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74. Frage nach der Liebe zu Christus. Die drei Glaubensartikel

(Am 10. März 1843 von 5 1/4 – 7 1/4 Uhr abends.)

[1.74.1] Nun spreche ich: Höre, lieber Freund, ich meine, so stumm wie ein Stein bist du nicht, und daher wirst du mir schon noch eine Frage zu beantworten imstande sein. Ich will diese Frage auch so einfach als nur immer möglich geben, und so höre denn:

[1.74.2] Hast du während deiner ganzen geistlichen Amtsführung nie über Christus nachgedacht, und ist es dir nie vorgekommen, als könntest du Ihn so recht aus allen Kräften lieben? Siehe, das ist eine einfache Frage, welche du beinahe mit Ja oder Nein beantworten kannst; nur muss dabei die lebendige Wahrheit zugrunde liegen.

[1.74.3] Der Primus spricht: Lieber Freund, woher du auch immer sein magst, auf dergleichen Fragen kann ich dir schon noch antworten, und wenn du deren auch noch mehrere stellen würdest. Aber nur über die römische Kirche sollst du mich nicht mehr fragen; denn ich bin über die Maßen froh, gleich einem verabschiedeten gemeinen Soldaten, dass ich hier mit ihr nichts mehr zu schaffen habe. Aber was Christus betrifft, da will ich mit dir reden, so lange du es nur immer willst. Und so sage ich dir zur Antwort auf deine Frage, dass ich bei mir selbst gar oft über Christus nachgedacht habe und empfand es auch in mir nicht selten, dass ich eben kein schlechter Apostel sein dürfte, wenn ich das Glück hätte, mit Christo also umzugehen, wie der Apostel Petrus mit Ihm umgegangen ist. Ja, ich muss dir sagen, Christus wäre die einzige göttliche Person, die ich aus allen meinen Kräften lieben könnte, so Sie im Ernst irgendwo vorhanden sein sollte.

[1.74.4] Dass ich während meiner ganzen geistlichen Amtsführung eben amtlichermaßen mich am allerwenigsten mit Christo habe abgeben können, solches wird dir ohnedies bekannt sein, wie gestaltet und warum. Denn bin ich als Klosterchef zu irgendeiner höheren geistlichen Behörde berufen worden, oder wohl gar zu einem Bischof, wie einmal sogar nach Rom, so war bei solch einer Zusammenkunft von Christo nie die Rede, sondern lediglich nur, was in dem Kloster eingeht, wie das Vermögen der Kirche verwaltet wird, und wie ich es anstellen müsste, falls das Kloster zu wenig eingetragen hat, um die kirchlichen Renten zu erhöhen. Und als ich einmal sogar nach Rom beordert ward und mir dachte, ich werde dort über Christus ein höheres Licht empfangen, so war aber davon dennoch keine Spur! Ich wurde nur haarklein ausgefragt, wie es mit den kirchlichen Renten stehe und ob noch keine bedeutende Stiftungen erloschen sind und, falls einige erloschen sein sollten, was da mit den Stiftungskapitalien geschieht.

[1.74.5] Als ich darauf zur Antwort gab, mit dem Erlöschen der Stiftungen hat es bei uns seine geweisten Wege; was da die ganz alten Stiftungen sind, so sind diese schon lange dem allgemeinen klösterlichen Kirchenvermögen einverleibt worden, und von neueren Stiftungen ist in dieser etwas zu sehr aufgeklärten Zeit eben keine zu sehr bedeutende Rede mehr. Man muss sich mit einfachen Legaten begnügen und mit einigen bezahlten Seelenmessen; aber von den sogenannten ewigen Stiftungen ist, wie gesagt, jetzt keine Rede mehr. Auf solch eine Äußerung von meiner Seite wurde zuerst von einem Kardinal ein derber Fluch allen Ketzern und Protestanten gedonnert, und mir ward nichts anderes gesagt, als dass ich durch scharfe Predigten und Beichtstuhl-Ermahnungen die Menschen dahin stimmen sollte, dass sie sich fürs Erste nicht irgend von den sogenannten Protestanten aufklären lassen, und fürs Zweite zur Gewinnung des Himmels sich durch reiche Stiftungen der alleinseligmachenden Kirche auf immer einverleiben sollten. Nach solcher Ermahnung ward mir ein ganzes Kompendium von einigen hundert Stück vollkommener Ablässe überreicht, welche ich samt und sämtlich ehestmöglich an den Mann bringen sollte, und zwar einen Ablass im Betrag von wenigstens zehn Talern.

[1.74.6] Mir ward ein gratis vollkommener Ablass miterteilt, aber mit der Bedingung, dass dieser erst dann für mich in die Wirksamkeit tritt, wenn ich für all die anderen Ablässe den Betrag werde nach Rom eingesendet haben.

[1.74.7] Ich wollte bei dieser Gelegenheit mich noch um manches Religiöse erkundigen, allein man deutete mir, zu schweigen, und einer aus dem Gremium sagte mir nur so im Vorbeigehen: Bedanke dich allerdemütigst für solche hohe Gnade von Seiten des obersten Statthalters Christi und gehe dann deine Wege, verlasse Rom sobald als möglich, damit du desto eher nach Hause kommst, um alldort den Willen des hl. Vaters zu erfüllen. Ich befolgte auch seinen Rat. Mir ward darauf sogar die Gnade zuteil, zum Pantoffelkuss hinzugelassen zu werden, aber mit dieser Gnade auch der Bescheid, mich ja nicht mehr über 24 Stunden in Rom aufzuhalten.

[1.74.8] Aus dieser Darstellung kannst du sehr leicht entnehmen, um welch ein Christentum es sich allda gehandelt hat. Fürwahr, hätte ein Kardinal nicht das Wort „Statthalter Christi“ ausgesprochen, so wäre ich in Rom gewesen, ohne bei dieser obersten Behörde den Namen Christi vernommen zu haben, außer auf dem Wege der kirchlichen Zeremonie.

[1.74.9] Dieser Besuch Roms hat mir auch zugleich den letzten Tropfen meines Unsterblichkeitsglaubens und somit auch meines Christussinnes ausgesogen.

[1.74.10] Als ich mit meinen Ablässen wieder in meinem Kloster ankam, übergab ich dieselben meinen Klosterbrüdern zur Disposition. Sie haben auch, meines Wissens, glücklich alle angebracht. Nur haben sie dabei eben auch meines Wissens ziemlich handeln lassen, und da ich mich darüber ausgewiesen habe, dass ich hinsichtlich der moralischen Veräußerung der Ablässe eine gewisse Not hatte, so ließ auch Rom handeln und begnügte sich mit einer geringeren Summe. Und siehe, das ist nun alles, was ich dir auf deine Frage zu antworten vermag.

[1.74.11] Was dann meine Liebe zu Christo betrifft, so wirst du aus dieser meiner Äußerung selbst leicht entnehmen können, dass, wenn auf dergleichen kirchliche Manipulationen Christus bis auf den letzten Tropfen hinausgearbeitet wird und der Mensch, besonders im Priesterstand, am Ende allen Glauben verliert, es dann auch mit der Liebe zu Christo seine geweisten Wege hat. Ich will damit freilich nicht sagen, als möchte ich Christus nicht lieben, wenn Er irgendwo wäre. Ja, ich könnte Ihn sogar über alles lieben, indem Seine Lehre wirklich das Allerreinste und Beste ist, was sich nur je ein sterblicher Mensch denken kann.

[1.74.12] Aber das „Wenn“ ist das Allerfatalste dabei. Ich kam hierher und lebe nun hier, wie ich schon ehedem bemerkt habe, ohne zu wissen, wie, wo und warum, indem ich doch auf der Welt die Unsterblichkeit der menschlichen Seele gänzlich habe fahrenlassen. Hier habe ich bis jetzt auch von Christo nichts mehr erfahren, als was ich auf der Erde von Ihm erfahren hatte; und somit stellt sich zwischen mich und Christo immerwährend das fatale „Wenn“. Bringe dieses aus mir und du sollst an mir einen Jünger Johannes oder die Magdalena haben.

[1.74.13] Nun spreche ich: Gut, mein Freund, du hast mir auf meine kurze Frage eine sehr gedehnte Antwort gegeben. So will ich denn nun dir und euch allen etwas sagen. Werdet ihr solches beachten, so könnt ihr den Weg zum wahren ewigen Leben betreten, wo nicht, da steht euch auch eben an der Stelle, wo der Turm verschwunden ist, bereits der Weg zum ewigen Tod offen!

[1.74.14] Und so hört denn: Christus Jesus ist der alleinige Gott und Herr aller Himmel und aller Welten! Er ist in Sich allein Seiner ewigen unendlichen Liebe zufolge der Vater, und Seiner unendlichen Weisheit zufolge der Sohn, und Seiner ewig allmächtigen unantastbaren Heiligkeit zufolge der Heilige Geist selbst; wie Er es auch Selbst von Sich ausgesagt hat, dass Er und der Vater Eines sind, und wer Ihn sieht, auch den Vater sehe; und dass der Heilige Geist von Ihm ausgehe, wie Er es gezeigt hat, da Er Seine Apostel anhauchte und zu ihnen sprach: Nehmt hin den Heiligen Geist!

[1.74.15] Das ist für euch der erste Glaubensartikel, ohne welchen niemand ins ewige Leben gelangen kann, denn es heißt auch in der Schrift: Wer nicht glaubt, dass Christus ist der Sohn des lebendigen Gottes, welcher ist die Liebe des Vaters, der wird nicht selig.

[1.74.16] Ich aber sage euch: Werdet ihr nicht den Vater wie den Geist im Sohn Christus ergreifen, so werdet ihr nicht zum Leben eingehen.

[1.74.17] Stoßt euch nicht an dem Text, da es heißt: „Der Vater ist mehr denn der Sohn“, – denn solches besagt, dass die Liebe, als der Vater in Sich ist das Grundwesen Gottes, und aus Ihr ewig hervor geht das Licht und der ewig mächtige Geist. Solches sei für euch der zweite Glaubensartikel.

[1.74.18] Der dritte Glaubensartikel aber lautet also: Seid von ganzem Herzen demütig, und liebt Gott im alleinigen Christo über alles, euch untereinander aber also, wie jeder sich selbst; und ein jeder von euch sei der anderen willen da und trachte, wie möglich als der Geringste allen zu dienen.

[1.74.19] Wenn ihr diese drei Glaubensartikel vollkommen in euch werdet aufgenommen haben, dann erst wird euch der Weg zum ewigen Leben gezeigt werden. Von der Erde habt ihr keine anderen als nur lauter arge Trugwerke mit hierhergebracht. Und sie sind hier allenthalben vor euch erscheinlich. Sie hatten keinen Grund, daher werden sie auch gar bald vor euren Augen zunichtewerden und vergehen wie eine Ephemeride, sobald eure eigene innere Nacht über euch hereinbrechen wird. Darum aber habe ich euch nun im Namen des Herrn einen neuen Samen gegeben; pflanzt ihn in euer Herz, auf dass er zu einer fruchtbringenden Pflanze wird. Diese Frucht wird euch erst dann eine lebendige Stärkung werden. Ihr Geist wird entflammen eure Liebe, und diese Flamme wird euch erleuchten den neuen Weg, der da führt zum ewigen Leben!

[1.74.20] Nun seht, diese sämtlichen Paradiesmönche fangen an, sich auf die Brust zu schlagen, und schreien: Welch ein Abgrund unter uns, welch eine Tiefe über uns! Herr, sei uns großen Sündern barmherzig! Schließe zu den Abgrund und verdecke die Tiefe über uns, denn wir sind nicht würdig auch nur eines Funkens deiner Gnade! Vernichte uns, denn der Vernichtung sind wir wert; aber nur lass uns nicht leben, auf dass wir von Dir möchten verdammt werden! – Seht, also gehen diese etwas leichter in sich als die früheren. Belassen wir sie aber nun in dieser Stimmung und begeben uns in den klösterlichen Himmel, allda ihr dann im buchstäblichen Sinne erfahren werdet, dass das „medium tenere beati“ [Glücklich jener, der den goldenen Mittelweg trifft.] hier seine Realität hat; denn der Himmel hier wird schlechter sein als der Seelenschlaf.

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