(Am 29. Juli 1843 von 5 1/4 – 7 Uhr nachmittags.)
[2.52.1] Wir wären an Ort und Stelle. Seht euch daher nur recht wacker um und gebt mir dann kund, was alles ihr hier seht; aber wohlgemerkt, so ihr die Gegenstände hier sehen wollt, da müsst ihr in dem roten Licht verbleiben. Im weißen Licht würdet ihr da ebenso wenig wie auf der vorhergehenden Galerie ausnehmen.
[2.52.2] Ich merke zwar eine Frage in euch, die etwas sonderlich klingt. Sie passt freilich nicht so ganz wohlgemessen hierher; aber weil sie schon einmal da ist, so wollen wir auch um eine genügende Antwort besorgt sein. Also aber lautet die Frage, und also fragt ihr in euch und sagt:
[2.52.3] Lieber Freund und Bruder! Es ist alles erhaben, schön, wahr und gut, was wir hier sehen, und ganz besonders, was wir aus deinem Munde vernehmen. Aber eine Sache ist fortwährend dabei, der wir nicht so ganz eigentlich auf den Grund kommen können, und diese Sache gibt sich soeben durch diese unsere, aber dennoch von dir uns bekanntgegebene Frage kund.
[2.52.4] Siehe, wir eigentlich fragen und reden und werden ebenfalls als persönlich redend und fragend angeführt; und dennoch reden und fragen wir nicht, sondern du bist allzeit derselbe, der sowohl für sich, aus sich, wie für uns ebenfalls aus sich spricht. So siehst du nicht selten eine Frage in uns, von der wir noch keine Ahnung haben. Ebenso gestaltet gibst du uns unsere eigenen Erörterungen und Urteile kund, von denen uns noch eben gar nicht zu viel geträumt hat. Du fragst uns, und wir antworten dir aus deinem eigenen Munde; denn wenn es im Ernst auf uns zur Beantwortung ankäme, da würde es sehr viel Stummheit absetzen, und wir wüssten auf gar viele deiner Fragen keine Silbe zu antworten.
[2.52.5] Sage uns daher, lieber Freund und Bruder, wie wir uns solches zusammenreimen sollen! Wie reden wir aus dir, und wie haben wir dir jetzt selbst diese gegenwärtige Frage gestellt, von der wir vor einigen Augenblicken noch nicht eine allerleiseste Regung in uns verspürt hatten?
[2.52.6] Meine lieben Freunde und Brüder! Da will ich euch bald aus eurem Traum helfen. Wenn ihr einem sehr erfahrenen und geschickten Botaniker die Wurzel einer Pflanze zeigt, so wird er euch sogleich die Gestalt der Pflanze beschreiben oder sie aufzeichnen von Punkt zu Punkt. Und wenn die Pflanze dann vor euren Augen gebildet sein wird, so werdet ihr sie auch alsbald für eine schon gar wohl bekannte erkennen.
[2.52.7] Wenn ihr irgendein Gerippe, also ein bloßes Knochenskelett einem geschickten Anatomen gebt, so wird er aus der Gestaltung der Knochen euch ganz wohltreffend die Gestalt der einstigen Person anzugeben imstande sein; denn solches erkennt er aus der Lage und aus der Verbindung der Knochen. Wenn er ein geschickter Wachsbildner ist, so wird er die Knochen mit dem Wachs so geschickt zu überziehen imstande sein, dass ihr die völlig lebende Person, die euch bekannt war, wie neu auferstanden vor euch werdet zu erblicken vermeinen.
[2.52.8] Ein geschickter Chemiker, dem ihr eine zusammengesetzte Flüssigkeit zeigt, da ihr nicht wisst, woraus sie zusammengesetzt ist, wird euch mit der leichtesten Mühe von der Welt die Flüssigkeit in ihre früheren Teile zerlegen, und ihr werdet dann die Teile bald erkennen, wessen Geistes Kinder sie sind, ob Schwefel, ob Kalk u.a.m.
[2.52.9] Wenn ihr ein Samenkorn irgend findet und wisst nicht, von welcher Pflanze es ist, da mögt ihr zu einem sehr geschickten Gärtner hingehen und ihm zeigen das Samenkorn, und er wird es euch auf den ersten Augenblick zu sagen wissen, von welcher Pflanze es herrühre, und wird euch auch eine allfällig vorrätige ähnliche Pflanze zeigen, welche solchen Samen trägt.
[2.52.10] Könntet ihr bei all diesem nicht auch fragen und sagen: Ja, wie ist denn das? Wie kann man sich so höchst geringe Merkmale merken und dann aus selben auf das Vorhergehende oder Nachfolgende mit Bestimmtheit schließen?
[2.52.11] Seht, meine lieben Freunde und Brüder, das geht alles gewisserart von der Wurzel aus. Dass ich eure Fragen weiß und kundgebe wie auch eure Antworten, liegt darin, weil ich als ein purer Geist ein geistiger Botaniker, ein geistiger Anatom, ein geistiger Chemiker und ein geistiger Gärtner bin und erkenne dann aus den euch noch unbekannten Wurzeln in euch, welche Frage mit der Zeit aus denselben zum Vorschein kommen würde. Als Anatom durchschaue ich euer inneres Gebäude und erschaue mit großer Leichtigkeit die Wechselwirkungen eurer Gefühle und die aus ihnen hervorzugehenden Urteile und Schlüsse. Als Chemiker verstehe ich diejenigen Urteile in euch, die noch chaotisch und verworren untereinandergemengt sind, sobald klassisch zu sondern und kann sie euch dann schon in der gerechten Ordnung vorführen. Als Gärtner kenne ich allen Samen in euch, welcher da besteht in den verschiedenartigen Worten und Begriffen. Ihr wisst es noch nicht, was aus ihnen hervorwachsen wird, wenn sie dem inneren lebendigen Boden des Geistes entkeimen werden. Ich aber bin ein Gärtner und kann euch im Voraus alle eure geistigen Pflanzenarten zeigen, welche aus diesem oder jenem Samen hervorgehen müssen, die ihr bei weitem noch nicht erkennt.
[2.52.12] Daher kann ich wohl für euch fragen und antworten also, wie ihr im Grunde selbst fragen und antworten würdet. Im Grunde tut ihr aber auf der Erde ja beinahe immer dasselbe.
[2.52.13] Wenn ihr jemanden um etwas fragt, so tut ihr solches darum, weil ihr in euch wohl den Keim, aber nicht die erwachsene Pflanze der Antwort gewahrt; und wenn euch dann der Gefragte eine Antwort gibt, so ist das nicht etwa seine Antwort, sondern eure eigene aus des anderen Munde. Bei dem Gefragten war sie schon ausgewachsen; aber bei euch war sie es noch nicht. Nach der Erteilung der Antwort von Seiten des Gefragten aber habt ihr sie bald verstanden und von ihr das Gefühl überkommen, als wäre sie auf eurem Grund und Boden gewachsen.
[2.52.14] Desgleichen ist es auch der Fall, so euch jemand um etwas fragt oder euch auch bei gewissen Gelegenheiten eine Frage in den Mund legt, wie ihr zu sagen pflegt. Da werdet ihr auch dann sobald antworten und fragen; aber nicht, als wäre die Antwort euer oder die Frage, sondern sie ist dessen, der sie euch gab. Denn das wird doch etwa sicher sein, dass ihr niemanden um etwas fragen werdet, was ihr ehedem wisst, und werdet auch niemandem eine Antwort geben, der euch um nichts fragt.
[2.52.15] Die Frage aber ist ein Bedürfnis, welches wie eine Sprosse der Antwort vorangeht. Wenn aber die Frage eine Sprosse ist, wäre es da nicht der größte Unsinn zu behaupten, die der Sprossen folgende Blüte und Frucht, wenn sie durch die von außen einwirkende Wärme entwickelt und gereift wird, gehöre darum einem anderen Baum an als dem nur, auf dem die Sprosse zum Vorschein kam?
[2.52.16] Ich meine aber, ein jedweder, der da fragt, fragt aus dem Bedürfnis, um eine ihm genügende Antwort zu erhalten. Wenn aber die Antwort für ihn ein Bedürfnis ist, so gehört sie doch sicher in seine Lebenssphäre und nicht in die eines anderen, dem sie kein Bedürfnis mehr sein kann, weil er sie schon hat.
[2.52.17] Ich meine, aus diesem werdet ihr wohl mit leichter Mühe zu entnehmen imstande sein, wie es zwischen uns geistig zugeht, dass ich für euch frage, als wenn ihr fragen würdet, und also auch für euch antworte, als wenn ihr selbst antworten würdet.
[2.52.18] Ihr würdet auch selbst so fragen und antworten, wie ich aus euch für euch frage und antworte, so eure Fragen und Antworten schon reif wären. Da sie aber noch nicht reif sind, und wir nicht Zeit haben, auf deren Reife in euch zu warten, so muss ich ja gleichwohl aus euren Wurzeln, aus eurem noch mannigfaltigen Chaos und aus euren Sämereien im Voraus fragen und antworten, gerade also, als tätet ihr solches selbst.
[2.52.19] Ich meine, dass wir auch mit diesem freilich wohl etwas kitzligen Punkt klärlich zu Ende sein möchten, daher sollt ihr euch ob künftiger ähnlicher Erscheinungen nicht mehr stoßen, sondern ganz wohlgemut drauflos auf alles achtgeben; denn hier bin ich ja, wie schon im Anfang bemerkt, euer Gast, daher mag ich ja wohl von dem eurigen nehmen und es euch vorführen. Klingt euch solches auf eurer Erde noch ein wenig sonderbar, so macht euch im Ernst nichts daraus, denn im Geist ist das die gewöhnliche Art zu konversieren. Da besteht keine Sprache in Fragen und Antworten, sondern im gegenseitigen vollkommenen Erkennen, und so redet da immerwährend einer aus dem anderen, wie auch einer aus allen und alle aus einem. Wenn ich denn auf diese Weise aus euch antworte und frage, so tue ich nichts geistig Ungewöhnliches, oder wie ihr sagt „Unnatürliches.“ Seht euch daher auf dieser elften Galerie oder in diesem zehnten Stockwerk nur recht um, und es wird da schon wieder so manches zu fragen und zu antworten geben.
Kein Kommentar bisher