(Am 5. Mai 1843 von 4 3/4 – 6 3/4 Uhr nachmittags.)
[2.5.1] Seht, wie diesmal noch reichhaltigere Scharen im höchsten Glanz uns entgegenziehen! Und wenn ihr ebenfalls eure Ohren öffnen wollt, so werdet ihr auch große Gesangschöre vernehmen, wo das Wort in sich selbst als die höchst allervollkommenste Musik aller Musiken zu vernehmen ist.
[2.5.2] Ihr denkt hier freilich wohl nach, wie solches möglich sei. Ich aber sage euch: Es ist nichts leichter möglich wie auch nichts geistig ordnungsmäßiger als eben die Musik des Wortes. Warum denn? Wenn ihr euer artikuliertes Wort hier aufstellt, welches an und für sich nur die äußerste Rinde des eigentlichen wahren Wortes ist, welches ganz inwendig in dem äußeren Wort ist, so wird es mit der musikalischen Darstellung des Wortes wohl ein wenig schwer gehen. Aber wenn ihr auf den eigentlichen Grund des Wortes zurückgeht, so werdet ihr die Sache ganz natürlich ordnungsmäßig finden.
[2.5.3] Was aber ist der Grund des Wortes? Der erste Grund ist natürlich wie von allem so auch vom Wort – die Liebe. Wie spricht sich aber die Liebe inwendig aus? Die Liebe spricht sich stets mit einem begehrenden Zug aus, das heißt, sie will alles an sich ziehen! Dieser edle Zug sieht nach allen Seiten um sich herum, und was seinem Auge begegnet, das ergreift er in der Art, wie es ist, und bemüht sich, den erschauten Gegenstand sich stets näher zu bringen und endlich gar mit sich zu vereinen.
[2.5.4] Dieser Zug wird bei euch die Begierde genannt. Was liegt denn eigentlich in dieser Begierde? Nichts anderes, als sich stets mehr und mehr zu erfüllen mit dem, was eben dieser Begierde vollkommen harmonisch zusagt. Diese Begierde ist aber somit auch eine fortwährend lebendige Empfindung, durch welche eben die Begierde in sich das Bedürfnis wahrnimmt, sich stets mehr und mehr zu erfüllen.
[2.5.5] Nun habt Acht! Die Liebe zum Herrn und daraus zum Nächsten empfindet demnach das Bedürfnis nach dem Herrn und nach allem dem, was der Herr ist.
[2.5.6] Böse Liebe aber ist, wie ihr wisst, in allem das Gegenteil. Wenn aber die gute, edle Liebe in sich die stets wachsende Erfüllung mit dem empfindet, was ihr ein einziges Bedürfnis ist, so fühlt sie in sich solche Sättigung. Und diese Sättigung ist das sich wonniglich selbstbewusste Gefühl, welches eben durch seine Sättigung und die aus dieser Sättigung bewirkte Lebenstätigkeit das Licht der Liebe in sich selbst hervorbringt. In diesem Licht wird alles in sich Aufgenommene wie plastisch und geht in harmonische Formen erhabenster Art über.
[2.5.7] Aus dem Bewusstsein der Sättigung und aus der Anschauung der lebendigen Formen in sich geht dann erst jenes wonnige Gefühl hervor, welches ihr unter dem Begriff „Die Seligkeit des ewigen Lebens“ kennt.
[2.5.8] Nun gebt ferner Acht! Wenn die lebendige Liebe einmal auf diese Weise gesättigt und in ihr Licht übergegangen ist, so findet sie dann ein zweites Bedürfnis, nämlich die Mitteilung. Und diese Mitteilung ist dann gleich der Nächsten- oder Bruderliebe, welche aber nie eher vollkommen da sein kann, als bis der Mensch in seiner Liebe zum Herrn eben vom Herrn diese gerechte Sättigung überkommen hat.
[2.5.9] Daher ist auch die wahre Ordnung der Nächstenliebe nur diejenige, so jemand seinen Bruder aus dem Herrn liebt. Im Gegenteil aber, wenn jemand den Herrn liebt aus seinen Brüdern, ist das dann eine umgekehrte Ordnung, welche mit der ersten Ordnung in keinem harmonischen Zusammenhang steht. Warum denn? Weil es doch hoffentlich natürlicher ist, in Dem alles ist, auch alles zu suchen, als in dem, da noch bei weitem nicht alles ist, das vollkommenste Alles zu suchen. Oder noch deutlicher gesprochen:
[2.5.10] Es ist doch sicher geordneter, in Gott alle seine Brüder zu suchen, als in seinen Brüdern den unendlichen Gott! In Gott wird sogar ein jeder alles finden, aber in seinem Bruder dürfte es wohl manchmal sehr stark im Zwielicht stehen, das allerhöchste Wesen Gottes zu finden. Er findet es wohl auch; aber es ist ein großer Unterschied zwischen dem Finden und Finden.
[2.5.11] Diesen Unterschied könnet ihr irdischermaßen also bemessen, als so ihr da hättet ein gutes Fernrohr. Seht ihr am rechten Ort durch dasselbe, d. h. dass ihr das große Objektivglas nach außen wendet und die kleinen Okulargläser ans Auge setzt, so werdet ihr damit die Gegenstände, die ihr beschaut, auch in der natürlichen Vergrößerung finden; denn hier schaut ihr wie aus dem Zentrum des Objektivglases Strahlenweite hinaus. Wenn ihr aber das Fernrohr umkehrt, so werdet ihr zwar wohl auch diejenigen Gegenstände erblicken, welche ihr früher erblickt habt; aber diese Gegenstände werden ums eben so Vielfache verkleinert erscheinen, als sie ehedem vergrößert dastanden, und ihr werdet euch eine ganz entsetzlich große Mühe nehmen müssen, wenn ihr nur einigermaßen entfernte Gegenstände werdet erblicken und dieselben völlig erkennen wollen.
[2.5.12] Würdet ihr fragen, ob das geistig genommen gesündigt ist oder nicht? O nein! Gesündigt ist es durchaus nicht. Denn wenn ihr durch ein umgekehrtes Fernrohr die Gegenden betrachtet, so werden sie euch auch gar schön und wunderlieblich vorkommen, nur wird es euch, wie gesagt, sehr viele Mühe kosten, sie nur einigermaßen zu erkennen als das, was sie sind.
[2.5.13] Also ist es auch mit der Liebe zum Herrn aus dem Nächsten. Der Herr ist wohl in einem jeden Bruder, denn Er ist ja das Leben Selbst in einem jeden, aber im kleinsten Abbild, also wie der Mensch selbst des ganzen unendlichen Himmels kleinstes Abbild ist oder – der Mensch ist ein Himmel in kleinster Gestalt.
[2.5.14] Wer aber aus dem Herrn den Bruder liebt, der schaut aus dem Zentrum des Strahlenbrennpunktes, vom Objektiv seines Fernrohres ausgehend, alle seine Brüder liebend an und sieht da in seinen Brüdern viel mehr, als was er ehedem gesehen hat.
[2.5.15] Ehedem sah und gewahrte er eigentlich vielmehr, dass in seinen Brüdern ein göttlicher Funke wohne, und sah somit eine Menge göttlicher Fünklein. Jetzt aber sieht er in seinen Brüdern, dass der Herr in ihnen alles in allem ist, und statt der Fünklein sieht er jetzt große Sonnen in seinen Brüdern flammen, aus deren Licht sich fortwährend neue herrliche Formen gleich wunderbaren Schöpfungen Gottes entwickeln.
[2.5.16] Ich meine, solches dürfte euch nun klar sein, und wir wollen daher jetzt sehen, wie wir unsere Wortmusik aus dem allen herausbekommen werden. Ich sage euch, nichts leichter als nun das. Nur eine Frage müssen wir noch voransenden, und diese ist: Was ist denn eigentlich die Musik in sich? Die Musik, in irdischer Form nur betrachtet, ist nichts als ein durch Tonmittel für die äußeren gröberen Sinne vernehmbar gemachtes und gewisserart verkörpertes Darstellen des inneren harmonischen Gefühls.
[2.5.17] Wenn aber das also dargestellte innere harmonische Gefühl äußerlich dargestellt Musik ist, so wird doch etwa das Gefühl in sich selbst umso mehr die wahre Musik sein, da es der Grund der äußeren Musik ist.
[2.5.18] Wir Geister fühlen in unserer seligen Liebesättigung und denken durch die aus dem Liebelicht in uns entstandenen Formen aus dem Herrn. Dieses Fühlen und Denken ist unsere allergrößte Seligkeit, weil sich eben darin das Leben des Herrn in uns ausspricht.
[2.5.19] Denkt euch nun die Harmonie. Der Herr ist in uns das Grundwort, also der Grundton, unsere Sättigung aus dem Herrn ist das zweite harmonische Intervall, das Licht aus dieser Sättigung ist das dritte harmonische Intervall, die Formen aus dem Licht sind, was ihr Melodie nennt.
[2.5.20] Ihr habt aber in eurer Musik, damit sie vollendeter und ein wohl zusammengreifendes Ganzes sei, einen Kontrapunkt, da ihr eine Melodie auf eine lebendige Weise begleitet und diese Begleitung in sich selbst ebenfalls als ein reines Thema aufgestellt werden kann.
[2.5.21] Wir wollen sehen, ob sich solches auch in unserer Grundmusik vorfindet. Ganz sicher; denn was ist der gegenseitige Ideen- und Formenaustausch oder der Austausch unserer inneren, seligsten Gefühle anderes als ein wahrhaft himmlischmusikalischer Kontrapunkt, da ein seliger Bruder die Seligkeit seines Bruders aufnimmt und dieselbe mit der Seligkeit der anderen harmonisch verbindet, auf welche Weise dann das selige Ineinander-Überströmen und Verbinden und wieder Lösen gleich wird einem nach eurer Art allerkunstvollst gebauten großen himmlischen Oratorium! Versteht ihr nun solches?
[2.5.22] Ihr fragt, ob man dergleichen Musik immer hört? Ich aber frage euch: Wann hört denn ihr auf der Erde eine Musik? – Ihr sagt: Wenn sich Musiker zu einem solchen Zweck vereinen und dann nach dem vorbeschriebenen Zeichen anfangen, ihren Tonwerkzeugen die Töne zu entlocken. – Gut, sage ich euch; also ist es auch mit der Grundmusik in dem Himmel der Fall.
[2.5.23] Bei solchen Gelegenheiten, wo der Herr also wieder einzieht, wie jetzt, wird das selige Gefühl aller himmlischen Geister auf das Höchste getrieben, und diese höchste Stufe des allerseligsten Gefühls spricht sich wie die allerherrlichste Musik aus.
[2.5.24] Im gewöhnlichen Zustand aber spricht sich das Wort also aus wie bei euch. Dessen ungeachtet aber hat dennoch jeder himmlische Geist hier das vollkommene Vermögen in sich, alles, wenn er will, in vollster Harmonie in sich selbst zu vernehmen, wie auch andere vernehmen zu lassen, was er in dieser harmonischen Hinsicht denkt und fühlt.
[2.5.25] So könntest du, A. H. W., ein Tonwerk, das du auf der Erde nur einzeltönig (successio) dichten und erfinden kannst, sogleich in dir selbst wie mit dem größtmöglichsten Orchester aufgeführt vernehmen.
[2.5.26] Ich meine nun, dass euch bereits alles klar sein dürfte. Daher könnt ihr euch nun im Geiste auch mit mir ein wenig vergnügen, wie die herrlichen Harmonien aus den uns stets näher kommenden seligen Scharen an unser Ohr dringen.
[2.5.27] Seht aber nun auch unseren Prior ein wenig an, wie der sich aus lauter überseliger Wonne nicht mehr zu raten und zu helfen weiß und soeben den Herrn fragt, was solches denn doch alles zu bedeuten habe. Der Herr aber spricht zu ihm: Mein geliebter Sohn, habe nur noch eine kleine Geduld und empfinde der Seligkeit ersten Grad; an Ort und Stelle soll dir alles klar werden. Wir wollen eher die Stadt erreichen und dann erst in der Stadt selbst das Weitere abmachen.
[2.5.28] Sieh aber die erste kleine Schar, die Mir entgegenkommt, und rate, wer diese sind, aus denen die Schar besteht?
[2.5.29] Der Prior spricht: O Herr! Woher sollte ich das aus mir nehmen? Dass es überselige Brüder und Engel sind, das ist gewiss; wer sie aber namentlich sind, das könnte ich wohl nimmer erraten.
[2.5.30] Der Herr spricht: Nun, so will Ich dir es denn kundgeben: das sind Meine Brüder. Die ersten vorderen zwei sind der dir sicher wohlbekannte Petrus und der Paulus, hinter dem Petrus einhergehend siehst du Meinen lieben Johannes, hinter dem Johannes siehst du den Matthäus und Lukas. Der Markus aber folgt uns und war derjenige, der euch zuerst von Mir gesandt aufsuchte. Und die noch mehr rückwärts Folgenden sind die anderen Apostel. Doch nun nichts mehr weiter, sondern wie gesagt in der Stadt, Mein geliebter Sohn, wird erst die Enthüllung folgen!
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