(Am 4. Dezember 1843 von 4 1/4 – 5 3/4 Uhr abends.)
[2.119.1] Ein guter Landschaftsmaler und zugleich großer Freund von schönen Landpartien kommt von solch einer Landpartie nach Hause. Die Gegend aber, die er bei dieser Landpartie gesehen hat, gefällt ihm so überaus wohl, dass er für immer in derselben sich aufhalten möchte. Seine Geschäfte aber lassen ihm solches nicht zu. Was bleibt ihm daher übrig, um sich doch wenigstens dem Schein nach in dieser für ihn so herrlichen Gegend zu befinden? Er malt diese Gegend auf die zwei leeren bedeutend großen Wände seines Wohnzimmers, und das nach seiner großen Kunstfertigkeit so vortrefflich, dass ein jeder, der ihn besucht, sich hoch verwundernd augenblicklich die herrliche, allgemein bekannte schöne Gegend erkennt.
[2.119.2] Frage: Wo hat denn unser Maler das Vorbild für diese Gegend hergenommen? Hat er etwa irgend Kupferstiche vor sich gehabt? Oder hat er selbst an Ort und Stelle früher die Gegend konturmäßig aufgenommen? Nein, weder eins noch das andere, sondern er hat die lebendige Kontur der Gegend in seiner Phantasie festbehalten und sie hier auf der Wand getreu wiedergegeben.
[2.119.3] Das ist ganz richtig, und ein jeder Mensch sieht davon die Möglichkeit ein, aber sicher sieht es nicht ein jeder Mensch ein, auf welche Weise unser Maler die schöne Gegend in seiner Phantasie auf diese Wand gebracht hat. Hier fragt es sich also: Wie und auf welche Weise hat denn dieser Maler die Gegend in seiner Phantasie auf die Wand gebracht? Seht, das ist ein gar wichtiger Lebensprozess und besagt gar viel; daher wollen wir ihn auch ein wenig näher beleuchten. Wir haben bei der Gelegenheit der Beschauung unserer Zentralsonne so klar als möglich kennen und einsehen gelernt, was alles in dem Geist des Menschen vorhanden ist. Denn wäre es nicht in dem menschlichen Geist vorhanden, woher wohl könnte er von dem je eine Idee fassen und sich irgendeine Vorstellung machen, was noch nie ein sterbliches Auge geschaut hat?
[2.119.4] Nun aber kann der Mensch in sich selbst zu unbegreiflich hohen und übersinnlich geistigen Anschauungen gelangen, und so muss er dann ja alles das in sich haben, was je seine Phantasie hervorbringen kann.
[2.119.5] Die Phantasie eines Menschen aber kann rein und unrein sein. Rein ist sie dann, wenn, freilich wohl selteneren Falles, der unsterbliche Geist des Menschen in seinem Leib schon so absolut dasteht, dass seine reinen Bilder nicht durch die Bilder der Außenwelt getrübt und verunreinigt werden. So kann auch die Phantasie durch die Auffassung bloß äußerer Bilder rein sein, wenn sie durch die Kraft der Seele die geschauten Bilder festhält und sie dann bei Gelegenheit naturgetreu wiedergibt. Unrein aber ist die Phantasie, wenn fürs Erste sich der Geist noch zu sehr passiv in seinem Leib sowohl zu seinen inneren Bildern wie zu denen der Außenwelt verhält, allwo sich dann alles durcheinandermengt, Geistiges und Naturmäßiges, und wenn er ein Phantasiebild aufstellt, niemand daraus klug werden kann, was es so ganz eigentlich vorstellt, ob Geistiges oder Naturmäßiges, zu welcher Klasse von unreinen Phantasiebildern alle jene mittelalterlichen mystischen Obszönitäten gehören, laut welcher der Himmel seine wunderliche Gestalt erhalten hatte, die Hölle und das sogenannte Fegfeuer zu einem Bratofen ward und dergleichen Torheiten mehr.
[2.119.6] Daraus aber geht hervor, dass im Geist, der das ganze Leben seiner Seele wie seines Leibes ausmacht, vorerst schon alles vorhanden sein muss, vom Kleinsten bis zum Größten, was die ganze Unendlichkeit fasst, also Himmel und Hölle, und inzwischen diesen beiden Extremen die ganze naturmäßige Welt. Und dieses endlos lebendigreiche Vermögen des Geistes ist dann das, was ihr im allgemeinen Sinne die Phantasie nennt.
[2.119.7] Wenn dann jemand aus dieser reichen Kammer etwas hervorholen will, so darf er dafür nur seine Liebe erwecken. Je stärker die Liebe wird, desto heftiger ihre Flamme und desto heftiger ihre Wärme und ihr Licht.
[2.119.8] Durch diese Eigenschaft der Liebe wird das von ihr erfasste Bild selbst lebendig, prägt sich durch das Licht der Liebe immer deutlicher und deutlicher aus, bis es endlich wie die Gegend unseres Malers die Vollreife erlangt hat. Und dieses durch die Eigenschaft der Liebe ausgereifte Bild im Menschen selbst ist die eigentliche innere Welt des Geistes.
[2.119.9] Nun wissen wir, woher der Maler das Bild genommen hat. Allein das ist das wenigere; wir wissen noch etwas mehr, und das besteht darin, dass der Geist auf diese Weise der Schöpfer seiner eigenen Welt ist.
[2.119.10] Wir wissen aber auch, dass jedes Ding in der Welt entsprechend gut oder schlecht sein kann, und dazu wird es von der Liebe gemacht. Ist die Liebe nach der Ordnung Gottes, so wird durch sie alles gut; ist diese wider die Ordnung Gottes, so wird durch sie alles schlecht. Auf diese Weise entwickelt dann in sich ein jeder Mensch entweder den Himmel oder die Hölle.
[2.119.11] Eine jede Tat und Handlung muss eine Ortsunterlage und an und für sich selbst eine gewisse Form haben, oder besser Harmonie, unter welcher sie geschieht.
[2.119.12] Wie kommt euch aber eine Gegend vor auf der Erde, in welcher ihr Denkmäler von vielen Gräueltaten findet? Sicher wird euch bei ihrem Anblick ein geheimer Schauder befallen. Seht, das ist schon die Form des Höllischen; denn im Geist bildet sich hernach ebenfalls eine solche Welt aus, die voll Denkmäler von Gräueltaten ist. In dieser Welt erschaut der Geist unendliche Tiefen zurück und in ihnen sein unverbesserliches böses Verhalten. Aber ganz anders verhält es sich, wenn ihr in eine Gegend kommt, in der von jeher edle Menschen gewohnt haben, die überaus viel Gutes und Edles taten. Gar heimlich wird es euch da vorkommen, und ihr werdet ein verklärendes Gefühl in euch überkommen, als befändet ihr euch etwa im Schoße Abrahams, und das ist ein Vorgefühl des Himmels. Im absolut geistigen Zustand prägt sich dann ebendieses Gefühl samt der Form auf das Lebendigste aus, und diese Form ist des Himmels geistige Örtlichkeit und, wie ihr leicht einseht, ebenfalls ein Werk des Geistes.
[2.119.13] Aus dem aber geht dann klar hervor, dass ein jeder Mensch durch die Art seiner Liebe der Schöpfer seiner eigenen inneren Welt wird, und dass er nie in irgendeinen Himmel oder in irgendeine Hölle kommen kann, sondern nur in das Werk seiner Liebe. Darum es auch heißt: „Und eure Werke folgen euch.“ Und auf eben diese Weise, wie wir jetzt die Erscheinlichkeit der Hölle durchgemacht haben, auf eben diese Weise machen es unsere bekannten Sonnenschüler durch. Was aber mit ihnen nachher geschieht, wollen wir nächstens betrachten.
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