Am 22. November 1841
[1.158.1] Und der hohe Abedam entgegnete dem bekannten Abedam auf dessen kurze Furchtentschuldigung:
[1.158.2] „Du hast zwar wahr gesprochen, allein unter uns muss Ich dir denn doch eine kleine Einwendung machen. Siehe, wäre dieses leichte Ungewitter ein Werk Meiner Macht, wo wäre nun schon die Erde? Ja, Ich sage dir und auch euch, wie wäre die ganze Schöpfung?
[1.158.3] Willst du aber ein Werk Meiner Macht sehen, da siehe die ganze, unendliche Schöpfung, wie da alles ist gefestet und bestehend als ein Ganzes in seiner Art und als Ganzes doch nur wieder ein Teil des unendlichen Ganzen, – und wie sich nichts von der Erde, nichts von der Sonne, nichts vom Mond, ja nichts von allen den Sternen entfernen kann als allein das Allerunwägbarste, nämlich ein gerecht sparsames Licht. Siehe, das sind Werke Meiner Macht.
[1.158.4] Meinst du aber etwa, Meine Macht ist eine Macht des Verderbens oder eine Macht der Vernichtung?
[1.158.5] Wahrlich, bei solcher Meinung von Meiner Macht wäre eben durch solche Meine Macht sogar nie etwas erschaffen worden!
[1.158.6] Da aber Meine Macht nicht ist eine Macht der Vernichtung und des Verderbens, sondern eine Macht des beständigen Hervorbringens und Erhaltens des Hervorgebrachten, so ist sie ja darum auch eine Macht der Liebe, und also auch eine Macht der ewigen Ordnung.
[1.158.7] Sage Mir nun aber, da es sich mit Meiner Macht also nur und unmöglich anders verhält, wo dann das von dir so Gefürchtete in ihr steckt?
[1.158.8] Oder meinst du etwa, dieses Ungewitter sei weniger ein Werk Meiner Liebe denn ein ruhiger, heiterer Tag?
[1.158.9] Ich sage euch aber: Ein ruhiger, heiterer Tag gleicht einem Liebhaber, der mit seinem Weib ruhig in der Hütte sitzt. Er liebt zwar sein Weib in einer gewissen geraden Linie fort, ja er liebt sie getreu; aber welch ein Unterschied ist zwischen seiner Liebe und der Liebe eines jungen Werbers!
[1.158.10] So das Weib zu seinem Mann sagt: ‚Möchtest du nicht hinausgehen und mir vom nächsten Baum holen einige Birnen, oder irgendein sonstiges reifes Obst? Denn siehe, es hungert mich ein wenig und gelüstet mich auch recht danach!‘
[1.158.11] Der Mann wird sich hinter dem Ohr kratzen und endlich etwas unwillig sagen: ‚Aber mein liebes Weib, siehe, es sind nur drei Schritte hinaus; lass mich doch ein wenig ruhen! Wenn es dich also gelüstet, magst du dir ja doch selbst hohlen, danach dich gelüstet!‘ – Siehe, und sage Mir, ist es nicht also?
[1.158.12] Wenn aber eine zarte Jungfrau zu ihrem glühenden Werber sagen möchte: ‚Dir soll meine Hand und mein Herz werden; aber zum wahren Zeichen deiner Liebe sollst du von hier hundert Tage weit reisen und mir bringen von dorther ein teures, hochschätzbares, seltenes Angebinde!‘
[1.158.13] wird der Werber nach solchem Verlangen seiner glühend heiß geliebten Jungfrau tun, was der Ehemann in der Hütte tat seinem Weib?!
[1.158.14] O nein, sage Ich euch, – sondern er wird ihr entgegnen: ‚O Jungfrau, nicht nur hundert Tage weit, sondern so du es willst, möchte ich dir zu Gefallen wohl bis ans Ende der Welt ziehen und da sammeln alle Schätze der Welt und sie dann legen in deinen zarten Schoß!‘ – Sagt, ist es nicht also?
[1.158.15] Seht den ruhigen, heiteren Tag in der Hütte und dann diesem entgegen die liebestürmische Nacht in der Brust des jungen Werbers! Welch ein Unterschied zwischen diesen zwei Liebesarten!
[1.158.16] Wenn nun diese stürmische Nacht von Mir aus zu euch Kindern gliche der Liebe des jungen Werbers, – möchtest du, Abedam, hernach noch behaupten, solches sei ein furchtbares Werk Meiner dir so schrecklich vorkommenden Macht?“
[1.158.17] Und der bekannte Abedam erwiderte: „O Herr, mein hoher, überaus liebevollster Namensgefährte, siehe, nun ist wieder ein großer Teil meiner Dummheit zunichte geworden! Dir ewig Dank dafür!
[1.158.18] Ich glaube aber, es muss dessen ungeachtet doch noch bei mir etwas Bedeutendes von der Narrheit im Hinterhalt verborgen sein, da ich mich noch immer der Furcht nicht ganz erwehren kann.
[1.158.19] Da Du, hoher Namensgefährte, schon so vieles eingesteckt hast, was Du mir gnädigst abgenommen, so nehme auch noch diese meine Dummheit von mir, und stecke sie irgendwohin, wohin es Dir nur immer wohlgefällig ist!“
[1.158.20] Und der Abedam, der hohe, entgegnete ihm: „Siehe, jetzt hast du den rechten Ausdruck getroffen! Ja wahrlich, einstecken muss Ich von euch gar vieles, und der Sack, wohin eure zahllosen Torheiten eingesteckt werden, heißt Meine Langmut und große Geduld!
[1.158.21] Doch sage Ich euch, es soll diesem Sack niemand zu viel trauen, denn es könnte sonst doch geschehen, dass er einmal reißen möchte! Und so solches geschähe, dann wehe der Erde und ihren Bewohnern!
[1.158.22] Fürchtet auch ihr beiden euch noch, du, Henoch, und du, Lamech?“ Und der Henoch entgegnete: „O Abba, leider muss ich Deine Frage für mich bejahen; aber ich denke: Wie alle Kinder voll Furcht und Angst sind, also bin es auch ich! Doch ich finde es gerecht; denn hätte Deine Vatergüte der Schwäche des Kindes nicht den liebweisegerechten Anteil von Furcht und Angst hinzugesellt, was möchte da wohl werden aus dem schwachen, aber doch fälschlich stark sich wähnenden Kind?! Wer könnte es leiten und wer erziehen?!
[1.158.23] So aber ist die Furcht schon des Kindes größte Lehrerin! Sie war anfänglich bei mir und soll auch bleiben fürder; denn ich weiß es nur zu gut, dass eben in der Furcht der Schwachen Deine höchste Liebe waltet.
[1.158.24] Sie ist der getreueste Wächter der Kleinen, daher soll sie auch der meinige verbleiben also, wie sie war als die große Liebesgabe von Dir, dem guten, heiligen Vater, gleich anfangs bei mir, fürder ewig!
[1.158.25] Ich weiß und fühle es durch Deine Erbarmung gar lebendig in mir, dass mir durch Deine hilfreiche Fürsorge und Liebegnade nichts zuleide geschehen kann und geschehen darf; aber doch fürchte ich derlei außerordentliche Begebnisse, und zwar darum, weil ich Dich über alles liebe.
[1.158.26] Siehe, da Liebe ist, da ist auch Furcht; wo aber keine Furcht, da auch keine Liebe.“
[1.158.27] Und der Abedam entgegnete ihm: „Henoch, du hast wahr gesprochen! Wer aber lehrte dich also sprechen?
[1.158.28] Ja, wahr ist es, in der Furcht der Schwachen bin Ich zugegen! Wer den Vater liebt, der fürchtet Gott; es kann aber ohne die Gottesfurcht niemand den Vater lieben.
[1.158.29] Daher ist auch Gottesfurcht und Liebe gleich, und es kann nicht eine sein ohne die andere; aber doch ist solches zu merken, dass die Liebe höher stehe denn die Furcht. Und also ist nur in der Liebe Leben, aber nicht in der Furcht. In der Furcht liegt der Tod, aber kein Leben. Daher soll da jeder endlich seine Furcht von der Liebe gefangen nehmen lassen, so wird er leben im Vater, der allein ist ein Herr alles Leben. Verstehe es wohl!“
Am 23. November 1841
[1.158.30] Der Lamech aber fragte den Abedam: „Möchtest Du mir denn in der Geschwindigkeit nicht sagen, ob ich mich denn wohl im Ernst fürchte?
[1.158.31] Siehe, es sieht sonst wohl alles ganz entsetzlich fürchterlich aus, und all das beständig zunehmende Heulen und Krachen und Donnern, das unheimliche Sausen, Brausen und Toben erfüllt einem das Herz so ganz unwillkürlich mit großer, ja mit steigender Angst, – und obschon solches alles in mir vorgeht, so weiß ich aber doch nicht bestimmt, ob das wohl die läppische Furcht oder vielleicht einen anderen mir bis jetzt noch ganz fremden Gemütszustand bezeichnet! O Abba, erkläre mir solches, so Dein heiliger Wille! Amen.“
[1.158.32] Und der Abedam, ihn höchst freundlich ansehend, erwiderte ihm: „Lamech, Ich meine, du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht! Wie aber kann man jemanden fragen, ob Furcht sich des eigenen Herzens bemächtigt hat, wenn man vor lauter Angst bebt am ganzen Leib?!
[1.158.33] Siehe, welche furchtlosen Worte sind erst vor kurzem deinem Munde entfallen! Wo ist nun dein großer Mut und dein unerschütterliches Vertrauen? Und doch ist noch keines von allen deinen ausgesprochenen Schrecknissen eingetroffen! Wir stehen noch alle auf der noch hinreichend festen Erde. Sie ist noch nicht zerstört; das Meer noch nicht verdampft; es ist noch kein weltengroßer Hagel auf die Erde gefallen; auch keinen einzigen Berg noch haben flammende Orkane davongetragen, und über unseren Häuptern sind noch keine Flammen zusammengeschlagen. Und doch zitterst du neben mir, als hätten dich alle Fieber auf einmal ergriffen!
[1.158.34] Was möchte dann erst aus dir werden, so Ich solches, dich zu prüfen, geschehen ließe, was du Mir vorher so unerschrocken mutig bezeigtest?
[1.158.35] Also merke dir auch das: Es ist, dem Henoch gleich, besser, in der Furcht zu verbleiben, als zu viel im Brand der Liebe zu versprechen. Es ist einerlei, was jemand da verheißt entweder im alleinigen Brand der Liebe oder in der von Taub- und Blindheit erfüllten alleinigen Furcht; denn all solches Versprechen wird nicht gehalten, da ein solcher überspannter Zustand eben auch nie ein bleibender sein kann.
[1.158.36] Wie der Liebe Brand sich ändert für sich, kannst du ja sehen an der Gattenliebe, die da ist ein abgekühltes Feuer, das nimmerdar kochen macht das Blut im Herzen, sondern nur sanft und leise erwärmt und eben also belebt!
[1.158.37] Und wie lange die Furcht anhält und das Versprechen in ihr, kannst du ja auch sehen an den schwachen Kindern schon, welche in der Furcht auch ihre versprochene Besserung so lange halten, solange der Vater mit finsterer Miene um sie herumdonnert; hat sich aber seine Miene wieder aufgeheitert, dann ist auch die Furcht hinweg, aber mit der Furcht all die Versprechungen aus ihr!
[1.158.38] Willst du nun vollkommen sein, so müssen in dir stets drei Teile Furcht und sieben Teile Liebe sein; und dann wirst du zu all deinen Bitten auch endlich diese hinzufügen: ‚Vater, lasse nicht Versuchungen über meine Schwäche kommen, sondern befreie mich von allem Übel sowohl geistig, als auch leiblich!‘ Und also wirst du rechtlich bitten; denn die Versuchung ist dem freien Menschen nicht gut, da sie fürs Erste den Leib tötet und den Geist erlahmt.
[1.158.39] Glücklich zwar bist du, da du die Furcht mit der Liebe besiegtest, wenn auch nur bis zur Zeit der Versuchung, und ließest dann aber die Liebe nicht fahren, als die Versuchung kam, sondern ließest durch deine Furcht treiben deine mächtigere Liebe zu Mir, – aber in der Zukunft werden nur diejenigen glücklich sein, welche mit stets gerechter Furcht vor Gott in der Liebe zum Vater erwachen werden! Und so wird sein der Menschen erste Pflicht gegen Gott ein freiwilliger Gehorsam, welcher aber ist eine Frucht der gerechten Gottesfurcht. Erst in diesem Gehorsam werden dann die Menschen von neuem ausgeboren werden zu Kindern Gottes und werden in Ihm erkennen und dann erschauen den liebevollsten, heiligen Vater.
[1.158.40] Die Furcht ist der Same der Liebe; wie aber ohne Samen keine Frucht zum Vorschein kommen wird, so wenig wird auch ohne die gerechte Gottesfurcht je eine wahre Liebe zum Vorschein kommen.
[1.158.41] Wie aber der Same in der Erde verfault und der lebendige Keim der Liebe hervorbricht und dann großwächst und lebendige Früchte bringt, also wird auch die Liebe, dieser heilige Keim des ewigen Lebens, aus der Frucht hervorbrechen. Die Frucht, die alte, wird verwesen; aber eben aus dieser Verwesung in der guten Erde Meiner Liebe zu euch wird sich eine erstaunliche Frucht erheben, ein Baum des Lebens, unter dessen Ästen dann selbst des Himmels Bewohner ihre Wohnungen errichten werden. Das merkt euch wohl!
[1.158.42] Doch jetzt nichts mehr weiter! Denn seht, der Adam hat sich erhoben und fängt an, seine Schritte furchtsam genug zu uns zu richten; denn auch er fängt an, Hilfe bei Mir zu wittern. Darum schweigt nun vor ihm! Amen.“
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