Am 22. Juli 1841
[1.121.1] Es fragte aber auch der sehr gerne redende Lamech seinen Vater Mathusalah, sagend nämlich: „Höre, Vater, so unsere Väter gar wohl miteinander heimlich Worte tauschen, während der Erzvater Adam solches doch gewisserart allen untersagt hatte, was meinst du denn, – sollen allein wir dieses Gebot unverbrüchlich halten, oder auch die Väter?
[1.121.2] Wenn ich aber übrigens nur einigermaßen recht verstanden habe, so deucht es mich, dass der Adam darinnen keinen Unterschied gemacht hatte. So aber dessen ungeachtet die Väter dennoch miteinander reden und verstehen jegliches Gebot doch besser denn wir, so bin ich der Meinung, dass darob auch wir unbeschadetermaßen miteinander so ganz stille könnten ein paar Worte wechseln, und zwar namentlich wegen Asmahael.
[1.121.3] Denn siehe, es fängt mich nun gar gewaltig im Herzen zu jucken an, über diesen Asmahael sich zu besprechen; ja fürwahr, es kommt mir wohl gar vor, als müsste ich ohne Unterlass von ihm zu reden anfangen.
[1.121.4] Ich sage dir, lieber Vater, dieser junge Mensch fängt an, mich ganz außerordentlich zu herzdrängen! Ja, er kommt mir immer unerforschlicher vor! Man sieht ihm so vom Gesicht gar nichts an, als wäre er so etwas Außerordentliches; aber wenn er zu reden anfängt und sein Wort dann schneller denn ein Blitz tatkräftig zu wirken anfängt, alsdann muss gewiss jedem ganz sonderbar zumute werden!
[1.121.5] Ich muss dir sagen, dass ich ihn schon so liebgewonnen habe, dass es mir nun auch schon gerade also vorkommt, als wäre mein Herz geradezu an das seine angewachsen!
[1.121.6] Siehe, also möchte ich denn stets plaudern von diesem lieben, jungen Asmahael!
[1.121.7] Siehe, wie anspruchslos und wie überaus demütig bescheiden er doch hinter uns mit dem alten, aber doch noch sehr munter scheinenden Abedam daherschreitet! Und siehe, wie wunderbar leicht er nur geht; ja manchmal kommt es mir wahrhaftig vor, als berührte er den Boden mit Seinen Füssen oft gar nicht!
[1.121.8] O Asmahael, du überholder, lieber Fremdling, wie unaussprechlich lieb bist du mir geworden!
[1.121.9] Möchtest du doch auch an meiner wie an Abedams Seite wandeln; wie unaussprechlich glücklich wäre dann ich!
[1.121.10] O Vater, vergebe mir, so ich dir etwa schon lästig geworden bin mit meiner Zunge! Aber was kann da ich darum?! Sagst du doch allzeit selbst: ‚Wo’s im Herzen brennt, da siedet es im Gefäß der Liebe, und im Mund fängt es dann an überzulaufen!‘ Siehe, also auch ist es nun bei mir!
[1.121.11] So du aber auch etwas reden möchtest, da rede nur zu, ich will dir gar gerne mein Ohr leihen; aber nur von Asmahael musst du reden! Amen.“
[1.121.12] Und der Mathusalah ermannte sich und sagte seinem Sohn folgendes: „Mein geliebter Sohn Lamech, höre, obschon es zwar wohl in der Ordnung ist, dass ein Vater belehrt seinen Sohn, entweder so er sieht, dass der unerfahrene Sohn Unkluges und vollends Unbescheidenes tut, oder der Sohn kommt bittend zum Vater, um sich aus dessen Erfahrungsvorratskammer etwas ihm Dienliches zu holen, –
[1.121.13] aber sage und begreife es wohl selbst, was etwa dann zu machen sein möchte, so der Sohn kommt zum Vater und bittet ihn, dass er ihm etwas geben möchte aus der Erfahrungsvorratskammer, der Vater aber alsdann zum Sohn sagen muss: ‚Lieber Sohn, siehe, in diesem Punkt sind unsere Kammern gleich alt, und es hat keine vor der anderen auch nur irgendeinen allergeringsten Vorzug, da unsere Augen zugleich an diesem heutigen Tag einen und denselben Asmahael zum ersten Mal auch ganz zu gleicher Zeit erschaut haben!
[1.121.14] Siehe, was du über diesen höchst merkwürdigen jungen Menschen zu reden weißt, ebendasselbe weiß auch ich; nur ist meine Zunge nicht also beugsam wie die deinige, um die inneren Gefühle über Asmahael dir gleich in wohlverständliche Worte zu wandeln und sie dann stromweise über die Lippen fließen zu lassen.‘
[1.121.15] Damit du aber deinen Vater doch nicht ganz umsonst über Asmahael zu reden sollst aufgefordert haben, siehe, darum ist mir gerade jetzt ein guter Gedanke in den Sinn gekommen, und dieser lautet also:
[1.121.16] Gott hat dem Menschen zwar wohl zwei Augen gemacht und zum Schauen der Außendinge gestellt, aber dessen ungeachtet sieht er mit zwei Augen nicht mehr als mit einem; beide aber doch erleichtern sich gegenseitig den Schaudienst. Also hat Er ihm auch gemacht zwei Ohren, zu vernehmen die Stimme der Außenwelt, und doch mag niemand mit diesen zwei Ohren mehr zu vernehmen als mit dem einen; nur unterstützt da auch das eine das andere. Also auch steht es mit dem Geruchssinn. Eines hilft dem anderen. Aber nur einen Geschmackssinn und nur einen Gefühlssinn hat Gott dem Menschen gegeben, damit er jedes für sich wohl unterscheidend schmecke und empfinde. Siehe, von diesen zwei letzten Sinnen steht jeder für sich unabhängig da! Also steht es auch mit dem Menschen. Das Schauen haben wir gemein wie das Hören und also auch die feinere Wahrnehmung oder den beschaffenheitlichen Eindruck, welchen die Dinge auf uns machen; aber was dann die Beurteilung eines Dinges anbelangt und die Empfindung, da hat ein jeder sein eigenes Feld, danach sich dann auch die Beurteilung und die daraus entstehende Empfindung bildet und artet.
[1.121.17] Siehe, gerade also auch steht es mit uns zweien! Wir haben beide dasselbe gesehen, beide dasselbe gehört und auch sicher beide ganz dasselbe am Asmahael wahrgenommen und gleichen in dem Punkt den Pflanzen und dem Gras, den Gesträuchen und den Bäumen, da alle auch dasselbe Licht, dieselbe Wärme und denselben Regen einsaugen. Aber wie sieht es hernach mit der inneren Verarbeitung und mit dem Produkt aus?
[1.121.18] Siehe, lieber Sohn, da waltet hernach ein gewaltiger Unterschied! Desgleichen auch steht es mit unserer inneren Auffassung, Beurteilung und Empfindung; sie kann gerecht, aber auch ungerecht sein, oder zeitig, oder aber auch zum Öftesten unzeitig. Warum aber sollen wir uns vor der Zeit verderben, so wir uns anstopfen möchten mit unseren unzeitigen Urteilen und unähnlichen Gefühlen daraus?
[1.121.19] Daher ist es vorderhand ja allzeit besser, dass wir diese neuen Pflanzungen in uns eher lassen zur vollen Reife gelangen und dann erst sehen, so wir in uns eine Vollreife gewahren, ob die Früchte den anderen auch werden wohlschmeckend und dann gedeihlich werden!
[1.121.20] Wer da redet über ein Ding, das in ihm noch zu keiner Reife gekommen ist, ist ein Tor; denn jede Rede ist eine Lehre, bald über dies und bald wieder über jenes. Welchen Nutzen aber wird ein unreifer Lehrer oder Redner stiften, oder wen wird er nähren wohl mit seinen unreifsten Früchten?! Oder welchen Segen wird er verbreiten mit seinen unzeitigen Pflanzen, von denen er noch selbst durchaus nicht weiß und auch nicht wissen kann, ob es reine oder unreine sind, vielleicht gar voll tödlichen Giftes?!
[1.121.21] Siehe, wieder also steht es mit uns! Der Same Asmahael hat in uns erst kaum einige schwache Würzlein getrieben; noch kennen wir weder das Blatt noch die Blüte und am allerwenigsten die Frucht – und doch möchten wir uns schon gegenseitig belehren!
[1.121.22] O Sohn, bedenke, was da für eine Lehre herauskommen möchte! Daher lehre ein jeder, das er sieht und hört und irgend wahrnimmt, dass da oder dort etwas ist oder nicht ist, und er hat da genug getan; alles andere lasse er stehen bis zur Reifezeit, da Gott ihn dann schon berufen wird, so in seinem Herzen eine edle Frucht zur Reife gediehen ist, dieselbe auszuteilen an die Brüder. Und ist die Frucht unedel, so wird es auch Gott am besten wissen, wozu sie tauglich ist; denn von Gott aus sind alle Dinge gut. Und darum wollen auch wir eher die Reife abwarten und dann erst reden! Amen.“
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