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37. Das vierte Stockwerk und dessen Entsprechung. Der gewöhnliche Mensch und der ungewöhnliche Mensch

(Am 6. Juli 1843 von 4 3/4 – 6 Uhr nachmittags.)

[2.37.1] Hier sind wir schon auf der fünften Galerie oder in dem vierten Stockwerk. Was erblickt ihr hier, das euch gar stark unterschiedlich von der vorigen Galerie vorkommt? Ihr sagt: Das Unterschiedliche, was uns hier besonders auffällt, besteht in einer weißen, ziemlich hohen Pyramide, die sich da ebenfalls wieder in der Mitte der Säulenrondeaus befindet. Und die Spitze der Pyramide ist, für uns zum ersten Mal merkwürdig genug, mit einer kleinen, einen nackten Menschen vorstellenden Statue geziert. Und diese Statue hat eine rötlich-weiße Farbe und ist in ihrem verjüngten Maßstab so vortrefflich geformt, dass man gerade glauben möchte, sie habe Leben. Solange wir bis jetzt auf diesem Weltkörper uns befinden, haben wir eine ähnliche Darstellung noch nicht entdeckt.

[2.37.2] Was das Übrige dieses vierten Stockwerkes oder dieser fünften Galerie betrifft, so unterscheidet es sich im Wesentlichen eben nicht so viel mehr von der unteren Galerie, nur dass der Fußboden dieser Galerie von flammend blauer Farbe ist, die Säulen von rötlich-weißer wie die Statue auf der Spitze der Pyramide, und die beinahe ins Dunkelrote gehende feste Wand des Hauptgebäudes ist das ziemlich Unterschiedliche von der vorigen Galerie. Aber wir müssen es fürwahr bekennen, dass wir von dem großen Glanz und von der Farbenpracht desselben schon so abgestumpft sind, dass wir auf dergleichen Unterschiede eben nicht mehr die größte Aufmerksamkeit verwenden. Aber was da dieses Zierakulum des Säulenrondeaus betrifft, so ist es uns überaus merkwürdig, da wir dergleichen, wie gesagt, auf diesem Weltkörper noch nicht gesehen haben. Es wird sicher nicht bloß als eine Zierde da sein, sondern wird haben einen guten Sinn, und diesen möchten wir in nähere Erfahrung bringen.

[2.37.3] Gut, meine lieben Freunde und Brüder, eure Bemerkung und euer Wunsch ist recht, vollkommen und billig, und so hört mich denn an; ich will die Bedeutung dieses Zierakulums in euch selbst ausfindig machen. Was bedeutet wohl die Pyramide? Ich habe euch die Bedeutung davon schon bei einer anderen Gelegenheit kundgetan. Wollt ihr aber die Bedeutung, wie sie hier gar wohl gegründet ist, herausbringen, so betrachtet, wie eine Pyramide gestaltlich gebaut und wie da geartet ist ihr Zweck, und ihr werdet dadurch schon einen ganz tüchtigen Wink über die Bedeutung dieses Zierakulums in euch selbst erschauen.

[2.37.4] Die Pyramide ist zuunterst breit und endet zuoberst in einer Spitze; also soll auch das gerechte demütige Leben des Menschen sein. Wie aber das Leben des Menschen sich zu arten anfängt, haben wir in den vorigen Galerien an dem Baum gesehen, wo der Baum aus einem gar kleinen Samenkörnchen sich stets mehr und mehr in seinen Ästen und Zweigen ausbreitet. Also breitet sich auch der Mensch aus in seinen verschiedenen Grundanlagen und daraus hervorgehenden mannigfaltigen Erkenntnissen, aber damit auch mit allerlei gearteten Begierden verbunden.

[2.37.5] Was ist aber mit diesem ausgebreiteten Menschen mit der Zeit und in der Zeit? Er wird aus seinem schwankenden Boden hinausgenommen und eingegraben hinter der Stätte der Gräber, allda die Probealleen sind. Oder verständlich gesprochen: Alles, was der Materie gehört, wird von der Materie wieder verschlungen, und es kümmert sich niemand um diejenigen Früchte, welche die von der Materie aufgenommene Materie noch eine Zeit lang hervorbringt. Es werden nur diejenigen Früchte als gehaltvoll aufbewahrt, welche der Baum in den Gefäßen trug.

[2.37.6] Seht, also ist es auch mit dem Menschen. Was er Gutes gewirkt hat in der Zeit seines Lebens, welches da glich einem ausgebreiteten Baum, das wird aufbewahrt. Wenn aber der Mensch stirbt, so wird sein Leib eingegraben und somit alle seine weltläufigen Erkenntnisse mit ihm. Bleibt der Leib ohne Fruchttragung im Grab? O nein; auf seinen vielen Ästen und Zweigen erwächst noch eine Menge Würmer, die sich nach und nach über ihren sie erzeugenden Baum selbst hermachen und ihn dann ebenso nach und nach bis auf den letzten Tropfen aufzehren. Die Würmer selbst aber haben schon wieder andere Gäste in sich, die sie nach und nach in den Schlamm der Erde und endlich in die Erde selbst verwandeln.

[2.37.7] Das ist das Bild eines gewöhnlichen Weltmenschen. Durch diese Pyramide aber wird ein ungewöhnlicher Mensch dargestellt. Aber dieser ungewöhnliche Mensch stellt gerade einen Menschen vor, wie er vom Grunde des Grundes aus sein soll. Wie denn?

[2.37.8] Der sich ausgebreitete Mensch fängt an, seine Erkenntnisse und seine Begierden fortwährend mehr und mehr auf einen Punkt zu vereinen, und dieser Punkt ist Gott in der Höhe! Je mehr er dahin blickt zu Dem, der ihn erschaffen hat zu einem freien Leben, in desto stets enger werdende Kreise werden seine Erkenntnisse und Begierden getrieben und gezogen; und das so lange fort, bis der Mensch die Spitze oder den Kulminationspunkt der Demut aus seiner völligen Selbstverleugnung in all seinen weltlichen Begierlichkeiten erreicht hat.

[2.37.9] Was wird dann die Pyramide für den sich auf der Spitze der Demut befindlichen Menschengeist? Sie wird das, was sie war bei den alten Ägyptern, nämlich ein Grabmal für alle seine für die Welt gänzlich abgestorbenen Erkenntnisse, Begierlichkeiten und daraus hervorgehenden Leidenschaften.

[2.37.10] Was aber erschauen wir hier über der Spitze der Pyramide? Eine überaus wohlgebildete kleine Gestalt eines Menschen von rötlich-weißer Farbe. Seht, ein gar herrlich überaus treffendes Bild der Wiedergeburt des Menschen! Aus der Demut und der völligen Selbstverleugnung, also aus der Spitze der Pyramide geht er hervor. Wodurch ist er in die Spitze gelangt? Das zeigt seine Farbe; durch Glauben und Liebe zu Gott! Und seine kleine aber vollkommene Gestalt besagt so viel, als der Herr einst Selbst gesagt hat zu uns, Seinen Jüngern: „So ihr nicht werdet wie die Kindlein, da werdet ihr nicht eingehen in das Reich Gottes!“

[2.37.11] Die außerordentlich weich gehaltene Plastik bezeigt die Sanftmut; die Festigkeit des Materials, aus dem die kleine Statue geformt ist, aber bezeigt, dass der Mensch erst in solch einer wahren Wiedergeburt des Geistes in die unwandelbare Festigkeit des ewigen Lebens gediehen ist.

[2.37.12] Der flammende blaue Boden bezeichnet dann ebenfalls den zwar einfachen, aber beständigen Grund zum ewigen Leben. Die mit der Statue gleichfarbigen Säulen aber bezeichnen ebenfalls die tragenden Stützen, welche da sind der wahre lebendige Glaube an Gott den Herrn und daraus die Liebe zu Ihm.

[2.37.13] Seht, das ist die überaus sinnige Bedeutung dieses Zierakulums. Begeben wir uns aber nun, da wir solches wissen, sogleich in die sechste Galerie oder in das fünfte Stockwerk. Alldort werden wir wieder auf einen höheren Grad der Weisheit der Bewohner dieses Zentralgebäudes stoßen.

[2.37.14] Ihr möchtet wohl gern einen Blick auf die anwesenden Bewohner im Inneren dieses vierten Stockwerkes machen. Ich aber sage euch: Lasst euch solch eine Begierde vergehen, denn ihr würdet hier noch weniger als in den früheren Galerien solch einen zu erhaben schönsten Anblick vertragen. Zur rechten Zeit aber werden wir schon ohnehin in einen näheren Konflikt treten mit den Bewohnern dieses Gesamtgebäudes; und so wollen wir nicht Säumens machen, sondern uns, wie gesagt, sogleich begeben in den fünften Stock oder auf die sechste Galerie.

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