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123. Die ‚Verdorrte Hand der Erde‘ wird zum Pfad

Am 28. Juli 1841

[1.123.1] Während der Rede Asmahaels gelangten die Väter an eine große steinerne Wand, welche durch die verschiedenartigsten Einriffungen die wunderlichsten Formen darstellte, also, dass darob die Väter ihr schon seit langen Zeiten her den Namen ‚Verdorrte Hand der Erde‘ beilegten. Diese Wand schied die Kinder der Mitternacht von den Vätern, und man konnte von dieser Wandseite auf natürlichem Weg unmöglich in die mittnächtliche Gegend gelangen. Wer hernach dahin gelangen wollte, musste sich einen großen Umweg gefallen lassen; denn da musste er die ganze abendliche Gegend durchwandern und von da einen kreisförmigen, langen Gebirgsrücken durchziehen, der sich dann nach einem weitbeschriebenen Bogen mit der mitternächtlichen Gegend von Nordosten her verband.

[1.123.2] Allein dieser Weg war für die Väter fürs Erste zu weit, und da sie jetzt schon an die Wand gelangt waren, war solches für diesen Moment so gut wie unmöglich; denn da hätten sie sich wieder zuerst müssen gen Abend begeben und von da erst über den weitgedehnten Gebirgsrücken.

[1.123.3] Allein die Väter waren nun einmal an die Wand gelangt und konnten nun keinen Schritt mehr weitermachen; daher fing nun, von Adam angefangen, einer den anderen zu fragen an, was da wohl zu machen sein werde, um die Kinder der Mitternacht fürs Erste über den nächst bevorstehenden Sabbat zu benachrichtigen, und fürs Zweite ihnen die schon im Abend bewirkte Freiheit wieder zurückzugeben und sie auf diese Art wieder loszumachen vom harten Joch eines sie überstark drückenden Gesetzes.

[1.123.4] Hier war nun ein guter Rat unter den Vätern etwas teuer; denn für diesmal half auch das Hinabschreien und Steinewerfen nichts. Denn es fing soeben ein heftiger Wind an zu toben, wie es gewöhnlich auf hohen Bergen um die nahe Mitte des Tages zu geschehen pflegt zufolge der Sonnenstrahlenwende und der dadurch bewirkten Erdüberatmung, und da half also kein Schreien etwas. Und das Steinewerfen musste als Signal der Gegenwart der Väter aus demselben Grunde unterbleiben; denn wozu wäre solches gut gewesen, wenn darauf an die dadurch aufmerksam gemachten Kinder kein vernehmbares Wort gerichtet werden konnte?

[1.123.5] Und also standen die Väter da, nicht viel besser wie die sogenannte ‚Verdorrte Hand der Erde‘ selbst, und keiner wusste dem anderen weder zu raten noch zu helfen, und keiner konnte sich in dieser Verlegenheit auch leichtlich erinnern, wie nahe ihnen Der war, dem alle Dinge gar überaus leicht möglich sind; nicht einmal der Henoch konnte sich zeitlich genug finden.

[1.123.6] Abedam aber fragte nach einer kleinen Weile den Asmahael in der Stille, sagend: „Herr, der Du über jeden Namen, von einer menschlichen Zunge gebildet und ausgesprochen, zu unendlich erhaben bist und heilig, über alles heilig, kann ich allerschwächster Wurm vor Dir im Staube des Staubes nach Deiner allergnädigsten Zulassung etwas tun, o so gebiete es mir gnädigst; denn ich bin vollkommen bereit, auf Dein Wort über diese bei fünfhundert Mannshöhen hohe Wand zu den Kindern der Mitternacht hinabzuspringen und ihnen dann alles mündlich zu sagen, was immer die Väter an sie zu benachrichtigen und ihnen zu verkündigen haben.

[1.123.7] Denn siehe, Du unaussprechliche, ewige Liebe, Du mein Gott und Du mein Alles, Dein Wort trägt die ganze unendliche Schöpfung in all ihrer Größe und unendlichen Schwere; wie soll es mich zugrunde gehen lassen können, der ich doch nur ein allerwinzigstes Stäubchen gegen die Erde selbst bin?!

[1.123.8] Daher nur ein Wort von Dir, und ich bin vollkommen bereit, es zu erfüllen! Und sollte es mich auch des Leibes Leben kosten, so bin ich in meinem Herzen zu sehr überzeugt, dass es unendlichmal besser ist, in Deinem Wort am Leibe zu sterben, ja einen tausendfachen Tod zu erleiden, als ohne dasselbe eben tausendfältig zu leben!

[1.123.9] Doch, Herr, nicht mein, sondern allzeit und ewig geschehe nur Dein allerheiligster Wille! Amen.“

[1.123.10] Nachdem aber Asmahael solchen hohen Liebesantrag von Seiten Abedams vernommen hatte, sah Er ihn gar liebevoll an und richtete laut folgende Worte an ihn, sagend nämlich:

[1.123.11] „Abedam, wahrlich, wahrlich sage Ich dir, auf der Erde gibt es keinen zweiten mehr, der dir gliche im Glauben und in der Liebe! Henoch ist groß in der Liebe und Demut und hat darin gefunden schon hier die Unsterblichkeit; doch größer ist der, der durch den Tod das Leben erwirbt, als wer dasselbe gewinnt durch das Leben selbst, – größer der, der sein Leben lässt zum Wohle seiner Brüder und Väter, als wer dieselben nur durch lebendige Worte aus Mir zu beleben strebt. Denn es ist leichter, andere zu unterweisen, als für andere sein Leben zu lassen!

[1.123.12] Wahrlich, wahrlich aber sage Ich dir, Abedam: Wer da je des Leibes Tod finden wird in Meinem Namen und in Meinem Wort, der hat das ewige Leben mit großer Heldengewalt an sich gerissen und ist vollkommen eins mit Mir geworden!

[1.123.13] Allein du, Mein lieber, starker Abedam, siehe, die Zeit, in Meinem Namen oder Wort des Leibes Leben zu lassen, ist noch nicht herbeigekommen, und so sei dir dein unerschütterlicher Wille als ein vollkommen vollbrachtes Werk angerechnet; denn du selbst hast es in deinem Herzen wie aus dir selbst im Glauben, Vertrauen und in aller Liebe zu Mir so gut wie vollends vollbracht. Und darum hast du Mich auch schon ganz gefunden und wirst von nun an ewig nimmerdar von Meiner Seite weichen!

[1.123.14] Aber nun siehe auch, lieber Abedam, Ich habe ja noch andere Mittel, um die schwachen Väter aus dieser Not zu befreien, und kann daher deines Opfers in der Tat leichtlich entbehren! Wohl aber dir, Abedam, dass du Mir treu in deinem Herzen ein solches Opfer gebracht hast! Ich sage dir, du hast Ahbel übertroffen, der nur einmal ist getötet worden, während du den tausendfachen Tod in Meinem Namen nicht verschmähen wolltest; daher sei dir ein tausendfaches Leben in Mir!

[1.123.15] Damit du aber auch ein Wort von Mir empfängst, nach deinem Willen etwas zu tun in Meinem Namen, so gehe hin zum Henoch und heiße ihn zu Mir kommen; denn Ich habe ihm etwas Notwendiges vor all den Vätern zu sagen. Denn so er Mich liebt, muss er ja doch eher zu Mir kommen, auf dass Ich ihn erst dann vollends aufnehmen kann und er dann eins werde in der Liebe zu Mir und allem Leben daraus, da er dadurch erst werde ein Held gleich dir und vollziehe dann im Angesichte der Väter Meinen Willen. Amen.“

[1.123.16] Und der Abedam ging hin zum Henoch und verkündigte ihm Asmahaels Willen.

[1.123.17] Henoch aber begab sich alsogleich hin zum Asmahael und sagte: „O Herr! Sehe mich Schwächsten gnädigst an, und jede Fiber meines ohnmächtigen Wesens sei Dir, mein Gott und mein Herr und mein überheiliger, ewiger Vater, ewig willensuntertan! Amen.“

[1.123.18] Und der Asmahael ergriff die rechte Hand Henochs und sagte dann laut zu ihm: „Henoch! Der dir diese Hand geschaffen hat aus nichts, der stärke sie jetzt dir im Angesichte der Väter. Gehe nun hin an die ‚Verdorrte Hand‘ und belebe die tote, auf dass sie uns zur weichen Brücke werde und zu einem ebenen Pfad zu denen, die da unserer Hilfe am meisten bedürfen; denn nicht der Gesunden, sondern der Kranken willen bin Ich unter euch! Amen.“

[1.123.19] Und der Henoch ging alsbald hin an die Wand und gebot ihr, zu weichen und zu werden zu einem ebenen Pfad zu denen, die da unten schmachten und der Hilfe am meisten bedürfen.

[1.123.20] Und siehe, alsbald stürzte die Wand zusammen, und der ebene Pfad war fertig!

[1.123.21] Es ergriff aber all die Väter ein tiefer Schauer vor des Asmahael unendlicher Macht. Jedoch Asmahael belebte sie von neuem, und alsbald fingen sie in ihrem Herzen an, Gott zu preisen, und lobten dessen Namen ob solcher großen Wundertat, und reisten dann getrost weiter.

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