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116. Alle Geheimnisse werden im geistigen Zustand offenbar. Die hartnäckigen Liebeschulden

(Am 29. November 1843 von 4 1/4 – 5 3/4 Uhr abends.)

[2.116.1] Nicht selten geschieht es, dass eine solche gekränkte Jungfrau aus bloßer Rache gegen ihren früheren Liebhaber einen anderen heiratet, für den sie keinen Funken Liebe in ihrem Herzen trägt. Mit dieser Tat wollte sie ihren früheren, sie verkennenden Liebhaber auf das Allerempfindlichste strafen, ja wohl möglich ihn durch solche Kränkung sogar aus der Welt hinaus arbeiten. Was geschieht aber?

[2.116.2] Der alte Liebhaber kränkt sich nicht, sondern er sucht sich so viel als möglich gutes Mutes eine andere Geliebte aus; und das nicht selten eine bessere, als die erste war. Welchen Effekt aber bewirkt das nun bei der ersten verheirateten Geliebten? Sie wird mürrisch und verschlossen. Ihr Mann fragt sie um die Ursache, aber umsonst. Denn das, was sie drückt, ist vor ihren Augen zu groß und zu schwer und zu verdächtig gegen ihren neuen Gemahl, als dass sie es ihm anvertrauen sollte. Sie tut zwar keine weiteren Schritte mehr, um ihrem alten Geliebten irgend Steine unter die Füße zu legen und ihn über Abgründe zu locken, aber desto tiefer begräbt sie diese Ursache ihres Grams in ihr Herz. Es vergehen dann Jahre, und wie die Zeit gewöhnlich das beste Pflaster ist, freilich wohl nur ein palliatives zur Heilung so mancher Wunden, so heilt sie auch diese, und solche Menschen werden nach und nach nicht selten recht gute Freunde.

[2.116.3] Man wird hier sagen: Nun, wenn das der Fall ist, da wird wohl auch die Hölle ihren letzten Rest schon empfangen haben; denn wo einmal Freundschaft an die Stelle der ehemaligen Feindschaft tritt, da tritt ja doch sicher entsprechendermaßen auch der Himmel an die Stelle der Hölle. So scheint es freilich wohl dem außen nach. Aber da sehen wir eben vor uns einen Krieger, der viele Wunden auf seinem Leib trägt. Alle diese Wunden haben ein palliatives Pflaster und die Zeit geheilt. Wenn das Wetter schön ist, da geht unser wundeninnehabender Krieger ganz munter einher und weiß kaum, dass sein Leib voll vernarbter Wunden ist; mit einem Wort, er ist dabei gesucht, kreuzfidel und lustig. Aber nun kommt ein böses Wetter. Seine Wunden fangen sich an zu rühren, und je böser das Wetter wird, desto unausstehlicher fangen ihn seine Wunden an zu brennen. Wie ein Verzweifelter wälzt er sich auf seinem Lager und flucht über das ganze Kriegswesen, über alle Feldherren, über den Kaiser, ja über Gott, über seine Eltern und über den Tag, an dem er geboren ward.

[2.116.4] Seht, da haben wir ein treues Bild vor uns für dergleichen moralische Palliativfreundschaften, welche wohl eine Folge der irdischen vergesslichen Zeit sind. Aber lassen wir ein böses Wetter einrücken, das heißt, lassen wir von solchen Freunden ihre absoluten Geister jenseits in eben dem Moment zusammentreten, in welchem sie auf der Erde gegeneinander gesündigt haben, und dann im Moment, wo sie mittels des hellen Schauens ihres Geistes alle die Nachteile erschauen, welche aus ihrer gegenseitigen Versündigung hervorgegangen sind, daneben aber auch die Vorteile, welche sie auf dem Wege der Nichtversündigung hätten erlangen können, und wir werden die zwei sich mit der allergrößten Verachtung und gegenseitigen, entsetzlichsten Verwünschung begegnen sehen. Und das ist doch sicher kein Himmel im entsprechenden Maße, wie es sich dem außen nach zu erschauen gab, sondern die barste Hölle in der untersten Potenz.

[2.116.5] Daher heißt es auch in der Schrift, dass sich ein jeder gar wohl prüfen soll, und es ist nichts so verborgen und so Geheimes in dem Menschen, als dass es dereinst nicht sollte laut von den Dächern der Häuser verkündet werden. Welches so viel sagen will als: Der Mensch hat nichts so vollkommen Allerinwendigstes in sich, als dass es sich im absolut geistigen Zustand nicht ganz äußerlich erschaulich beurkunden sollte. Aus diesem Grunde denn wohl einem jeden Menschen überaus zu raten ist, alle seine freundlichen und feindlichen Verhältnisse, in denen er sich je befunden hat, ja allergenauest zu prüfen, welchen Effekt sie auf sein Gemüt ausüben würden, so er wieder in optima forma in dieselben zurückversetzt werden möchte. Denn auf das muss sich ein jeder hier auf der Erde lebende Mensch gefasst machen, dass er jenseits im absolut geistigen Zustand in alle jene verhängnisvollen Zustände ganz lebendigst versetzt wird, welche ihm hier als die größten Steine des Anstoßes galten; denn der Herr Selbst ist mit diesem Beispiel vorangegangen.

[2.116.6] Zuerst auf der Welt wurde Er von Seinen Feinden gerichtet und zwischen Missetätern gekreuzigt, dann stieg Seine wesenhafte Seele nicht sogleich in den Himmel, sondern zur Hölle hinab, da Seine größten Feinde Seiner harrten, wennschon mitunter auch so manche alte Freunde wie die alten Väter und gar viele Propheten und Lehrer.

[2.116.7] Wenn jemand auf dieser Welt nicht den letzten Heller zurückbezahlt hat, wird er nicht vermögend sein, in das Himmelreich einzugehen. Darum heißt es hier fleißig alle die alten Schuldbücher durchgehen und besonders diejenigen, welche das Wort Liebe als Aufschrift führen. Liebeschulden sind für Jenseits die hartnäckigsten. Ein Millionenraub wird leichter aus der geistigen Gedächtniskammer vertilgt als eine Liebeschuld. Warum denn? Weil ein Millionenraub nur eine äußere, den Geist nichts angehende, gewaltige Verschuldung ist; aber die Liebeschuld betrifft gerade zuallermeist den ganzen Geist, weil alles, was Liebe ist, das eigentliche Wesen des Geistes ausmacht. Aus diesem Grunde ist für den Menschen auch nichts so gefährlich auf dieser Welt, wie das sogenannte Verliebtwerden; denn dieser Zustand nimmt den ganzen Geist in Anspruch. Treten hernach äußere Hindernisse ein, welche dergleichen vorzeitige gegenseitige Geschlechtsliebe nicht reüssieren lassen, so ziehen sich die beleidigten Geister wohl zurück, lassen sich durch allerlei Weltgeflitter verteilen; aber nichtsdestoweniger werden sie aus dem Grunde geheilt.

[2.116.8] Kommt dann das geistige böse Wetter hinterdrein, so brechen diese Wunden von neuem auf. Und dieser zweite Zustand wird dann um vieles ärger sein als der erste; wie auch in der Schrift von den ausgetriebenen sieben Geistern die Rede ist. Da wird auch durch äußere Mittel wohl das Haus gereinigt und der böse Feind durchwandert dürre Wüsten und Steppen, nimmt noch sieben andere, die ärger sind denn er, zu sich und zieht dann wieder in sein altes, gereinigtes Haus ein.

[2.116.9] Das alte, gereinigte Haus ist der Geist, der gereinigt wird auf dieser Welt durch äußere Mittel; der böse Geist ist der schlechte Zustand, in dem sich ein Mensch einmal auf dieser Erde befunden hat. Dieser ward freilich durch die äußeren Mittel völlig hinausgeschafft. Er durchwandert nun dürre Wüsten und Steppen, das heißt, der Geist des Menschen heilt und vernarbt seine Wunden, dass sie dürre werden und nicht mehr bluten. Aber der böse Geist kehrt zurück mit noch sieben anderen, das heißt so viel als: Im absolut geistigen Zustand werden alle seine Wunden wieder bloßgestellt, brechen von neuem auf und mit bei weitem größerer Heftigkeit; und das ist dann der Zustand, der schlimmer ist als der erste.

[2.116.10] Überall aber, wo ihr ein Wesen gegen das andere im höchsten, verderblichsten Zorn auftreten seht, da ist auch schon die Fundamentalhölle vollendet da!

[2.116.11] Aus diesem Grunde rate ich, Johannes, als nun wohlerfahrener, ewiger Diener und Knecht des Herrn allen Menschen, besonders aber den Eltern, die da Kinder haben, dass sie eben ihre Kinder vor nichts so sorgfältigst warnen sollten, als vor dem sogenannten Verliebtwerden. Wie sehr der Geist darunter leidet, könnt ihr bei jedem studierenden Jüngling, der sich irgend unzeitigermaßen verliebt hat, schon naturmäßig klar erschauen. Denn ein solcher Jüngling ist sicher für seine ganze Lebenszeit verdorben und ist keines geistigen Fortschrittes fähig. Möchte er sonst auch was immer für eine Leidenschaft haben, so könnt ihr sie ihm durch eine gerechte Leitung hinwegnehmen und aus ihm einen ordentlichen Menschen machen. Aber ein gewisses lebendiges Zauberbild, das sich mit dem Geist einmal amalgamiert hat, bringt ihr schwerer aus einem jugendlichen Gemüt, was immer für Geschlechts, als einen Berg von seiner Stelle.

[2.116.12] Und in eben solchem unzeitigen Verliebtwerden liegt die größte geistige Unzucht zugrunde; denn Unzucht oder Hurerei ist alles, was auf den Betrug des Geistes abgesehen ist.

[2.116.13] Da aber die Liebe am meisten des Geistes ist, so ist ein Betrug der Liebe oder eine offenbare Verschuldung an derselben der wahren geistigen Unzucht tiefster und unterster Grad oder die eigentliche unterste Hölle.

[2.116.14] Das bisher Gesagte hat jedermann überaus gut und lebendigst zu beherzigen. Nächstens solcher speziellen Betrachtungen mehr.

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