(Am 18. November 1843 von 4 1/4 – 6 1/4 Uhr abends.)
[2.105.1] Ihr wisst, dass nirgends mit dem bloß theoretischen Wissen und Glauben etwas getan ist. Was nützt es jemanden, wenn er seinen Kopf mit tausend noch so richtigen Theorien angestopft hat? Was nützt es jemanden, wenn er alles fest für wahr hält, was in dem Buch des Lebens geschrieben steht? Das alles nützt einem gerade so viel, als so sich da jemand alle musikalischen Theorien buchstäblich eigen gemacht hätte und auch zu der vollgläubigen Einsicht gelangt wäre, dass er, wenn er sich der Theorien praktisch bedienen würde, im Ernst die eminentesten Kompositionen ans Tageslicht zu fördern imstande wäre, oder wenigstens einen auserlesenen Virtuosen abzugeben auf einem oder dem anderen Instrument. Frage: Wird er behufs aller dieser gründlichen Kenntnisse ohne nur die geringste praktische Fertigkeit irgendein Stück von einigem Wert zu komponieren imstande sein? Oder wird er selbst auch nur den allerleichtesten Takt einer Komposition entweder schlechtweg zu singen oder auf einem anderen musikalischen Instrument vorzutragen vermögen? Sicher nicht, denn ohne praktische Übung nützt keine Theorie,
[2.105.2] und es ist gerade dasselbe, als so es irgendeinen törichten Vater geben möchte, der da ein Kind hätte, es zwar sonst pflegen würde und ausbilden seinen Verstand, möchte ihm aber die Füße stets verbunden halten. Frage: Wird das Kind gehen können, wenn es auch gehen gesehen und alle Geharten und Fußbewegungen über einen spanischen Tanzmeister theoretisch in seinem Kopf hätte? Der erste Schritt, den es wagen wird, wird schon so unsicher ausfallen, dass das theoretisch gebildete Kind sogleich am Boden liegen wird.
[2.105.3] Es ist somit mehr als klar gezeigt, dass das alleinige Wissen ohne Praxis zu nichts taugt. Denn es ist ein brennender Luster in einem leeren Saal, dessen Licht für sich allein brennt und niemandem zugute wird. Demnach ist die tatsächliche Ausübung dessen, was man erkannt hat und weiß, ja unfehlbar die alleinige Hauptsache. Und da es aber im Reich der reinen Geister nur ganz vorzugsweise allzeit aufs Tun ankommt und die Tätigkeit aus der Nächstenliebe das Hauptaxiom alles geistigen Wirkens ist, so wird auch ebendieses Gebot der Nächstenliebe hier mehr tatsächlich als theoretisch gelehrt.
[2.105.4] Wie denn aber? Diese schon ganz erwachsenen Schüler, wie ihr seht, werden bei allerlei Gelegenheiten von den schon vollkommeneren Geistern mitgenommen und müssen besonders bei denjenigen Neuangelangten von der Erde unterscheiden lernen die wahrhaftigen Nächsten, die weniger Nächsten und dann auch die Fernen. Sie müssen da erkennen, wie sie sich zu den Nächsten, zu den weniger Nächsten und zu den Fernen zu verhalten haben.
[2.105.5] Bekanntlich ist das Mitleidsgefühl der Jugend größer als des festen Mannesalters. Daher geschieht es denn auch, dass diese unsere Schüler alles, was ihnen unterkommt, mit einem großen Mitleid und großer Erbarmung aufnehmen.
[2.105.6] Diese möchten gleich alles in den Himmel hineinschieben, indem sie noch nicht aus der Erfahrung wissen, dass der Himmel nur den eigentlichen Allernächsten eine große Seligkeit gewährt, den weniger Nächsten und den Fernen aber ist er eine größere, auch allergrößte Qual. Bei diesen Gelegenheiten also lernen sie erst völlig erkennen, wie die eigentliche Nächstenliebe darin besteht, dass man einem jeden Wesen seine Freiheit lassen muss und ihm geben das Seinige.
[2.105.7] Denn wenn man jemandem etwas anderes tun will, als was dessen Liebe verlangt, so hat man ihm keinen Liebesdienst erwiesen. Wenn jemand seinen Nachbarn um einen Rock bittet, und der Nachbar gibt ihm dafür einen Laib Brot, wird der Bittende damit zufrieden sein? Sicher nicht, denn er hat ja nur um den Rock, aber nicht um das Brot gebeten.
[2.105.8] Wenn jemand in ein Haus geht und verlangt eine Braut, und man gibt ihm anstatt der Braut einen Korb voll Salz, wird er damit zufrieden sein? Ferner, wenn jemand einen Weg machen möchte in einen gegen Norden gelegenen Ort, da er ein Geschäft hat, ein Freund aber lässt seinen Wagen einspannen, nimmt den Geschäftsmann, der nach Norden soll, auf und fährt mit ihm nach Süden, wird ihm damit geholfen sein?
[2.105.9] Daher müssen alsdann ganz besonders die Geister, bevor sie ihre Nächstenliebe in die praktische Anwendung bringen wollen, erst genau die Liebeart derjenigen Geister erforschen, die ihnen zugeführt werden. Wie sich diese Liebe vorfindet, gerade also muss auch nach dieser Liebe gehandelt werden.
[2.105.10] Wer in die Hölle will, muss dahin sein Geleit haben, denn also ist seine Liebe, ohne welche es für ihn kein Leben gibt. Und wer in den Himmel will, dem muss diejenige Leitung werden, dass er, auf den gerechten Wegen geläutert, dann vollkommen befähigt in den Himmel gelangt und in demselben als ein wahrer geheiligter Bürger bestehen kann.
[2.105.11] Aber da ist es auch nicht genug, einen Geist in einen und denselben Himmel zu bringen, sondern der Himmel muss der Liebe des Geistes auf ein Atom entsprechen, denn jeder andere Himmel wird sich mit einem himmlischen Bürger nicht vertragen, und es wird ihm darin ergehen, wie einem Fisch in der Luft.
[2.105.12] Denn eines jeden Menschen Liebeart ist das ihm eigentümliche Lebenselement. Findet er dieses nicht, so ist’s um sein Leben bald geschehen. Daher muss denn auch die Nächstenliebe im Reich der reinen Geister höchst genau und richtig eher geläutert und gebildet werden, bevor diese Geister wahrhaft in der göttlichen Ordnung die Neuangekommenen wie auch die schon lange im Geisterreich Seienden wahrhaft beseligend und belebend aufzunehmen imstande sind.
[2.105.13] Die Bildung dieser Nächstenliebe und die Läuterung derselben besteht demnach lediglich in dem, zu erforschen und zu erkennen die Liebeart in den Geistern, und dann daneben aber zu erkennen und einzusehen die Wege der göttlichen Ordnung, auf welchen diese Geister zu führen und wie sie zu führen sind.
[2.105.14] Keinem Geist darf irgend Gewalt angetan werden. Sein freier Wille, gepaart mit seiner Erkenntnis, bestimmt den Weg und die Liebe des Geistes die Art und Weise, wie er auf demselben zu leiten ist.
[2.105.15] Wenn die Geister erst an den Ort ihrer ihnen zusagenden Liebe kommen und dort bösartig auftreten, dann erst ist es an der Zeit – aber wieder nur nach der Art der Bosheit – strafend entgegenzuwirken anzufangen.
[2.105.16] Und seht nun, in allem dem werden unsere Schüler auf das Allergenaueste, was die Nächstenliebe betrifft, praktisch unterrichtet. Wenn sie nun darin eine Fertigkeit erlangt haben, bekommen sie die Weihe der Vollendung und werden dann auf eine genau verhältnismäßig bestimmte Zeit lang den lebenden Menschen auf der Erde zu Schutzgeistern gegeben, und das zumeist aus dem Grunde, um sich bei dieser Gelegenheit in der wahren Geduld des Herrn zu üben. Denn ihr glaubt es kaum, wie schwer es einem solchen himmlisch gebildeten Geist ankommt, mit den halsstarrigen Menschen dieser Erde so im höchsten Grad nachgebend umzugehen, dass es diese gar nie merken dürfen, dass sie von einem solchen Schutzgeist auf allen Wegen begleitet und nach ihrer Liebe geleitet werden.
[2.105.17] Fürwahr, es ist keine Kleinigkeit, wenn man mit aller Macht und Kraft ausgerüstet ist und darf als Anhänger nicht Feuer vom Himmel rufen, sondern muss jetzt im Bewusstsein seiner Macht und Kraft fortwährend einen Zuseher machen, wie der ihm anvertraute Mensch sich in allerlei Argem der Welt begründet und des Herrn stets mehr und mehr zu vergessen anfängt.
[2.105.18] Eine Kindsmagd hat mit dem allerbengelhaftest unartigen Kind einen barsten Himmel gegen die Aufgabe eines anfänglichen Schutzgeistes. Wie viele Tränen müssen diese vergießen, und ihr ganzes Einwirken darf nur in einem allerleisesten Gewissenseinflüstern bestehen oder höchstens bei außerordentlichen Gelegenheiten in der Verhütung gewisser Unglücksfälle, welche auf die Sterblichen der Erde von der Hölle angelegt sind. In allem Übrigen dürfen sie nicht einwirken.
[2.105.19] Nun aber stellt euch nur so ein wenig das nicht selten bittere Los eines sogenannten Hauslehrers oder Hofmeisters vor, wenn er so recht rohe und bengelhafte Kinder zur Erziehung bekommt. Ist da nicht schon ein Holzhauerzustand besser? Ganz sicher, denn das Holz lässt sich nach dem Willen des Holzhauers fällen und spalten, aber das ungehobelte Kind spottet des Willens seines Meisters. Doch dieser Zustand ist nur kaum ein leisester Schatten gegen den eines Schutzgeistes, dessen Schutzbefohlener entweder ein Geizhals, ein Dieb, ein Räuber, ein Mörder, ein Spieler, ein Hurer und Ehebrecher ist. Alle solche Gräueltaten muss der Schutzgeist stets passiv mit ansehen und darf nicht mit all seiner Kraft nur im Geringsten vorgreifend entgegenwirken. Und wenn bei manchen Gelegenheiten ein Vorgriff schon gestattet ist, so muss er aber dennoch so klug angelegt werden, dass der Schützling dadurch in der Freiheitssphäre seines Willens nicht im Geringsten, sondern nur höchstens in der tatsächlichen Ausführung desselben behindert wird.
[2.105.20] Seht, das ist sonach das zweite praktische Geschäft, in welchem sich unsere geweihten Schüler in der Nächstenliebe und vorzüglich in der Geduld des Herrn üben müssen. Was aber mit ihnen nach dieser Geduldübung geschieht, wird die Folge zeigen.
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