Hier ist Dein Kapitel

171. Henoch bereitet das Opfer

[1.171.1] Und alsbald ging der Henoch an sein Werk, legte das reinste Zedernholz quer übereinander auf den Altar und betete beständig bei dieser Arbeit.

[1.171.2] Da er aber also arbeitete, siehe, da traten bald einige vom Mittag her Anwesende zu ihm hin und fragten ihn, was denn das bedeuten solle, dass jetzt schon das Holz auf den Altar gelegt werde, während solches doch nur abends gebräuchlich war.

[1.171.3] Und der Henoch aber entgegnete, ebenfalls fragend: „Was beirrt euch das? Tue ich, was ich tue, denn eigenmächtig?

[1.171.4] Oder ist darum meine Handlung euch eine Lüge geworden, dieweil ihr sie nicht begreift?

[1.171.5] Ja, ja, es ist für Blinde gar vieles eine Lüge; denn alles, was man ihnen sagt, ist wenigstens für sie so gut wie eine Lüge, darum sie blind sind.

[1.171.6] Was nützt dem Blinden der Sonne strahlend Licht? Wozu dem das Licht der Sonne begreiflich machen wollen, wozu ihn anlügen? Denn des Blinden Sonne ist ja schwarz; an diese hält er sich. Aus dem Grunde ist für ihn eine strahlende Sonne ja eine Lüge; denn so Fremdes zu jemandes Schatz hinzugelegt wird, was ist dieses Fremde dem eigenen Schatz? Nichts als eine Lüge, da es nicht ist gleich dem eigenen Schatz, obschon beim selben liegend, sondern Fremdes oder als etwas, was für den so gut wie gar nicht vorhanden ist, für den es nicht die sichtbaren Zeichen der ihm eigenen Eigentümlichkeit in sich trägt.

[1.171.7] Daher auch fragt ihr mich vergeblich, denn heute bin ich am wenigsten geneigt, euch anzulügen! Denn wer der Wahrheit voll ist, für den ist alle Lüge ins ewige Nichts gesunken. Wer aber noch der Lüge voll ist in seinem Herzen und hält sie für wahr, was sollte dem die eigentliche heilige Wahrheit sein? Nichts als eine Lüge!

[1.171.8] Wer der Welt Licht sucht, was ist dem das innere Licht des Geistes? Nichts als Lüge, eine barste Finsternis! Denn wie sollte jemandem das ein Licht sein, bei dem er weiter greift als sieht?

[1.171.9] Daher auch lasst ihr mich in Ruhe! Denn des Herrn Wege könnt ihr noch nicht fassen; denn diese Nacht hat eure Herzen mit Finsternis geschlagen, darum ihr auch nicht mehr wisst, dass die wahre Liebe zu Gott an keine Regel gebunden ist, sondern ganz vollkommen frei ist, und also auch das Opfer, das Ihm die Liebe darbringt. Liebt aber ihr schon eure Weiber frei und bindet euch nicht an Zeit und Stunde, – warum sollte denn die Liebe zu Gott gemessen sein?!

[1.171.10] Daher geht, und bedenkt euch eines Besseren! Amen.“

Am 11. Dezember 1841

[1.171.11] Als die neugierigen Mittägler vom Henoch auf diese ganz für sie passende Art abgefertigt wurden, fingen sie unter sich an zu murren; denn es verdross sie gewaltig, dass ihnen der Henoch auf ihre Frage eine so sonderbare Antwort gab, nachdem, wie sie sich im Herzen gestanden, sie ja mit der Frage es nicht so übel gemeint hätten.

[1.171.12] Einer aus ihnen sagte zu den übrigen: „Hört, ihr Brüder, ich kenne den Henoch gar wohl, und soviel ich gestern von ferne bemerkt habe, so glaube ich, die Väter haben ihm das Opfergeschäft übertragen; und wie er aber schon allzeit ein Sonderling war in allen seinen Reden und Handlungen, also wird er es auch sein bei diesem Geschäft!

[1.171.13] Ich bin aber der Meinung, man sollte die altsittliche fromme Opferungsweise nach der Art Ahbels, die Gott wohlgefällig war, nicht so leicht der Willkür eines einzigen überlassen, sondern, wenn da irgendeine Abänderung hätte getroffen werden sollen, so hätte solche beim versammelten Rat aller Kinder geschehen sollen. Oder wenn es nicht also ist, was sind dann wir als Menschen gleichen Ranges?!

[1.171.14] So das Opfer auch für uns und von uns aus als ein gültiges soll angesehen werden, so soll es ja auch von unserem Rat etwas an sich und in sich bergend tragen; so aber trägt es nichts in sich denn allein unseren Widerwillen und hat somit für uns auch keine Wirkung.

[1.171.15] Wie können, wie sollen wir das billigen, zudem noch, da wir doch vorher allzeit in rein göttlichen Dingen sind zu Rate gezogen worden?!

[1.171.16] Daher glaube ich, der Sethlahem als der Älteste und Erfahrenste aus uns sollte noch einmal hingehen zum Henoch und sollte ihn ganz strenge ernstlich fragen, was es da mit dem frühen Holzauflegen für eine Bewandtnis hat!“

[1.171.17] Der Sethlahem, der auch unter diesen Fragenden sich befand, aber entgegnete dem Geärgerten: „Höre, dazu habe ich keine große Lust; denn ich habe den Henoch gestern kennengelernt auf eine Art, – ich sage euch, auf eine ganz außerordentlich sonderbare Art!

[1.171.18] Ich sah ihn mit einer Macht ausgerüstet, vor der es mich noch heute, so ich daran denke, noch durch und durch erschauert!

[1.171.19] Die heutige Nacht war grauenvoll! Schrecklich wüteten die Elemente, wie ihr es alle wisst, dass wir uns darob flüchteten auf die Höhe und lagen da in großer Angst auf der Erde bebendem Boden, solange der Sturm angedauert hatte; allein so groß auch diese Angst war, so mochte sie aber doch nicht den Anblick und das Gehörte aus meinem Herzen verdrängen, was ich gestern am Henoch entdeckt habe!

[1.171.20] Ihr wisst es alle, als da einige von uns sich gelüsten ließen, hinab in die Tiefe zu gehen, wie da ihnen ein mächtiger Tiger den Weg vertrat und sie durch seine Kraftäußerung an einem zerrissenen Riesenstier zum eiligen Rückzug zwang.

[1.171.21] Hört, derselbe Tiger, den ich gar wohl erkannte, war gestern dem Henoch gleich einem Lamme untertänig und gehorchte jeglichem seiner Winke! Aber nicht genug, dass dieses Ungetüm dem Henoch den größten Gehorsam bewies, sondern – was zu den allerunerhörtesten Dingen gehört – es musste sogar reden und reden jedem von uns wohlverständliche Worte voll weisen Sinnes!

[1.171.22] Solches habt ihr freilich wohl nicht bemerken können, da ihr im tiefen Hintergrund bei euren Hütten auf der Erde lagt; aber ich, der da ganz vorne war, habe solches unvergesslich gesehen und gehört.

[1.171.23] Dass mich dadurch der Henoch sehr anzog, könnt ihr euch wohl vorstellen, darum ich dann auch, sobald sich nur die erste Gelegenheit darbot, vor allem trachtete, mit ihm wortgemein zu werden.

[1.171.24] Als ich aber mit ihm zu reden anfing und wollte ihm sogar ein Jünger werden, seht, da gab er mir ein Gleichnis über die Anschauung eines fernen Gebirges und machte mir den Unterschied zwischen der erzählten und eigenen Anschauung also erschaulich, dass ich mir bei seiner Erklärung mit aller meiner Weisheit nicht anders gegen ihn vorkam, als wäre ich erst kaum dem Mutterleib entstiegen!

[1.171.25] Und wie es mir vorkam, so waren alle Väter – sogar der Adam nicht ausgenommen – ihm im Wort untertan und er ganz allein wortleitig für sie alle.

[1.171.26] Darum sage ich euch, wer von euch da noch Lust hat, nach dieser seiner Abfertigung unserer unzeitigen Neugierde ihm noch mit einer neuen und noch unzeitigeren Frage zu kommen, der mag ja immerhin den Versuch machen; allein mich lasst dabei ungeschoren!

[1.171.27] Ich glaube aber auch für euch, es wird sich ganz entsetzlich lächerlich ausnehmen euer Kampf mit ihm, – nicht viel anders als der zwischen einer Maus und einem Löwen! Wer bei derart Kämpfen den Sieg davontragen wird, – ich glaube, um das im Voraus zu bestimmen, gehört gerade nicht ein großer Prophet dazu!

[1.171.28] Habt ihr aber noch dessen ungeachtet Lust, eure ernst-strenge Frage an ihn zu richten, so wünsche ich euch viel Glück und eine heitere Sonne obendrauf! Nur so viel bemerke ich euch noch zu allem dem schon Gesagten hinzu, dass mit jenen, die mit Gott in irgendeiner sicheren Verbindung stehen, nie zu spaßen ist. Was sie tun, sollen wir lieber ernstlich beachten, als ernst darum fragen; denn des großen Gottes Wege sind unergründlich und Seine Ratschlüsse unerforschlich!

[1.171.29] Solches führt euch eher wohl zu Gemüte, bevor ihr einen Schritt wagt!“

[1.171.30] Als die Ärgerlichen aber solches vom Sethlahem vernommen hatten, standen sie von ihrem Vorhaben alsbald ab und ergaben sich in den weisen Rat Sethlahems.

[1.171.31] Der Henoch aber rief seiner inneren Aufforderung gemäß den Sethlahem zurück zu sich und sagte folgendes zu ihm:

[1.171.32] „Sethlahem, ich lobe dich! Siehe, nun hast du wahrhaft weise gehandelt, da du diesen Schwachen aufgeholfen hast, die ohne deine Hilfe unfehlbar in einen tiefen Abgrund gestürzt wären, da sie blind sind und darum nicht sehen, wie der Boden unter ihren Füßen beschaffen ist!

[1.171.33] Du aber sollst von nun an nicht von meiner Seite weichen, bis auch du sehen wirst, was deine sterblichen Augen noch nicht gesehen haben, und hören, was deine sterblichen Ohren noch nicht gehört haben!

[1.171.34] Ist dir denn der heutige so überaus heitere und angenehme Tag mitnichten aufgefallen, der da gefolgt ist dieser Nacht des Schreckens?

[1.171.35] Und so du den Gang des Sturmes und dessen plötzlichen Verlauf beachtet hast, sage mir, ist dir dabei nichts aufgefallen?“

[1.171.36] Und der Sethlahem erwiderte ihm: „O Henoch, wem sollte das nicht auffallen? Aber was nützt unsereinem auch all das Auffallen? Denn ich verstehe mit und ohne Auffallen nichts von allem dem und denke mir bloß dabei zu meiner Beruhigung:

[1.171.37] Der Herr Jehova wird es schon gar wohl und überaus sicher wissen, warum dieses und warum jenes! Mehr herauszubringen werden wohl jene verstehen, denen Jehova näher ist denn mir; doch Ihm allen Dank dafür, da Er mir nur den Frieden beschied! Ich bin ja auch damit hinreichend zufrieden!

[1.171.38] Was meinst denn du, lieber Henoch, ist es nicht recht also?“

[1.171.39] Und der Henoch entgegnete ihm: „O Sethlahem, du hast einen guten Boden! So der Same in dein Erdreich fallen wird, wird er dir tausendfältige Früchte bringen!

[1.171.40] Höre, heute wirst du einen Fremden in unserer Mitte erschauen; zu diesem Fremden gehe hin, Der wird dir mit einem Wort mehr sagen als ich in Jahrtausenden! Ja ich sage dir, Er wird dich lebendig machen durch und durch!

[1.171.41] Doch nun nichts mehr weiter; denn ich sehe Ihn schon kommen!“

TAGS

Kein Kommentar bisher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Letzte Kommentare