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61. Demut und Gotteskindschaft

(Am 19. August 1843 von 5 1/2 – 7 1/2 Uhr nachmittags.)

[2.61.1] Der Älteste erhebt sich nun wieder, und wie ihr in eurem Gemüt leicht bemerken könnt, so schickt er sich wieder an, mit mir zu reden. Es sei! Ich habe ihm solches gestattet; also soll er auch reden und so spricht er denn:

[2.61.2] Allererhabenster unter den Gesandten des großen Gottes! Darum du ein Zeitgenosse nach deinem Zeugnis warst auf jener Erde, auf welcher es dem großen Gott gefallen hatte, gleich Seinen Geschöpfen ein Mensch zu sein, um dadurch aller Kreatur die Pforten zum ewigen Leben zu öffnen, – dir sage ich, dass ich deinen Worten auf den möglichen Grund des Grundes nachgespürt, sie sämtlich als recht befunden und meine Weisheit angestrengt habe, um irgendeinen Widerspruch zu finden. Allein ich vermochte auch nicht auf einen Punkt zu stoßen, der mir die große Wahrheit deiner Aussage nur im Geringsten hätte verdächtigen können.

[2.61.3] Ich sehe es nun klar ein, dass man nach deiner Lehre auf jeder Welt die Kindschaft Gottes überkommen kann, so man nur danach handelt und sein inneres Leben sucht in dem Namen des Gottmenschen freizumachen. Ich sehe auch ein, dass das Händeauflegen auf den flammenden Altar nur vielmehr ein äußeres Bild dessen ist, was das menschliche Geschöpf im Grunde des Grundes geistig in sich tun soll.

[2.61.4] Also in dem wäre nirgends auch nur ein allerleisester Zweifel vorhanden; aber ein ganz anderes Ding steckt hier im Hintergrund, und in dieser Hinsicht bin ich noch trotz dieser lichten Welt in einer bedeutenden Dunkelheit, und dieser mir dunkle Punkt lautet also:

[2.61.5] Du hast gesagt, die Demut ist die Grundbedingung zur Erlangung der Kindschaft Gottes; denn aus dieser ausschließlich die Liebe zum alleinigen Gott hervorgeht. Nun aber kann doch niemand ewig je in Abrede stellen, dass da „ein Kind Gottes sein“ doch sicher unendlich mehr sagen will, als wenn man hier auf dieser Welt auch das allerhöchste und allervollkommenste geistige Wesen ist. Hier weiß ich mir nicht zu bescheiden und aufzuklären, ob beim „unter was immer für einer Handlungsbedingung mehr werden wollen“ irgend von einer wahren Demut die Rede sein kann.

[2.61.6] Ich setze den Fall, ich will als Kind Gottes auf der allergeringsten und allerletzten Stufe stehen und will durchaus keine Kraft und keine Macht, sondern allein nur die selige Fähigkeit, Gott den Allmächtigen stets mehr und mehr zu lieben aus allen Kräften eines geistigen Lebens, das wäre doch sicher die geringstmöglichste Forderung im Zustand der Kindschaft Gottes.

[2.61.7] Wenn ich aber dagegen bedenke, dass ich in meinem gegenwärtigen Zustand auch nicht ein Atom gegen die sichere Größe solch eines allergeringsten Kindes Gottes ausmache, so will ich ja doch offenbar in der Erlangung solcher geringsten Kindschaft Gottes notwendigerweise mehr werden. Bei uns heißt eine solche Demut, durch welche ein Mensch irgend mehr werden will, eine schmähliche Kriecherei. Wie ist dann solche geistige Demut vor Gott zu nehmen, wo man doch notgedrungenermaßen entweder im schlimmeren Falle mehr werden will, als man vom Urbeginn der göttlichen Ordnung her war, oder wo man im besseren Falle wenigstens alleroffenbarlichst mehr werden muss. Wenn das Mehrwerden nicht voranstünde, so wäre dein mir vorgezeichneter Weg in jedem Punkt als vollgültig anzunehmen. Da sich aber dieses verhängnisvolle „Mehr“ weder auf die eine, noch auf die andere Art hinwegschaffen lässt, so kann ich die Demut nicht als diejenige Tugend betrachten, welche zur Erlangung der Kindschaft notwendig sein soll, da sie, nämlich diese Tugend, am Ende zufolge des Mehrwerdens doch nur als eine Gleißnerei, Kriecherei und Heuchelei betrachtet werden kann.

[2.61.8] Zu diesem Punkt gesellt sich aber noch eine andere Fraglichkeit und diese besteht darin: Hat irgendein freidenkendes, sich selbst bewusstes und freitätiges Geschöpf das Recht, unter irgendeinem Vorwand mit der Stellung unzufrieden zu sein, welche ihm die allerhöchste Güte und Weisheit Gottes vom Uranbeginn an erteilt hatte? Was ist die Unzufriedenheit? Sie ist fürs Erste die Ungenügsamkeit an dem Gegebenen und eben darum auch der Undank für das Gegebene.

[2.61.9] Nun fragt es sich: Wenn ich durch Liebe und Demut ein Kind Gottes, also ums Unaussprechliche mehr werden will, als ich jetzt bin, wie sieht es da mit meiner Zufriedenheit und Dankbarkeit für das aus, was ich durch die unendliche Gnade Gottes allhier bin?

[2.61.10] Sind die Demut und die Liebe unter solchem Anbetracht wohl genügend, solchem Undank als Äquivalent entgegenzustehen, besonders wenn nicht einmal Gott Selbst mir das unaussprechliche Mehr im Zustand der Kindschaft Gottes hinwegräumen kann?

[2.61.11] Ich meine, du erhabenster Gesandter wirst mich wohl verstehen, was ich damit, wenn schon abgerissen, im klaren Ideengang habe sagen wollen. Ja, wenn du sagst, ich werde als Kind Gottes ums Außerordentliche geringer, schwächer, unvollkommener, als ich hier bin, so ist die Demut ein rechter Weg, die Kindschaft Gottes zu erlangen; aber mit dem Bewusstsein, mehr zu werden in jeder Hinsicht, ist die Demut offenbar, wenigstens für diesen meinen gegenwärtigen Begriffszustand, der unpassendste Weg.

[2.61.12] Denn siehe, bei uns, wie du es sicher aus der Weisheitskraft des Herrn wissen wirst, ist solche unwandelbare Sitte, dass da nie ein Mensch [um irgendein Entgelt] etwas tun darf, sondern das gegenseitige Bedürfnis und die gegenseitige gleiche Bruderliebe müssen für alle Zeiten der Zeiten der alleinige Beweggrund zu handeln bleiben. Wenn ich aber meinen Bruder liebe, auf dass er mir dann einen Dienst erweisen möchte oder mich wenigstens auch lieben solle, wenn ich also durch meine Bruderliebe auch nichts als bloß nur die Gegenliebe verlange oder für eine geleistete Handlung auch nur den kürzesten Dank, so ist das bei uns eine grobe Untugend.

[2.61.13] Wenn ich mich vor jemandem demütige, auf dass er mir nur ein freundliches Gesicht zeigen möchte, so bin ich schon ein Heuchler im ersten geringeren Grad. Kurz und gut, wir kennen kein anderes Handlungsmotiv als das gegenseitige Bedürfnis. Da es Not ist, da wird gehandelt, ob darauf Dank oder Undank erfolgt; ohne Not aber wird keine Hand gerührt und kein Fuß um eine Linie vorwärtsgesetzt. Dadurch bleibt ein jeder Mensch fortwährend gleich in seinem Rang, und keiner kann auf eine andere Weise den anderen überbieten, als allein nur durch eine tiefere Weisheit, durch welche er in den Stand gesetzt wird, alle möglichen Bedürfnisse in seinen Brüdern zu erkennen und nachher also auch die Handlungen einzurichten, dass sie seinen Brüdern ohne das allergeringste Entgelt zugutekommen. Wenn nach solchen Handlungen die bewohltätigten Brüder dem Handelnden entgegenkommen und erweisen ihm da Dankbarkeit und Liebe, so kann er diese der Seligkeit seiner Brüder wegen wohl annehmen; aber ja nicht im Geringsten darum, als möchte er selbst darin irgendeinen Lohn für seine Handlung überkommen wollen. Wenn du nun diese unsere Sitte ein wenig durchachtest, so wirst du, und stündest du noch endlos höher als du stehst, sicher finden, dass sich’s mit der Demut und Liebe zur Erlangung der Kindschaft Gottes durchaus nicht tut.

[2.61.14] Lass mich nichts erlangen, und ich will dir im nächsten Augenblick all diese großen Herrlichkeiten hier zerstören und in einem Loch, das ich mir in das Erdreich bohren werde, gleich einem Wurm wohnen, der da auf unserer Welt geschaffen ist, das Erdreich bis zu einer bestimmten Tiefe zu lockern. Aber um mehr zu werden, will ich gerade den entgegengesetzten Weg einschlagen, und will nicht scheinbar abwärtssteigen, um aufwärts zu kommen, sondern ich will aufwärtssteigen, und es soll vor Gott ein jeder Schritt, den ich tue, ein vollkommen wahrer, aber auch nie selbst dem Anschein nach ein gleisnerischer sein.

[2.61.15] Wer zu mir kommt und will mehr werden, den prüfe ich, ob er für das Mehr Fähigkeiten besitzt; besitzt er sie, so werde ich ihm eine höhere Stelle einräumen, darum er mit aufrichtigem Herzen zu mir gekommen ist. Wer aber zu mir kommt, fällt sogleich auf sein Angesicht nieder und spricht: Höre mich an, Ältester! Ich will glückselig sein, so du mich nur hinaus in die entlegensten Baumreihen als den letzten Platzreiniger anstellst. Da spreche ich zu ihm: Hebe dich hinweg! Du bist eines schleichenden und kriechenden Gemütes; als Letzter wolltest du hier angestellt werden, um dich nach und nach hereinzuschleichen bis ins oberste Stockwerk. Hier aber kann kein kriechendes Gemüt seine Stelle finden, daher demütige dich ganz und verlasse ohne je eine Aussicht, hier eine Stelle zu bekommen, sogleich diesen meinen Wohnort. Denn warum wolltest du nicht aufrichtig und der Wahrheit gemäß handeln? Hättest du dies getan, so hätte ich dich geprüft; also aber sei dir, solange du ein Gleisner bleiben wirst, auch der entfernteste Zutritt zu diesem meinem Wohnhaus untersagt.

[2.61.16] Ich meine, gegen diese Handlungsmaxime kann der vollkommenste Weise nichts einwenden, denn die Wahrheit ist der Grund aller göttlichen Ordnung, und wider diese soll kein freitätiges Wesen sich verstoßen, solange es seines Gottes würdig bleiben soll.

[2.61.17] Ich will mit diesen meinen für mich klaren Ansichten dir freilich wohl nicht vorgreifen; aber das Recht hat aus dem Grund der inneren Wahrheit ein jedes von Gott freidenkend und freiwollend erschaffene Wesen, demjenigen seine innere Ordnung aufzuschließen, der es auf den Weg einer anderen Ordnung zu überbringen und zu übersetzen den guten Willen hat. Daher wirst du denn mir diese meine Äußerung sicher zugutehalten und wirst mir darüber, wie ich es erwarte, auch sicher einen genügenden Bescheid geben.

[2.61.18] Es ist möglich, dass ich das Wesen der Kindschaft Gottes noch zu wenig aufgefasst habe. Ohne dem aber, meine ich, dürfte es wohl schwer halten, hier einen zu billigenden Mittelweg zu finden; denn die Wahrheit ist überall nur eine, und diese ist der sich selbstbewusste Grund eines jeden geschaffenen Menschen. Zwei Wahrheiten aber können ewig nie nebeneinander bestehen, da die eine die andere aufheben sollte; daher können auch nicht du und ich zugleich recht haben. Soll aber dieses der Fall sein, so ist nur mein Unverstand noch dazwischen, dass ich deine Wahrheit nicht sogleich als die meinige anzuerkennen vermag. Daher wird es für mich notwendig sein, dass du dich deutlicher ausdrückst, und zwar fürs Erste, was da im Grunde des Grundes ist die Demut, dann die wahre Liebe und die dadurch zu erlangende Kindschaft Gottes. Solches also tue mir kund, und ich werde nach vollkommen erkannter Wahrheit ein jedes Häkchen deines Wortes allergetreuest in diesem meinem ganzen Haus beobachten, darum bitte ich dich für mich und für mein ganzes Haus!

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