(Am 18. November 1843 von 4 1/4 – 5 3/4 Uhr abends.)
[2.110.1] Ihr werdet euch denken, noch mehr aber so mancher andere, so er bei dieser Mitteilung gegenwärtig wäre: Es ist wohl recht löblich und auch moralisch nützlich, dergleichen Eröffnungen zu vernehmen, durch welche gewisserart bildlich das Grundböse dargestellt wird; aber es gibt nun bereits eine halbe Legion Beschreibungen der Hölle auf Erden. Sie scheinen alle ähnlichen Ursprungs zu sein, aber wie verschieden sind sie voneinander! Bei dem einen ist die Hölle ein feuriger Schwefelpfuhl, bei den anderen ein nagender Glühwurm, wieder bei anderen ein wütend Feuer, eine ewige Finsternis, ein ewiger Tod. Bei einigen werden die Verdammten gepeinigt, gesotten und gebraten, bei den anderen sind sie die allerbarsten Freiherren. Einige wieder erblicken in der Hölle nichts als eine entsetzliche Kälte, andere wieder den glühendsten Zorneifer. Einige erblicken darin elendste, verkrüppeltste und ausgehungertste Menschengestalten, andere wieder ein Aggregat von den sonderbarsten, scheußlichsten Gestalten, die je nur irgendeiner menschlichen Phantasie entstammen können. Und so hat man unter dem Begriff der Hölle einen wahrhaftigen Proteus vor sich, den man unter gar keiner Gestalt festhalten kann.
[2.110.2] Wird demnach hier auch eine den menschlichen reinen Begriffen vollkommen zusagende und für diese Zeit wohlbegreifliche Darstellung der Hölle gegeben, wer aber bürgt dafür, dass diese Darstellung mit der Zeit nicht wieder durch eine andere verdrängt wird? Denn nichts existiert so vielfach unter allerlei Gestalten unter den Menschen als eben dieser Schreckensort unter dem Begriff „die Hölle“.
[2.110.3] Gut, sage ich euch, meine lieben Freunde! Euer bedenklicher Einwurf hat seinen guten Grund, denn er stützt sich vollkommen auf die Realität dessen, was davon da ist, nämlich von dem Begriff der Hölle. Darum aber will und muss auch ich euch hier die Hölle in einem solchen allgemeinen Licht zeigen, in welchem Licht jede mögliche Darstellung derselben, die bis jetzt irgendwo auf der Erde gang und gäbe ist, ihre vollkommene Rechtfertigung finden soll.
[2.110.4] Wenn man die Hölle nur der Äußerlichkeit nach oberflächlich betrachtet, so ist es höchst begreiflich, warum sie als ein wahrer Proteus in stets anderer Erscheinlichkeit auftritt. Aber ganz anders verhält es sich mit der Sache dann, wenn man sie vollkommen aus ihrem Grund betrachtet.
[2.110.5] Damit ihr aber solches vollkommen klar einseht, wollen wir durch kleine Beispiele eben diese sehr verfängliche Sache so beleuchten, dass sie vor jedermanns Augen unter der Beleuchtung der Sonne dastehen soll.
[2.110.6] Nehmen wir an, in einem Staat gibt es sicher gar viele Tausende von Menschen; alle diese Menschen – Kretins, Trottel und unmündige Kinder ausgenommen – machen sich allerlei bunte Begriffe von der geheimen Staatspolitik. Wer solche näher kennen will, darf nur mit verschiedenen Menschen sich darüber in ein Gespräch einlassen. Die einen sehen nichts als Krieg vor sich, die anderen nichts als geheime Verrätereien, wieder andere geheime Volksbetrügerei, andere wieder lauter Klugheit. Einige schreien laut über Ungerechtigkeit, andere können wieder keine genug lobhudlerischen Worte finden, um die Verfassung, die geheime staatskluge Politik über den grünen Klee hinaus zu loben.
[2.110.7] Das wären aber noch lauter nüchterne Ansichten des gebildeteren Teiles im Volk über die geheim-politische Staatsverwaltung. Wer aber davon Lächerlichkeiten über Lächerlichkeiten vernehmen will, der begebe sich in sehr finstere Dorfstuben so mancher Landbauern, und er darf überzeugt sein, dass er in solchen Kabinetten alles vernehmen wird, was immer nur eine ungebildete, rohe menschliche Phantasie hervorzubringen imstande ist. Zum Beispiel, dass der Kaiser die Absicht habe, eine Stadt vergiften zu lassen, dass er in einem Land will die Pest dem Volk einimpfen lassen, oder dass er mit einem fremden Monarchen einen Bund geschlossen habe, irgend ein Landvolk mit dem Schwert in einer Nacht umzubringen und die Güter der umgebrachten Untertanen also gewalttätigst an sich zu reißen; – anderer Albernheiten nicht zu gedenken, wo der Monarch bei irgendeiner Gelegenheit entweder seine eigene Seele oder die Seelen irgend seiner Untertanen zur Gewinnung eines großen irdischen Vorteils dem Teufel leibhaftig verschrieben habe! Dass das alles sich richtig also verhält, braucht keines näheren Beweises, indem es einem jeden freisteht, sich davon tagtäglich hundertmal statt einmal überzeugen zu können.
[2.110.8] Dass sich also die Sache so verhält, unterliegt keinem Zweifel, frage aber: Wer aus all diesen tausend und tausend politischen Begriffsaufstellern hat denn den rechten Begriff, den rechten Grund der geheimen Staatsverwaltung aufgestellt? Im Grunde gar keiner; aber dessen ungeachtet hält ein jeder mit geheimnisvoller, weise tuender Miene den seinen für den richtigsten. Wie aber ist das möglich, über etwas begründete Begriffe aufzustellen, davon man selbst keinen Begriff hat?
[2.110.9] Seht, der Grund davon liegt zum Teil in der äußeren Erscheinlichkeit wie in der Individualität dessen, der die Erscheinlichkeit betrachtet. Je weniger inneren geweckten Grund der Betrachtende hat, desto irrsinnigere Begriffe kombiniert er sich von der Erscheinlichkeit. Und seht, gerade also verhält es sich bis jetzt mit dem Begriff der Hölle.
[2.110.10] Nur äußerst wenigen Sehern ward es gegönnt, in den Grund dieses Ortes einen Scharfblick zu tun, aber sehr vielen ward es gestattet, eines oder das andere Erscheinliche dieses Ortes zu erblicken. Und so hat die Darstellung des Erscheinlichen durch ihre voluminöse Masse stets den wahren Grund überboten. Aus diesem Grunde hat sich dann die Hölle unter so mannigfachen Gestalten vervielfacht und niemand wusste und weiß es bis jetzt vollkommen, wie er mit diesem Ort daran ist.
[2.110.11] Frage aber weiter: Wer im Staat könnte denn wohl von der geheimen Staatsverfassung den richtigsten Grundbegriff aufstellen? Sicher niemand als eben der kluge Monarch selbst.
[2.110.12] Wenn sich die Sache unwiderlegbar so verhält, da wird diese Frage auch für das düstere jenseitige Verhältnis passen, und die Antwort darauf wird keine andere sein, als dass nur derjenige über diesen Ort den allerrichtigsten und allgemein geltenden Grundbegriff aufstellen kann, der da ein Herr ist wie über alle Himmel, so auch über alle Höllen!
[2.110.13] Wie aber jemand, der in den Grund der geheimen Staatsverwaltung eingeweiht ist, mit leichter Mühe den Grund von allen den im Volk kursierenden Begriffen erschauen wird, so wird auch derjenige, der den wahren Grund dieses Ortes unter dem Begriff der Hölle vom Herrn aus kennt, den Grund aller albernen Begriffe darüber einsehen.
[2.110.14] Ein jeder Mensch trägt nach seiner Individualität den Himmel wie die Hölle in sich.
[2.110.15] Wird er nun durch einen gewissen Zustand seiner eigenen Individualität ansichtig, so wird er dadurch nur seiner eigenen unausgebildeten Hölle oder seines höchst unvollkommenen Himmels ansichtig. Auf diesem Wege können dann zahllosfache verschieden aussehende Höllen entstehen.
[2.110.16] Ist aber das hernach schon als Grund anzunehmen? Sicher so wenig, als wenn einer, der am seichten Ufer mit einem Spazierstäbchen das Meer misst, wo es höchstens einen halben Schuh tief ist, dann im Ernst auftreten und fest behaupten möchte, das Meer sei nur einen halben Schuh tief, denn er selbst habe es gemessen. Ebenso gilt es auch hier von der Behauptung aller Seher, die da sagen: Ich habe die Hölle in diesem und jenem Zustand also gesehen. – Wie wenig aber jemand das seichte Ufer, das wohl auch zum Meer gehört, als den eigentlichen Hauptgrund des Meeres ansehen kann, ebenso wenig kann auch eine solche geschaute Erscheinlichkeit der Hölle als der wahre Grund angenommen werden.
[2.110.17] Wie sich aber hernach der eigentliche Grund finden und gründlichst beschauen lässt, wird die Folge zeigen.
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