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164. Kaeams Lied. Kuramechs humorvolle Rede

Am 1. Dezember 1841

[1.164.1] Als aber die noch übrigen vier es nicht recht erfassen konnten – dieweil sie in einiger Entfernung zufolge des Geräusches des nach Hause ziehenden Volkes von der gegenseitigen Unterredung nicht viel verstanden hatten –, was da der Kaeam zu tun im Sinne haben möchte, so traten sie näher und fragten ihn darum.

[1.164.2] Kaeam aber entgegnete ihnen, sagend: „Darum ihr mich fragt, da antworte ich euch, dass ich bleibe bei dem, der uns errettet hat; desgleichen auch ihr es tun könnt, so ihr es wollt!“

[1.164.3] Die anderen aber fragten den Kaeam wieder, was da aber geschehen solle mit Weib und Kindern und noch anderen Dingen.

[1.164.4] Und der Kaeam entgegnete ihnen abermals: „Darum ich bleibe, hab‘ ich schon alles getan! / Der da heut’ die Erde nicht zerfallen ließ / und des Himmels Bande nicht zerriss, / sicher wird Er auch bis morgen / für mein armes Hüttchen sorgen!

[1.164.5] Sollt auch ihr euch nicht so kümmern, / liegt die Erd’ doch nicht in Trümmern; / besser folgen Schritt zu Schritte / Einem aus der heil’gen Mitte, / als zu ruh’n in seiner Hütte / nach gewohnter Trägheitssitte!

[1.164.6] Meine Hütte möcht’ mir wenig nützen, / würd’ sie Einer nicht beschützen! / Was Er tut, wird unterlassen, / Der uns liebt ohn’ alle Maßen, / so ich Ihm aus bess’rem Triebe / folge, – folgt auch ihr der Liebe!“

[1.164.7] Die anderen aber verstanden nicht, was der Kaeam ihnen entdeckte und fragten ihn nochmals, was er denn sagen wolle mit solchen Worten.

[1.164.8] Er aber entgegnete ihnen: „Wer im Herzen nicht entbrennet, / so den Vater er gefunden, / der auch schwerlich da erkennet, / wer das Leben ihm gebunden! / Darum mögt nach Haus ihr ziehen, / um zu ruh’n in euren Hütten, / und für heute euch nicht mühen, / zu erforschen unsre Mitten! / Amen.“

[1.164.9] Bald aber wandte sich Abedam, der hohe, zu den vieren und sagte zu ihnen: „Wer fasst, was er nicht sieht, und wer versteht, was er nicht hört?

[1.164.10] So der Blinde oder einer mit verschlossenen Augen schon am hellen Tag nichts sieht, wie wird es ihm ergehen in der Nacht? Und dessen Ohr taub ist für den Donner, wie möchte er verstehen wohl der Liebe sanftes Wehen?

[1.164.11] Ich sage euch, wer die aufgehende Sonne auf den ersten Blick nicht erkennt, der hat einen gewaltigen Fehler im Auge! Und wen der laute Donner nicht weckt, der hat sicher einen festen Schlaf!

[1.164.12] Darum zieht auch ihr nur ruhig und wohlgemut in eure Hütten und schlaft euch allda so recht fest aus; nur vergesst morgen nicht, zu rechter Zeit zu erwachen! Amen.“

[1.164.13] Als aber die vier die Worte Abedams vernommen hatten, da ward es ihnen bange, und einer aus ihnen fragte den Abedam entgegen: „Wer bist du denn, da unser Herz also gewaltig erbebte bei der Stimme deiner Worte? Was haben wir denn mit dir zu tun?“

[1.164.14] „Wer Ich bin? – Ich bin, wer Ich bin; ihr aber habt mit Mir noch sehr wenig zu tun gehabt!

[1.164.15] Hätte Ich von jeher mit euch so wenig zu tun gehabt, als ihr es gehabt habt mit Mir, wahrlich, ihr hättet da noch wenig Brot verzehrt!

[1.164.16] Versteht es, und geht zu eurer Ruhe! Amen.“

[1.164.17] Da sie damit Abedam so kurz abgespeist hatte, so wendeten sie sich noch an den Seth und fragten ihn, was es da mit dem Fremden für eine Bewandtnis habe; denn Seine Worte klängen gar so sonderbar und machten eine ihnen bis jetzt ganz fremde Wirkung in der Brust.

[1.164.18] Der Seth aber entgegnete ihnen: „Habt ihr vorhin nicht vernommen, was der Fremde zu euch gesagt hat: So der Blinde oder einer mit verschlossenen Augen schon am hellen Tag nichts sieht, wie wird es ihm ergehen in der Nacht?

[1.164.19] Das innere Auge eures Herzens aber ist noch überaus blind, darum ihr nicht gewahrt der hellsten Sonne am Horizont alles Lebens; daher geht nach Hause, schlaft dort eure Torheit aus, und kommt morgen nüchternen Geistes zu uns! Amen.“

[1.164.20] Da diese vier nun sahen, dass sie mit allen ihren Fragen auch nicht um ein Haar weiterkamen, dankten sie den Vätern und gingen, in allerlei Gedanken vertieft, ihren Hütten zu, welche nach jetziger Messung bei einer halben Stunde Weges gen Mittag von hier entfernt waren.

[1.164.21] Unterwegs aber fragte einer den anderen, was er hielte von dem Fremden unter den Hauptstammvätern.

[1.164.22] Einer unter ihnen, namens Kuramech, aber antwortete ihnen, sagend: „Möcht ihr’s hören, könnt ihr’s hören und wollt ihr’s hören?! – Aber dumm, weil dumm; wir sind, wie wir nicht sein sollen, denken ohne Gedanken, schauen ohne Licht. Fragen ohne Mund, haben keinen Grund!

[1.164.23] Ich fand einmal einen hohlen Baum und kroch in seine weite Höhlung. Da war es öde. Ich sah nichts denn faulen, übelriechenden Moder; aber des Baumes Leben fand ich nicht, und doch war er von außen wie lebend! Er war voll Blätter; ob er Frucht auch hatte, solches weiß ich nicht, denn dergleichen konnte ich seiner Höhe wegen nicht wohl merken.

[1.164.24] So sah ich einst einen großen Vogel durch die Lüfte ziehen. Es war ein Aar. Er ahmte Stimmen kleiner Vöglein nach. Die Vöglein flogen auf, sie wähnten ihresgleichen zu erblicken; doch wie schossen sie erschreckt zurück, als sie angesichts wurden des mächtigen Aars! Der Gesang glich zwar dem der Vöglein, doch klang er mächtiger und weiter hallend der schaurigen Höh’ entlang. Mir ward es angst und bang, als des Stimm’ zu meinen Ohren drang!

[1.164.25] Einmal in der Nacht hab’ ich’s vernommen wie ein mächtiges Sturmesrauschen; doch der Bäume Blätter blieben ungerührt, und ich dachte: ‚Was ist’s, das da rauscht, ein Getös’ in vollster Ruhe?!

[1.164.26] Bald verstummte es, und es kam kein Wind. Ein mächtig’s Rauschen – und kein Wind; was das doch für sonderbare Dinge sind!

[1.164.27] Und also sah ich einstens auch von einer hohen Felswand, wie grau dem Meer sich ein gar schwer’s Gewölk entwand. Es stieg und stieg herauf zum hohen Felsenrand. Ich wollt’ nun schauen, was darinnen; bald doch fing mir an zu grauen. Denn je näher sich’s da düster wälzte, desto finstrer ward die Tiefe. Darum floh ich, euch bekannt, so schnell als möglich von der Wand gerade meiner Hütte zu, und fand in ihr die alte Ruh’.

[1.164.28] Soll’s weiter etwas geben, wird die Zeit den Nebel heben; und so lasst die Köpf’ uns nicht zerbrechen, nicht in Wespennester ärg’lich stechen! Berg’ sind krumm, wir sind dumm; was kann eines dem anderen sagen auf die Dummheit dummer Fragen? Höchstens ihm die eigne Not beklagen, solch’s die Narrheit muss ertragen! Darum will ich nunmehr schweigen, still in meine Hütte steigen, dort in stiller Hoffnung Freuden mich der süßen Ruh’ bescheiden!

[1.164.29] Wollt ihr weiter euch noch fragen, bis der Morgen euch wird sagen: ‚Meine Strahlen euch verkünden, ihr seid alle noch voll Sünden! Warum wolltet ihr nicht ruhen, sondern unnütz’ Zeug nur tuen?‘ Sehet nun, ob eure Augen werden für die Sonne taugen?

[1.164.30] Doch ihr tuet, was ihr wollet, meine Zunge euch nicht grollet; morgen wird sich’s wohl finden, was der Nacht ihr mocht entwinden!

[1.164.31] Sonnen werd’t ihr kein’ erschaffen, mögt die Nacht ihr auch begaffen; morgen wird sich’s ja wohl finden, was der Nacht ihr mocht entwinden! Amen.“

[1.164.32] Und nach diesen Worten verließ sie Kuramech und eilte in seine Hütte zur Ruhe, während die anderen drei sich zur Erde niederließen und sich mit allerlei Fragen den Schlaf vertrieben.

[1.164.33] Als der Kuramech aber in seine Hütte trat und fand sein Weib und seine Kinder voll Verwunderung, da ihrer Hütte Inneres so hehr erleuchtet war, da fielen ihm des Fremden Worte ein, und er fing an, in sich zu gehen, und erkannte nach und nach stets mehr und mehr, dass der Fremde kein Fremder ist, sondern Einer, der da überall zu Haus ist!

[1.164.34] Und so fing er an, Ihn zu loben, und lobte Ihn, bis der nötige Schlaf ihm die lobdürstige Zunge lähmte.

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