(Am 8. März 1843 von 4 1/4 – 6 Uhr abends.)
[1.72.1] Seht, der mit dem Schlüssel versehene Mönchsgeist als Einwohner dieses himmlischen Paradieses öffnet die Tür und weist uns, hineinzugehen. Was meint ihr wohl, sollen wir dieser Weisung folgen oder nicht? So mancher Katholik würde sagen, der Gehorsam fordere solches. Allein, weil ein anderer Grundsatz so lautet, dass man Gott mehr denn den Menschen gehorchen muss, so werden wir auch hier dieser Weisung nicht folgen, sondern hübsch fein draußen bleiben. Und ich werde mir noch obendrauf die Freiheit nehmen, diesen Turm durch eine leise Berührung mit meiner rechten Hand augenblicklich in den nichtigsten Staub zu verwandeln. Aber da der Schlüsselinhaber mit folgenden Worten uns droht, sagend nämlich: Wenn ihr euch nicht augenblicklich hineinbegebt, da will ich sogleich gewaltsame Hand an euch legen lassen, – so müssen wir uns schon auch dem Turm nahen, und zwar insoweit, dass ich ihn werde mit meinem Finger erreichen können. – Nun sind wir am Turm, und seht, er befindet sich nicht mehr!
[1.72.2] Aber nun seht auch unseren Einsperrer an, was für ein erbärmlich erstauntes Gesicht er schneidet. Und der andere, Bessergesinnte, naht sich ihm und spricht: Nun, mein lieber Bruder, was sagst du denn zu dieser Erscheinung? Konnte der Teufel wohl so was zuwege bringen? – Der andere spricht: Ja, mein lieber Bruder, die Sache kommt mir außerordentlich rätselhaft vor. Bis jetzt hat diesem Turm kein Satan etwas anhaben können, ja, er stand ja da als eine wahrhaftig unüberwindliche Burg Gottes und alle Ketzer und Diener des Teufels als Widersacher der alleinseligmachenden Kirche haben darin ihr verdammliches Asyl gefunden, und noch nie hat es ein Teufel gewagt, sich diesem Turm zu nahen. Und da siehe, dieser Frevler oder was er ist, hat den Turm nur mit einem Finger berührt, und im Augenblick war keine Spur mehr vom Turm. Ich sehe nun kein anderes Mittel, als diese drei, so gut es nur immer gehen kann, hinauszubringen aus diesem heiligen Paradies, denn sonst rührt er uns noch etwas anderes an und vernichtet es ebenso wie diesen Turm.
[1.72.3] Ich muss es wahrhaftig bekennen, Gott der Herr ist fürwahr ein rätselhaftes Wesen; und wenn man glaubt, das Beste getan zu haben, so macht Er alles solches sobald zuschanden. So hat Er eine Kirche um die andere gegründet, und wenn sich so eine Kirche recht ausgebildet hat, um so, wie man zu sagen pflegt, auf dem Schnürl Gott zu dienen, da kommt Er und schneidet gleich einer heidnischen Parze das Schnürl mitten auseinander und der ganze kirchliche Plunder fällt über den Haufen und nichts bleibt von ihm übrig als höchstens der Name, allenfalls so, wie der der Stadt Babylon, da man nicht einmal mehr den Ort ausmitteln kann, wo einst diese große Weltstadt gestanden ist. Ich, meiner Person nach will mit diesen drei Wesen nichts mehr zu schaffen haben. Willst du dich noch ferner mit ihnen abgeben, so magst du es ja tun. Ob du aber mit ihnen etwas ausrichten wirst, daran zweifle ich sehr. Meines Erachtens wäre über diese Erscheinung wohl ein allgemeines Konzilium das beste Mittel. Aber wie dasselbe zusammenberufen, solange diese drei da sind?
[1.72.4] Der andere spricht: Ich meine, solches wird nicht vonnöten sein, denn sind diese drei offenbar von oben, wozu sollte da unser Konzilium gut sein? Sie werden unser Konzilium ebenso gut auseinanderstäuben wie den Turm. Das „von unten sein“ von Seiten dieser drei aber lassen wir für diesmal hübsch beiseite sein; denn es heißt, dass den Felsen oder die Kirche Petri die höllischen Mächte nimmer überwinden sollen. Was käme aber am Ende heraus, wenn wir in einem Konzilium das Urteil dahin leiten würden, dass diese drei Abgesandte der Hölle sind und haben dennoch, trotz dem Zeugnis Christi, diesem Turm ein Ende gemacht? So würden wir dadurch nichts anderes sagen, als dass unsere alleinig seligmachende Kirche durchaus nicht von Petro und von Christo gegründet ist. Und dieses Zeugnis wäre doch sicher bei weitem ärger als die ganze Zerstörung dieses Turmes. Bekennen wir aber im Gegenteil, dass solches der Herr zufolge Seines unerforschlichen Ratschlusses an uns getan hat, so schaden wir uns dadurch nicht im Geringsten; denn dem Herrn steht es ja frei, zu tun, was Er will, und alles, was Er tut, wird sicher wohlgetan sein.
[1.72.5] Der Gegner spricht: Du hast recht, und ich kann dir nichts dagegen einwenden. Aber was werden unsere anderen seligen Brüder und die vielen dienstbaren Engel zu dieser Geschichte sagen, wenn sie dieselbe erfahren werden? Daher dürfte es denn doch notwendig sein, ihnen sobald die Nachricht davon zu erteilen, denn sonst werden wir in einem sonderbaren Licht vor ihnen erscheinen.
[1.72.6] Der andere spricht: Da bin ich wieder einer ganz anderen Meinung. Kümmern wir uns gar nicht um das, was unsere Brüder sagen möchten, sondern lassen in Gottes Namen diese drei, solange sie noch hier sind, machen, wie es ihnen gut dünkt, und wir waschen uns dabei die Hände. Unsere Brüder aber sollen selbst einen Versuch machen, wie es sich tut, gegen einen reißenden Gebirgsstrom zu schwimmen.
[1.72.7] Nun rede ich zu dem besseren Mönch und sage: Höre, Freund, deine Rede ist mir nicht widerlich, und du bist darum dem Reich Gottes näher denn so mancher andere. Hast du auch wenig Werke, die dir hierher gefolgt wären, so hast du aber dennoch um einen starken Funken mehr Licht denn die anderen. Es soll dir darum hier Gelegenheit werden, das Werktätige, das dir zum Reich Gottes mangelt, einzuholen. Daher lass sobald alle die Scheinseligen dieses Paradieses hier zusammenkommen.
[1.72.8] Unser besserer Mönch spricht: Liebe Freunde, solches kann hier sogleich geschehen; denn durch einen Ruf und Wink werden sobald alle sich hierher begeben.
[1.72.9] Ich spreche: Also mache den Wink und lass den Ruf erschallen. – Unser Mönch tut nun solches, und seht, schon strömt eine große Menge von allen Seiten herbei, und seht, wie einige die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, da sie des Turmes nicht mehr ansichtig sind. Und die erste allgemeine Frage lautet: Um des dreieinigen Gottes willen, was ist denn hier geschehen?! Welcher Frevler hat solches getan? – Unser besserer Mönch antwortet mit ziemlich lauter Stimme und spricht: Hört, Brüder, ich sage euch, fragt nicht darum, denn die drei Mächtigen stehen noch unter uns. Der Mittlere, den wir in den Turm verdammlichermaßen sperren wollten, hat denselben kaum mit einem Finger angerührt und schneller als da ist ein Augenblick, ward der Turm vernichtet. Wir wissen aber, dass die Macht des Satans solches nimmer verüben kann; daher seid klug, damit uns nicht ein noch größeres Übel zuteilwerde.
[1.72.10] Seht, ein oberster Vorsteher dieses paradiesischen Mönchsgremiums nähert sich uns ganz furchtsam und stellt soeben die Frage an uns und spricht: Wir und alle guten Geister loben Gott den Herrn! Wenn ihr ebenfalls gute Geister seid, so sagt uns an euer Begehren!
[1.72.11] Ich spreche: Siehe, mein Begehren ist ein ganz einfaches und besteht in nichts anderem, als dass du mir kundgeben sollst, bei welcher Gelegenheit Petrus die römische Kirche gestiftet hat und bei welcher Gelegenheit das sämtliche Mönchswesen. Solches aber musst du mir aus der Schrift beweisen, denn jeder andere Beweis wird von mir verworfen.
[1.72.12] Nun seht, wie dieser Prior ein ganz erbärmliches Gesicht schneidet und sogleich ganz heimlich ein Kreuz über sein Gesicht macht und spricht ganz heimlich zu seinen Nachbarn: „Gott stehe uns bei! Wir stehen im Angesicht der obersten höllischen Dreieinigkeit! Das ist der Luzifer, der Satan und Leviathan! Solches ist sicher. Aber die Frage ist an uns gestellt, was werden wir darauf antworten? Schweigen wir, so zerstört uns diese Dreieinigkeit – Gott stehe uns bei – unser ganzes Kloster, unser Paradies und unser Himmelreich und führt uns am Ende schnurgerade in die Hölle! Antworten wir ihm aber, so haben wir uns so gut als der Hölle verschrieben. Fürwahr, Gottes Fügung nimmt in dieser Welt einen so sonderbaren Zuschnitt, dass man nicht einmal im Paradies und im Himmel so recht weiß, wie man daran ist. Da ich aber aus der Schrift durchaus der römischen Kirche apostolische Autorität nicht erweisen kann, so wird es am besten sein, ich sage zu ihm, wie es auch wahr ist: Höre, Freund, solches weiß ich nicht. Ich glaubte wohl, dass die römische Kirche von Petro gegründet ist, und ersah solches wohl auch aus einer geschichtlichen Tradition, derzufolge dieser Apostel etliche und zwanzig Jahre in Rom solle zugebracht haben, ob aber solche Tradition authentisch ist oder nicht, das wird der liebe Herrgott sicher besser wissen als ich.
[1.72.13] Ich war einmal ein römischer Katholik und glaubte, lehrte und handelte im Geiste dieser Kirche, und glaube darum nicht gefehlt zu haben. Verhält sich aber die Sache anders, so magst du darüber uns selbst berichten. Ich werde nicht abgeneigt sein, dich zu hören; und so magst du reden. Bist du ein guter Geist, so wirst du nichts Böses wollen, bist du aber ein böser Geist, da denke, dass Gott noch mächtiger ist als du; und somit rede, was du zu reden hast.
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