[1.135.1] Als der Asmahael solche Rede mit großem Eifer an die Anwesenden gerichtet hatte, siehe, da ergriff sie alle eine große Angst, und keiner vermochte dem anderen mit irgendeinem Trostwort erheiternd beizukommen; denn die nur zu ersichtliche Wahrheit an jedem machte hier jeden tröstenden Ausflug so gut wie ganz rein unmöglich, daher dann auch eine große Stille eintrat, in welcher ein jeder mit seinem Herzen rechtete und mitunter emsig einen entschuldigenden Trostgrund suchte. Allein das verarmte Herz konnte da kein Vermögen schaffen, woran es selbst an der größten Armut litt.
[1.135.2] Nach einer ziemlich langen Weile erhob sich endlich Adam und sagte in einem zwar sanft klingenden, aber dabei doch höchst ernstlichen Sinne:
[1.135.3] „Asmahael! Wer Du auch immer sein magst – sei es ein Mensch oder der allerhöchste, heilige Gott, siehe, wahrlich wahr, das gilt mir nun wie allzeit gleich! – siehe, ich bin einmal gefallen auf der schweren Bahn des göttlichen Willens und kann mich nun nicht mehr erheben! Ich wollte doch stets den rechten Weg wandeln, und soviel es mir nur immer möglich war, suchte ich auch jeden Stein des Anstoßes zu vermeiden; allein nicht ich habe die unebene, besteinte Erde gemacht, sondern sie ist ein Werk Gottes. Wenn ich nun bei aller Aufmerksamkeit hie und da als Erstling angestoßen bin, sage mir, wird oder kann jeder Anstoß mir allein zur tötenden Last gelegt werden?! Und so mein Herz entweder zum Sand oder Stein geworden ist, gibt es denn kein bleibendes Mittel, dasselbe wieder in gutes Erdreich umzugestalten?
[1.135.4] Und bin ich denn schon ein so ausgemachter Verbrecher, – sage, gibt’s für solche im Gottesherzen keine Erbarmung mehr?
[1.135.5] Denn nach Deiner Mahnrede ist es außer Henoch wohl niemandem mehr möglich, mit dem Leben vor Gott davonzukommen!
[1.135.6] Wie soll man denn Gott lieben und keine Idee fassen zuvor von Ihm, wie Er allzeit überaus groß, ja unendlich groß unterschieden auch von Seinen vollkommensten Geschöpfen ist?!
[1.135.7] Siehe, Du verlangst Unmögliches von uns! Siehst Du in Deiner Vollkommenheit auch diese Unmöglichkeit nicht ein, so kannst Du ja aber doch nicht umhin, um mir das zu widersprechen, was ich an mir selbst nur zu klar und überdeutlich wahrnehme!
[1.135.8] Wenn Du denn jetzt eine so große Forderung entweder im Namen Gottes oder als Gott der Allerhöchste Selbst an mich und alle meine Nachkommen machst, sage, ist es unbillig, Dich zu bitten, uns mit der Forderung auch die Mittel in die Hand und ins Herz zu legen, durch welche uns allen ersichtlich möglich wird, Deinen Anforderungen unumstößliche Gewähr zu leisten?!
[1.135.9] Dass es uns allen nicht an dem guten Willen fehlt, wirst Du hoffentlich aus diesen meinen Worten wie aus meinem Herzen deutlich abnehmen können! Nehme, o mächtiger Asmahael, mir diesen notgedrungenen Ausbruch meines Herzens nicht ungnädig auf; der allzeit Mächtige kann sich helfen, so ihn etwas drückt, – doch dem ohnmächtigen Wurm im Staub bleibt nichts übrig, als sich sterbend zu krümmen, wenn er vom Huf des mächtigen Pferdes getreten und halb zerquetscht wird!
[1.135.10] O erwäge diese Worte und bedenke wohl, was das heißt: ein ohnmächtiges Geschöpf sein, sich selbst fühlend an der unsichtbaren Seite eines unendlich und ewig über alles mächtigen Schöpfers!
[1.135.11] Siehe, ein undenkbares, ein unaussprechliches Verhältnis: eine frei sein sollende Ohnmacht unter einer freien, unendlich ewigen Macht!
[1.135.12] Daher helfe uns, wenn uns überhaupt je möglich zu helfen ist, anstatt uns ohnehin überstark Getretene noch mehr zu treten! Besser wäre es, uns gänzlich zu vernichten, als stets mehr und mehr zu quälen! Amen.“
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