen zu knospen schienen. Ihre Arme waren so voll, weich und sanft, dass ihr euch davon auch nicht den allerleisesten Begriff machen könnt; denn solche Arme kommen nur im Himmel vor. Und in diesem schönsten Verhältnis war auch ihr ganzer Leib überzogen mit dem Glanzweiß des Schnees in ätherischer Sanftheit und Weiche.
[1.38.7] Diese Naëme wurde nun das Weib ihres Bruders, der mit ihr sieben Söhne erzeugte, welche sehr plump und unförmlich aussahen und hatten viel Ähnlichkeit mit euren sogenannten Trotteln. Die Ursache davon aber war, dass Naëme sich nach dem Willen des Vaters zu oft musste gebrauchen lassen zu rein unzüchtigen Zwecken der Herrschsucht wegen; denn dadurch wurde wieder alles Männervolk dem Lamech untertänig. Aller Augen waren nun auf Naëme und aller Ohren auf die habsüchtigen Befehle Lamechs gerichtet; denn Naëme blieb bis in ihr achtzigstes Jahr ein Gegenstand menschlicher Bewunderung, binnen welcher Zeit das Volk wieder sehr angewachsen war und allen Winken Lamechs folgte. Da nun Lamech sah, wie mächtig er nun wieder geworden war, so wurde er auch immer strenger und härter und führte da für die Widerspenstigen sogar die schon früher erwähnte Todesstrafe grausam ein.
Am 28. August 1840
[1.38.8] Eben zu der Zeit der Naëme geschah durch Mein Geheiß von Seiten der Kinder Adams die erste Sendung eines guten Boten von den Bergen in die Tiefe Hanochs, um alldort zu verkünden Meinen Namen, und zwar gerade am Hofe Lamechs selbst. Und siehe, Lamech nahm den Boten gut auf; der Bote aber war ein Enkel Adams, abstammend von den Kindeskindern Adams vor Seth, und hieß Hored (‚der Furchtbare‘) und war groß, weise und hatte weder Weib noch Kinder. Und als Lamech nun nach Horeds Lehre in sich ging, da erwies er solchem Boten eine große Ehre, ließ zusammenkommen seinen ganzen weiblichen Hof und bat den Boten, sich das schönste Weib zu wählen. Und siehe, da sah Hored wider Meinen Willen an das Weib Thubalkains, und dieser musste auf Leben und Tod gehorchen dem Gebot Lamechs.
[1.38.9] Denn obschon damals die Naëme schon nahe achtzig Jahre alt war, so war sie aber dennoch so schön, dass sich jetzt vor ihr ein achtzehnjähriges, überüppiges, reizendes Fräulein in die Nacht verkriechen müsste. Thubalkain war ohnedies schon von jeher an Untreue gewöhnt; so ging ihm dieses Ereignis auch nicht so sehr zu Herzen, und das zwar umso weniger, da ihm Hored die Versicherung gab, dass ihm fürs Erste die wilden Tiere nichts mehr anhaben würden können vermöge der Waffen und dessen metallener Kleidung, und fürs Zweite würde er ihm von den Gebirgen mehrere starke Gehilfen verschaffen, die ihn vor allem schützen würden und würden ihm erst zeigen die wahre Art, Metalle zu bearbeiten zu allerlei nützlichen Dingen.
[1.38.10] Thubalkain war damit auch vollends zufrieden, und somit war die Sache schmählich abgetan. Hored verließ Hanoch und kehrte mit seinem Weib wieder in die Gebirge zurück.
[1.38.11] Allein, was die Hilfsmänner von oben betrifft, so blieb das beim Versprechen; denn Hored kam mit seinem Weib nicht mehr zu den Seinigen, sondern hatte sich eine einsame Stätte ausgesucht, um in seinem Glück von niemandem beneidet zu werden.
[1.38.12] Thubalkain aber war durch solche Betrügerei genötigt, seinen Bruder Jabal, Sohn aus der Ada, zu bereden, mit ihm Sache zu machen, sich an den Bergen Hütten zu erbauen, dieselben als Wache zu bewohnen und auf diese Art erst als bekannter Hüttenbewohner aufzutreten.
[1.38.13] Sie errichteten auf diese Art eine förmliche Metallfabrikation und machten hunderterlei teils nützliche, teils aber auch zierliche, galante, glänzende Sachen, die gegen Eintausch von Früchten reißend abgenommen wurden. Ja, fast aus allen Städten wie auch vom übrigen großen Land reisten Menschen zu den sicheren Hütten und kauften da nach Bedarf und Luxus und hingen sehr an dem Thubalkain und brachten ihre Söhne in die Lehre zum Thubalkain, auf welche Art das Hüttenvolk in kurzer Zeit so sehr anwuchs, dass es vor demselben dem Lamech zu bangen anfing.
[1.38.14] Da dachte er bei sich: ‚Was will, was soll ich nun tun? Die Tat, die ich verübt habe an meinen Brüdern, hängt lastenschwer an meiner Brust. Der große Furchtbare von den Bergen, der da mein Schwieger geworden ist, hat mir schwer meinen Frevel vorgehalten; er gebot mir, dem Volk anzuzeigen solchen Gräuel. Allein tue ich das, so bin ich meines Lebens nicht sicher; tue ich es aber nicht, so habe ich Gott und dessen große Kinder auf den Bergen wider mich, die mich Ungehorsamen vernichten werden.‘
[1.38.15] Und siehe, eine starke Stimme sprach aus seiner Brust: „Offenbare es deinen Weibern und sage ihnen: Ihr Weiber Lamechs, hört meine Rede, und merkt wohl, was ich euch sage: Ich habe einen Mann erschlagen mir zur Beule und einen Jüngling mir zur Wunde; – Kahin soll gerochen werden siebenmal, aber Lamech siebenundsiebzigmal!“
[1.38.16] Und siehe, so war es recht dem Lamech; und er tat alsobald, wie ihn die Stimme geheißen hatte. Als aber seine Weiber solches vernommen hatten, entsetzten sie sich so gewaltig, dass sie hinfort stumm blieben und daher auch niemandem davon etwas mitteilen konnten. Sie verließen nach einer Zeit ihn heimlich und gingen zu ihren Söhnen in die Hütten. Jedoch bevor sie noch diese erreicht hatten, wurden sie von zwei Gebirgsbewohnern angehalten, bekamen ihre Sprache wieder und wurden mitgenommen auf die geheiligten Höhen der Berge.
[1.38.17] Als sie kaum auf den Bergen angelangt waren, erkundigten sie sich bald nach Naëme. Jedoch die Führer beschieden sie, dass Hored aus ihrem Gesichtskreis verschwunden sei aus Untreue und Neid und es ihnen nicht zu sehen gegeben sei, wohin er sich, einem Wurm gleich, verkrochen habe; und so sie wollten sich von ihnen segnen lassen, so würden sie (die Führer) sie (die Weiber) zu ihren Weibern annehmen. Denn es war die Ada hundertzehn und die Zilla erst hundert Jahre und waren beide noch von ausgezeichneter Schönheit und sahen aus, als wären sie in jetziger Zeit erst im vierundzwanzigsten Lebensjahr bei guter Erhaltung.
[1.38.18] Darauf ließen sie sich segnen und wurden ihre Weiber, reisten dann mit ihren Männern zum Aufenthalt Adams, der da schon neunhundertzwanzig Jahre alt war, um auch von ihm gesegnet zu werden.
[1.38.19] Als Adam ihrer ansichtig wurde, sprach er mit bewegter Stimme: „Hört, ihr Söhne der Kinder meiner Kinder, ich kenne alle meine sämtlichen Nachkommen, die da sind in meinem Segen nach dem Segen Ahbels von der ewigen Liebe; doch diese zwei Weiber kenne ich nicht! Woher sind sie?“ Und die beiden antworteten: „Sie sind geächtete Weiber Lamechs, welche dessen Untat geächtet hat.“
[1.38.20] Und Adam sprach: „Was redet ihr? Ich kenne den Sohn Methusalems, und dieser ist erst einhundertsechsundzwanzig Jahre alt und hat noch nie ein Weib erkannt! Was redet ihr daher? Verflucht sei die Lüge und der Mund, der sie gesprochen, und die Zunge, die da die Unwahrheit rede im Angesichte Gottes! Daher, beim Fluch Kahins, des Mörders, redet, – woher sind die Weiber?“
[1.38.21] „Zürne nicht, Vater Adam! Auch aus dem Schoße Kahins ist in der verfluchten Tiefe ein Lamech entstanden; dieser hat ermordet zwei Brüder. Diese Weiber waren fromm im Fluche; daher hat uns der Herr erweckt, zu retten das Verlorene. Und so wir taten den Willen von oben, so zürne nicht, Vater, sondern segne, was der Herr gerettet hat!“
[1.38.22] Und siehe, Adam wurde bewegt und sprach: „Was der Herr gerettet hat, das ist schon gesegnet, und da wäre mein Segen nur ein Frevel, – sondern ziehet hin im Frieden! Was Gott gefällt, wie sollte es mir missfallen? Daher bewahrt die Schätze der ewigen Liebe und Erbarmung! Amen.“
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