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152. Das Wunder der Liebe Gottes

Am 15. November 1841

[1.152.1] Und der Seth, an den diese Rede Abedams so ganz eigens gerichtet war, machte überaus große Augen, wie fast auch alle übrigen, obschon diese Rede nur im Vorübergehen auch sie berührte. Aber weder der Seth, noch irgendjemand anderer getraute sich, den Abedam um etwas Ferneres zu fragen, denn sie alle hatte die hohe Weisheit Abedams sozusagen fast zugrunde gerichtet. Nur allein dem Abedam, dem bekannten, dem allein noch blieb die Zunge am rechten Fleck und in Ruhe sein Herz, darum seine redselige Zunge auch alsbald sich bei den Vätern und beim Abedam, dem anderen, die Erlaubnis ausbat, hier, nachdem alles da schweige, etwas reden zu dürfen aus seinen freien Stücken; denn bis jetzt hätte er ohnedies nur entweder gefragt oder geantwortet auf die Fragen anderer.

[1.152.2] Und sein Verlangen wurde ihm gerne gestattet; und so fing er denn auch sogleich an, wie da folgt, seiner Zunge Luft zu machen, sagend nämlich:

[1.152.3] „Meine geliebten Väter und Brüder, und Du auch, mein über alles hoch geachteter und innigst geliebter Namensgefährte! Es ist schon ein altes Sprichwort unter uns, dass recht dumme Menschen und Kinder zumeist die Wahrheit reden; da ich aber gewiss mit allem Recht zu den ersten vorzugsweise gehöre und von jeher schon gehört habe, so bin ich ja gemacht für einen Prediger! Aus diesem Grunde sage ich euch allen und gestehe es ganz offenherzig, dass ich unter euch allen der Glücklichste bin, das heißt den lieben Namensgefährten ausgenommen.

[1.152.4] Ihr wundert euch über das Lichtmachen, – ich wieder gar nicht; denn wollte man sich über alles wundern, was des Herrn unendliche Macht, Kraft und höchste Weisheit alles hervorzubringen und überaus leicht zu bewirken vermag, wahrlich, da dürfte man das Leben mit nichts denn mit lauter Verwundern und Überverwundern zubringen!

[1.152.5] Ist denn nicht jeder Schlag unseres Herzens ein gleich großes Wunder, – wer aber wird sich beständig darüber wundern?

[1.152.6] Oder dass wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, uns willkürlich bewegen, stehen, gehen, laufen, springen, dann wieder liegen, schlafen, träumen, denken, lieben, verständig reden, essen, trinken, scheißen, brunzen, ja unseresgleichen in der Liebe zeugen können, und kurz und gut, alles, was wir dann mit all unseren Sinnen wahrnehmen, – sagt, sind das nicht lauter unbegreifliche Wunder über Wunder?

[1.152.7] Wo aber lebt wohl ein Mensch, der sich über alles dieses beständig wundern möchte und, wenn er nur eine Spanne weit über die Erde hinaus zu denken vermag, auch könnte?

[1.152.8] Wer sieht es nicht ein, dass ein Starker eine größere Last zu heben vermag denn ein Schwacher? Wen soll es wundernehmen, dass der Starke stärker ist als der Schwache?

[1.152.9] So ich einen Stein in die Hand nehme und ihn dreißig Mannslängen weit von mir schleudere, ein Stärkerer und Geschickterer aber schleudert ihn hundert Mannslängen von sich – sagt, wer wird sich dessen wundern? Und doch ist solches ein ebenso großes Wunder, als so der Abedam eine zweite Sonne statt dieses einfachen Lichtes durch ein mächtiges ‚Es werde!‘ zur Erleuchtung der Nacht erschaffen hätte.

[1.152.10] Wahrlich, wenn man die Sache so recht beim Licht betrachtet, so soll sich der Mensch entweder immer wundern, oder er soll sich ganz und gar nicht wundern! Denn wenn ich mich über eine Tat des Herrn wundere und über eine andere wieder gar nicht, bin ich dann nicht entweder ein Klassenschätzer der Werke Gottes, da keines ist minder als das andere in seiner Art, oder ich müsste wenigstens noch um hundertmal dümmer sein, als ich es von Natur aus bin, so ich das nicht auf den ersten Blick einsehen möchte, dass Gott in jedem Seiner Werke unergründlich, unerfassbar und unendlich ist! Erkenne ich aber solches, wie sollte es mich hernach wundernehmen, wenn der allmächtige, höchstweiseste Gott solche Werke hervorbringt, die Seiner unendlichen Vollkommenheit in jeder auch nur möglich denkbaren Hinsicht entsprechen müssen?!

[1.152.11] Ja, vermöchte jemand mit der bloß menschlichen Schwäche einen gestirnten Himmel auf ein Wort zuwege zu bringen, wahrlich, darüber könnte ich mich hoch verwundern; aber da solches nur die Kraft Gottes vermag, seht, das nimmt mich wieder gar nicht wunder!

[1.152.12] Oder sollte das wohl ein Wunder sein, wenn der allmächtige Gott aus Seiner ewigen, höchst weisen Ordnung alles solches gar leicht und wohl vermag?

[1.152.13] Seht, solches wundert mich nicht und wird mich auch ewig nie wundern; wohl aber nimmt es mich hoch wunder, dass nach dem, was wir jetzt wissen, dieser allmächtige Gott auch zugleich unser aller liebevollster, heiliger Vater ist! Und so erkenne ich nur ein Wunder der Wunder an, und dieses ist die Liebe, und zwar die unendliche Liebe in Gott zu uns Nichtigen vor Ihm, und dann die Liebe auch in uns zu Ihm, welche ist ein endliches Erfassen des Unendlichen!

[1.152.14] Seht, das ist das Einzige, worüber ich mich stets mehr und mehr wundere, weil hier zwei undenkliche Verhältnisse – ein unaussprechliches Nichts und ein unaussprechliches Alles – sich ergreifen und sich gewisserart auszugleichen auf das Tätigste bemühen!

[1.152.15] Seht, das wundert mich, und das nenne ich ein Wunder. Alles andere aber – da Gott Seiner ewigen Macht und Stärke zufolge tut, was alles Ihm nur immer möglich ist, und wir auch tun, was uns möglich ist –, wie sollte oder wie könnte mich das wundern?!

[1.152.16] So ich mich aber schon nicht wundern kann, der ich mich da gerade nicht beklagen kann, als hätte ich zu viel der Weisheit; ihr aber habt alle Weisheit in großer Menge, und seid stumm ob der Beleuchtung der Hütte, und könnt aber doch sonst den ganzen Tag unter dem oft brennenden Wunder der Sonne ungehindert plaudern, – ist denn das Licht der Sonne schwächer denn dieses, oder ist ihr Licht weniger durch die Macht des göttlichen Wortes entstanden denn dieses?!

[1.152.17] Seht, solches fällt einem Narren vor euch auf; und wahrlich, das ist auch ein Wunder, dass solches nicht schon lange euch Weisen aufgefallen ist!

[1.152.18] Dankbar freuen können wir uns ja jeglicher Tat Gottes, weil Er sie sicher aus rein und allein wunderbarer Liebe zu uns Nichtsen tut; aber vor einem Werk der göttlichen Kraft wunderstumm werden, über ein anderes aber wieder ganz gleichgültigen Schrittes hinwegtraben, – wahrlich, das heißt doch nichts anderes, beim Licht betrachtet, als die Werke und Taten Gottes mit unserer Dummheit taxieren!

[1.152.19] Haltet es zugute, liebe Väter und Brüder; aber ich konnte wahrlich nun nicht mehr umhin, euch mit einer Rüge darüber zu belästigen, was einem Blinden schon auch nur bei einem geringen Nachdenken als töricht und vollends Gottes unwürdig hätte auffallen müssen!

[1.152.20] Daher sei nur das eine Wunder der Liebe uns allen ewig ein erstaunliches, nämlich, dass der allmächtige Gott unser Vater ist, uns liebt und macht, dass wir Ihn wiederlieben können und dürfen! Für alles andere aber danken wir Ihm mit über alles gleich freudigem Herzen, so werden wir darum schon gewiss uns würdiger Seine Kinder nennen dürfen, als so wir Tag und Nacht wunderstumm die Sonnenstäubchen angaffen möchten und vergäßen aber darüber der Liebe, der Dankbarkeit und alles dessen, was allein nur wahren Kindern geziemt.

[1.152.21] Freuen wir uns all der Werke Gottes und achten ihrer, darum sie Werke des Vaters sind, die Er gemacht hat aus Liebe zu uns; aber das Taxieren derselben überlassen wir bescheiden Dem allein, der sie gemacht hat! Amen.“

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