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83. Das Wort als der Richterstuhl Christi. Die Irrlehre über die Beichte

(Am 28. März 1843 von 5 – 6 3/4 Uhr abends.)

[1.83.1] Wir wären nun schon auf gute Redeweite bei der Mönchsgesellschaft; und so will ich denn auch sogleich meine Fragen an diese Gesellschaft erneuern, damit wir daraus ersehen, inwieweit sich eben diese Gesellschaft zufolge unserer früheren Besprechung mit ihr gefunden hat. Ihr fragt zwar: Muss solches in dieser geistigen Welt auch allzeit wörtlich abgemacht werden, oder steht es nicht Geistern von deiner Vollkommenheit zu, solche trügliche Geister ohne Wortwechsel auf den ersten Augenblick zu erkennen, wie sie inwendig beschaffen sind?

[1.83.2] Ich sage euch: Solches steht jedem Geist des obersten Himmels zu, und er kann somit auch jeden unvollkommenen Geist auf den ersten Blick durch und durch schauen. Aber dadurch ist dem unvollkommenen Geist nicht viel geholfen, und es ist nahe derselbe Fall, als so auf der Erde irgendein Verbrecher eingefangen würde. Das Gericht ist zwar durch Zeugen beim ersten Verhör völlig überzeugt, dass das eingefangene Individuum sich eines gewissen Verbrechens schuldig gemacht hat. Dessen ungeachtet aber kann es den Verbrecher dennoch nicht zur gesetzlichen Strafe verurteilen, und das so lange nicht, als bis sich der Verbrecher nicht selbst seines Verbrechens entäußert hat. Das Wort aber ist das alleinige Mittel der inneren Entäußerung, oder, der Mensch wie der Geist gibt sich durch das Wort der äußerlichen Beschaulichkeit preis, also wie er beschaffen ist in seinem Inwendigen.

[1.83.3] Daher nützt auch hier die alleinige Erkenntnis von meiner Seite hinsichtlich der inneren Beschaffenheit dieser Geister, allein für sich genommen, so gut wie nichts. Aber ich kann zufolge dieser Erkenntnis die Geister so zur eigenen Äußerung leiten, dass sie, wie notgedrungen, mir nicht ausweichen können, und müssen daher ihr Inwendigstes eben durch ihr Wort nach außen kehren und es der allgemeinen Beschaulichkeit preisgeben.

[1.83.4] Dadurch wird denn auch die Stelle in der Fülle der Wahrheit ersichtlich, da es heißt: „Von den Dächern wird man es laut verkündigen!“ Und wieder heißt es, wie der Paulus spricht: „Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden!“, welches alles so viel besagt als: Alles muss durch das Wort offenbar oder entäußert werden, denn das Wort ist der eigentliche Richterstuhl Christi. Und „vom Dach laut verkündigen“ besagt, dass sich ein jeder durch sein eigenes Wort wird richten oder, besser gesagt, sein Inneres völlig entäußern müssen. Denn wie das Dach sonst ein Schutzmittel des Hauses ist, so ist auch, geistig genommen, das Wort dasjenige eigenliebige und eigenschützende Mittel, durch welches der Mensch bei seinem Leibesleben sich so gut als möglich vor allen von außen her auf ihn einwirkenden Ungewittern beschützt. Da aber in diesem Sinne das Eigenwort in geistiger Beziehung gleich ist einem Hausdach, hier aber in der geistigen Welt durchaus keinen Schutz mehr gewähren kann, so heißt „vom Dach laut verkündigen“ durch das eigene Wort sich aller der inwendigen Schalkheit entäußern. Ihr habt schon dergleichen Entäußerungen eine Menge gehört; dessen ungeachtet aber wird euch das Fernere nicht überflüssig sein.

[1.83.5] Ich will daher meine schon vorbestimmte Frage aus dem euch nun bekanntgegebenen Grunde an diese Mönchsgesellschaft richten, und ihr werdet daraus ersehen, welch ein arger finsterer Kern noch in ihr verborgen liegt. Und so habt denn Acht! Ich will nun meine Frage setzen, und spreche demnach:

[1.83.6] Nun, wie ihr seht, bin ich nach der Überwindung eures Himmels wieder hierhergekommen; wie sieht es nun aus mit eurer inneren Erkenntnis und mit eurer Demütigung danach? Haltet ihr euch noch für wirkliche Diener des Herrn? Oder haltet ihr euch vielmehr für eigenwillige betrogene Betrüger des Volkes?

[1.83.7] Der Prior spricht: Wir haben uns geprüft und uns vollkommen der höllischen Strafe würdig befunden, da wir bei guter Betrachtung völlig erkannt haben, dass du ein wahrer Bote der göttlichen Gerechtigkeit und dazu mit einer Macht ausgerüstet bist, von welcher alle unsere Mauern und Türme wie nichtige Spreu zerfallen. Wir sind und bleiben dem Herrn ewige Schuldner, und ein jeder von uns trägt so viel von dieser Schuld auf seinem eigenen Nacken, dass sie ihm zufolge der göttlichen Gerechtigkeit ewig nimmer vergeben werden kann. Wir haben daher mit dir nichts Weiteres mehr zu reden, sondern bitten dich, wenn es dir möglich ist, nur um so viel göttliche Gnade und Erbarmung, dass du uns ob unserer Schuld nicht in den allerbittersten und allerschmerzlichsten Grad der Hölle verdammst.

[1.83.8] Wäre hier zu beichten möglich, so wollten wir hundert Jahre lang beichten, um dadurch die Lossprechung von unserer Schuld nach dem Grad der mit der Beichte verbundenen Buße zu erlangen. Aber da hier solches nicht mehr möglich ist und wir nach Paulus da liegen, wie wir gefallen sind, so bleibt uns ja nichts anderes übrig, als allerschrecklichst und traurigst das Verdammungsurteil von dir zu erwarten.

[1.83.9] Nun spreche ich: Also mit der Beichte, meint ihr, wäre es wohl möglich, sich von den Sünden loszumachen? Wenn euer Glaube dahin geht, da sagt mir doch, bei welcher Gelegenheit denn der Herr auf der Erde die Beichte als ein sündenvergebendes Mittel eingesetzt hat?

[1.83.10] Der Prior spricht: Lieber Freund! Solches wirst du doch wissen, wie der Herr Seinen Aposteln die Macht zu lösen und zu binden eingeräumt hat. Da ist ja doch sonnenklar erwiesen, dass der Herr die Beichte eingesetzt hat, und dazu spricht auch ausdrücklich der Apostel Jakobus: „Bekennt euch einander eure Sünden.“ Wenn man dieses alles wie noch so manches andere betrachtet, so ist es ja doch unmöglich in eine Abrede zu bringen, als hätte der Herr die Beichte nicht als ein sündenvergebendes Mittel offenkundigst eingesetzt.

[1.83.11] Nun spreche ich: Höre, Freund und Bruder, wenn du das Wort Gottes so verstehst, da ist es kein Wunder, dass du dich hier im Grad der Verzweiflung befindest. Sage mir, welche Torheit könnte wohl größer sein als diese, so da wären zwei gegenseitig feindselige Menschen, also zwei gegenseitige Sünder oder Schuldner; einen jeden aus diesen zweien aber würde mit der Zeit dieser sündige Zustand gewissentlich zu drücken anfangen. Damit sich aber ein jeder dieses lästigen Zustandes entledigen möchte, da ginge er zu einem anderen Menschen hin und möchte sich seines lästigen Zustandes dadurch entledigen, so ihm dieser ganz fremde Mensch, den die gegenseitige Feindseligkeit der beiden nicht im Geringsten angeht [die Schuld tilgte]. Sage mir, wenn nun ein solcher fremder Mensch, den die ganze Schuld nicht im Geringsten angeht, sich einer solchen Schuldentilgung preisgibt, was ist er da wohl? Ist er da nicht ein allergröbster Betrüger? Du bejahst mir solches in deinem Gemüt. Gut, es soll dir aber die Sache noch klarer werden.

[1.83.12] Nehmen wir an, der A wäre dem B tausend Pfund schuldig. Der A aber, statt dem B die tausend Pfund getreulich zurückzubezahlen, lässt sich von einem betrügerischen C verleiten, an diesen, dem der A nie einen Heller geschuldet hatte, die Schuldforderung des B statt mit tausend Pfund bloß mit hundert Pfund völlig zu tilgen. Was wird wohl der B zu dieser Schuldtilgung sagen, und wird dadurch wohl der A aufhören, dem B schuldig zu sein? Ich meine, solches können sogar die höllischen Geister nicht behaupten. Also können wir vom Herrn umso weniger solches behaupten, der doch in Sich die allerhöchste Liebe und Weisheit ist.

[1.83.13] Daher werden deine angeführten Texte über die sündenvergebende Gewalt schon müssen einer anderen Erklärung unterworfen werden; denn mit deiner früheren kommst du auf keinen Fall aus. Ich will dir aber darum eine kurze Frist gönnen, damit du dich darüber gehörig erforschen und mir dann kundgeben sollst, wie du diese Sache gefunden hast, aber über sieben Minuten sollst du nicht verweilen. Und so denn erforsche dich im Geiste und in der Wahrheit. Amen.

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